Keine Sieger, nur Verlierer
30. August 2004Das Ergebnis der tschetschenischen Wahlfarce war vorhersehbar, es hat niemanden überrascht: Neuer Präsident in der nach Unabhängigkeit strebenden Kaukasusrepublik ist Alu Alchanow, der ehemalige Innenminister des Landes. Er ist nun Nachfolger des im Mai 2004 ermordeten Achmat Kadyrow - und auch ihm haben die Rebellen bereits mit dem Tod gedroht. Denn Alchanow gilt als Marionette des Kreml,
als Staatsoberhaupt von Wladimir Putins Gnaden.
Einem möglichen Friedensprozess gibt diese Wahl keine Impulse, denn der Moskau-treue Präsident hat keine Legitimität und keine Glaubwürdigkeit in den Augen der Bevölkerung. Er wird zur Befriedung des kleinen Landes nichts beitragen können. Viele sehen in ihm ohnehin nur eine Interimslösung.
Im Wartestand befindet sich längst Ramsan Kadyrow, der Sohn des ermordeten Vorgängers. Er will selbst Präsident Tschetscheniens werden, wenn er das dafür erforderliche Alter erreicht hat. Bis dahin sammelt Kadyrow junior weiter eine dubiose, gewaltbereite Privatarmee um sich und versucht, sich im Kreml beliebt zu machen. Keine Perspektiven also für die von Krieg, Terror und Zerstörung zermürbte und gezeichnete Zivilbevölkerung in Tschetschenien.
Opfer der Lage werden freilich in zunehmendem Maß auch die Bürgerinnen und Bürger in der Russischen Föderation. Sie leben unter steigender Angst und Unsicherheit. Jederzeit und überall kann der Terror verblendeter Separatisten zuschlagen. Dies zeigte sich erneut und auf schreckliche Weise kurz vor der Wahl in Tschetschenien: 90 Menschen wurden Opfer zweier Flugzeugabstürze - hervorgerufen durch Sprengstoffanschläge tschetschenischer Selbstmord-Attentäterinnen.
Nichts und niemand darf solche Terrorakte rechtfertigen. Doch so schwer es angesichts dieser Bluttaten auch fällt: Nicht jeder Tschetschene, nicht jeder, der für die Unabhängigkeit des Kaukasus-Republik plädiert, ist auch ein Terrorist. Die russische wie auch die internationale Politik haben es bislang allerdings versäumt, die tschetschenische und russische Zivilgesellschaft zu unterstützen, und denen Mut zu machen, die sich für Verhandlungen einsetzen.
Für Wladimir Putin ist diese so genannte Wahl also nur vordergründig ein politischer Erfolg, denn die Installierung eines willfährigen Statthalters in Grosny bringt eine Lösung des Konflikts nicht näher. Der russische Präsident jedoch beharrt weiter darauf, es habe sich um einen ganz normalen Wahlgang in einem ganz normalen Land gehandelt. Nichts davon ist freilich wahr und Putin weiß das auch. Er setzt trotzdem weiter auf den bisherigen Kurs. Sein Denken ist also nicht nur geprägt von einer enormen Realitätsflucht, es offenbart auch ein gehöriges Maß an politischer Phantasielosigkeit.
Dass der Präsident kurz vor der Wahl ausgerechnet die russischen Anti-Terror-Kräfte für ihre Professionalität und Effizienz lobte, wirkt angesichts ihrer offenkundigen Schwächen geradezu zynisch. Weder haben sie die großen Terrorakte der letzten Monate verhindert, noch haben sie zur Aufklärung bislang Wesentliches beigetragen. Und sie haben nicht mehr Sicherheit für die Bevölkerung geschaffen.
Letztlich führt also kein Weg an Verhandlungen vorbei - den ersten Schritt dazu muss freilich der Stärkere tun. Der sitzt im Kreml.
Am Tag der Wahlfarce muss man jedoch feststellen: Es gibt im Tschetschenien-Konflikt derzeit nur Verlierer.