Keine Angst vor der Digitalisierung
7. Dezember 2013DW: Herr Lendle, wenn man sich in der Verlagsbranche umhört, merkt man schnell, dass die Digitalisierung nach wie vor ein großes Thema ist. Die Haltungen dazu sind allerdings sehr unterschiedlich: von Euphorie auf der einen bis hin zu Panik auf der anderen Seite. Was löst das Stichwort "Digitalisierung" bei Ihnen aus?
Jo Lendle: Ich neige vielleicht prinzipiell nicht so zur ganz großen Panik. Wir wissen alle, dass es da noch viele Fragen gibt, die sich nicht vollständig klären lassen, gerade im Hinblick auf mögliche Piraterie. Ich selber aber habe das Gefühl, dass die eine Lehre, die wir aus den Erfahrungen der Musikindustrie ziehen können, die ist: Verharrt nicht in Panik und Schreckstarre, leugnet die Veränderungen nicht, sie kommen ohnehin. So wie damals die Musik einfach draußen war, sind jetzt auch die Bücher draußen. Und da ist es hundertmal besser, wir bieten diese Lesemöglichkeit offensiv an, bringen die Texte in ein anständiges Format und erlauben den Leuten, das legal zu erwerben, bevor sich alles auf irgendwelchen nebulösen Wegen verbreitet.
Ist das Leben als Verleger denn komplizierter geworden in den letzten Jahren?
Nun ja, das Leben als Verleger zeichnet sich vielleicht generell nicht durch komplette Unkompliziertheit aus. Insofern kommen da einfach neue Elemente hinzu. In dem Maße, wie wir das Thema Digitalisierung bisher betreiben, ist es eigentlich keine riesige Geschichte gewesen. Wir haben einfach - sowohl bei DuMont als auch bei Hanser - diese neuen Kanäle aufgebaut. Das ist aber bisher noch kein wirklich verlegerischer Umgang damit, sondern eher ein technischer: Wir stellen die Bücher auch als E-Book zur Verfügung. Der verlegerische Umgang beginnt in dem Moment, in dem ich mich mit meinen Autoren hinsetze und wir uns fragen: Was erlauben eigentlich diese digitalen Formen für neue Modelle der Erzählbarkeit? Welche Zwischenformen sind möglich?
Was schwebt Ihnen da vor?
Wir erfinden da nicht die Welt neu, aber wir öffnen bestimmte Kanäle. Verleger denken in Büchern. Und das Buch, wie es jetzt existiert, ist eine vergleichsweise standardisierte Größe. Das sind in der Regel eben die gewöhnlichen 200 bis 400 Seiten, nach oben und unten ein bisschen offen. Aber es ist eigentlich eine erstaunlich konforme Angelegenheit, egal ob auf Papier oder digital. Und das Digitale ist im Moment einfach nur ein Abbild dieser Realität, die wir aus den materiellen Gegebenheiten des Buchdrucks annehmen. Der Buchdruck ist perfekt für diese Form des Erzählens. Aber wenn man diese Formate gedanklich öffnet, können eben auch andere Formen des Erzählens entstehen und Leser finden - und zwar sowohl alte, als auch neue.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen wir mal die klassische Erzählung. Die hat es als Gattung ungeheuer schwer in unserer Gegenwart. Und ich behaupte, unter anderem deswegen, weil man immer dieses komische Album konzipieren muss, in dem verschiedene Erzählungen zueinander gestellt werden, die das im Idealfall wollen und miteinander wirklich zu sprechen beginnen. Die aber im Nichtidealfall einfach aneinander geklatscht sind, weil man als Verleger glaubt, auf 250 Seiten kommen zu müssen. Das ist ein Denken aus den Anforderungen, die das gedruckte Buch stellt. Und das stimmt nicht unbedingt mit den Erfordernissen der einzelnen Geschichte überein. Stattdessen sagen zu können: Ich mache auch mal ein E-Book mit einem einzigen Gedicht oder einem Gespräch - das finde ich reizvoll. Oder etwa ein Abonnement: Jeden Tag ein Gedicht ...
Sie wurden vor ein paar Monaten mit der Aussage zitiert, man bräuchte in der Zukunft überhaupt keine Verlage mehr. Was meinten Sie damit?
Naja, ich habe das ein wenig anders gesagt. Das war eine Einaldung an die Verlage, sich klarzumachen, dass wir nicht mehr in einer Welt der Nadelöhre leben, in der die Verlage als Mittler zwischen Autor und Leser eine Monopolstellung innehaben. Es gibt inzwischen viele Autoren, die ihre Bücher selbst herausbringen, auf eine Art, die mit dem klassischen Selbstverlag nicht mehr viel zu tun hat. Das geschieht im Augenblick vor allem im Bereich der Genre-Literatur. Aber da wird es - und es wäre kurzsichtig, das auszuklammern - auch in anderen Bereichen Leute geben, denen es Spaß macht, die Dinge selber in die Hand zu nehmen, weil die Verlage vielleicht nicht beweglich genug sind, auf neue Anforderungen zu reagieren. Daher rührte mein Aufruf an die Verlage, sich deutlich zu machen: Es gibt da Dinge, die uns in Frage stellen. Lassen wir uns in Frage stellen. Wir haben gute Antworten.
Sie schreiben ja auch selbst. Wie interessant ist das sogenannte "Selfpublishing" für Sie als Autor?
Für ganze Bücher überhaupt nicht. Bei Friseuren hängen immer Schilder: "Was Friseure können, können nur Friseure." Das gilt analog für Verlage. Da bündelt sich eine große Expertise in der Begleitung, in der Sichtbarmachung von Literatur. Aber die Verlage sollten wach bleiben, auch Kanäle für neue Erzählformen oder Zwischenformate anzubieten.
Nun empfinden ja viele Menschen in Deutschland das E-Book noch immer als "seelenlos". Dementsprechend ist der Marktanteil der E-Books auch relativ gering. Glauben Sie, dass sich das mit der nächsten Generation ändern wird?
Das ist recht einfach: Die Dinger sehen momentan einfach schrecklich aus. Die Seitenumbrüche sind entsetzlich, es wimmelt von Trennfehlern, die Schriften sind fürchterlich. Ein gut gesetztes Buch bietet für die Konzentration auf den Text erhebliche Vorteile. Immerhin hat das Buch 500 Jahre Vorsprung. Ich gehe davon aus, dass die technische Seite noch ein wenig aufholt. Aber: Wir werden dieses Jahr bei Hanser wohl acht Prozent E-Book-Anteil haben. Das ist so kurz nach der Einführung keine geringe Quote. Der Anteil wird schon bald langsamer wachsen, aber es spricht nichts dagegen, da gute Angebote zu machen. Ich treffe ganz unterschiedliche Leser, die auf E-Reader umsteigen - und sei es, weil man die Schriftgröße verändern kann. Da maße ich mir keinen Papierfetischismus an.
E-Reader oder Tablet: Wo, glauben Sie, liegt die Zukunft?
Die ersten Geräte hatten den Charme eines Parkscheinautomaten. Als Apple sein iPad entwickelte, ahnte man, dass zumindest etwas herauskommt, das man gern dabei hat. Inzwischen können das auch andere. Der Nachteil: Kontemplation und Kommunikation in einem einzigen Gerät zusammenzusperren, ist der Versenkung nicht immer förderlich. Ich erwarte von der E-Ink-Technik (damit arbeiten die meisten E-Reader, Anmerkung d. Redaktion) noch einige Sprünge.
Wie sehen Sie Ihrem Start bei Hanser entgegen?
Mit großer Vorfreude. Ich habe in diesem Jahr viele Gespräche geführt, jetzt kann und soll es losgehen.
Jo Lendle übernimmt ab Januar 2014 die verlegerische Geschäftsführung für die Hanser Literaturverlage. Zuvor war er Verleger des DuMont Buchverlags. Außerdem ist er selbst Autor verschiedener Bücher. Sein neuester Roman ist im August erschienen: "Was wir Liebe nennen" (DVA, 2013).