Urteil: Asyl für Syrer nicht selbstverständlich
23. November 2016Geklagt hatte eine Syrerin (Artikelbild), deren Familie in der Türkei lebt. Sie wollte den vollen Schutzstatus als Flüchtling, um so ihre Familie auch legal zu sich nach Deutschland zu holen. Mit dem subsidiären Schutz geht das nicht. Der Familiennachzug ist für diese Gruppe derzeit für zwei Jahre ausgesetzt. Dabei ist diese Schutzmöglichkeit nach Informationen der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl" grundsätzlich eine sehr starke Schutzform - mit Einschränkungen. So wird die Aufenthaltserlaubnis zunächst nur auf ein Jahr befristet. Das heißt aber nicht, dass subsidiär Schutzberechtigte dann abgeschoben werden. Ihre Aufenthaltserlaubnis wird unproblematisch verlängert. Auch haben subsidiär Schutzberechtigte vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und Anspruch auf Sozialleistungen.
Kein Generalverdacht gegen syrische Behörden
Das Oberverwaltungsgericht von Schleswig-Holstein führte zur Begründung aus, syrische Flüchtlinge, die keine individuelle Verfolgung vor der Ausreise aus ihrem Heimatland erleiden mussten, könnten die Anerkennung als Flüchtling nicht allein wegen ihres Auslandsaufenthaltes und des Asylantrags beanspruchen (AZ: 3 LB 17/16). Die dem Gericht vorliegenden Auskünfte böten keine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass Rückkehrern "mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit" politische Verfolgung drohe. "Für die Annahme, dass der syrische Staat jeden unter Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören, gibt es keine Anhaltspunkte", sagte die Vorsitzende Richterin am OVG Schleswig, Uta Strzyz.
"Die grundsätzliche Frage, ob Ausgereiste bei ihrer Rückkehr mit Befragungen und Folter rechnen müssen, ist nicht beantwortet", sagte die Anwältin der Frau. Seit 2012 unterhalte das Auswärtige Amt keine Vertretung mehr in Syrien, "daher kann sie auch gar nicht beantwortet werden". Das Gericht urteilte dagegen unter Berufung auf kurze schriftliche Stellungnahmen von Auswärtigem Amt und Orient-Institut, dass es "keine Kenntnisse" über systematische Befragungen gebe. Daher müsse die Syrerin wie jeder Einzelfall ihre politische Verfolgung selbst nachweisen - die Flucht an sich reiche als Asylgrund nicht aus. Auch das Bundesamt für Migration, BAMF, argumentierte so.Der stellvertretende Geschäftsführer von "Pro Asyl", Bernd Mesovic, kritisierte das Urteil scharf: "Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat darauf hingewiesen, dass es Muster gibt, wonach Syrer bei ihrer Rückkehr verhaftet werden und verschwinden." Im nun entschiedenen Fall hatte die Frau von einem "Massaker" im Jahr 2012 in ihrem Stadtteil von Damaskus berichtet. Seitdem sei sie auf der Flucht gewesen. Ihr Mann habe sich bei der Flucht als Hauptmann der Militärpolizei auf der Ladefläche eines Lasters verstecken müssen. Bewaffnete hätten ihr gedroht: "Schweige, oder wir töten dich." Doch der Senat glaubte der jungen Frau nicht, bereits in Syrien verfolgt worden zu sein. Denn auf diese persönliche Verfolgung war sie bei ihrer Befragung durch das BAMF nicht eingegangen - "aus Angst", wie sie in der Verhandlung sagte. "Nicht plausibel", so die Richterin in Schleswig. Für die 33-jährige Frau bedeutet das: Ihren Mann und ihre vier Kinder, die derzeit in der Türkei leben, wird sie zunächst nicht nach Deutschland holen können.
Zuvor hatten mehrere Verwaltungsgerichte entschieden, dass syrischen Flüchtlingen der volle Schutz nach der Genfer Konvention zusteht. Mit diesem Status können Flüchtlinge unter anderem ihre engsten Familienangehörigen nachholen, was subsidiär Schutzberechtigten derzeit verwehrt wird. Genau das hatte zuvor unter anderem das Verwaltungsgericht Düsseldorf anders gesehen. Es sei davon auszugehen, dass allen nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerbern generell die Gefahr der Folter drohe, weil das syrische Regime Rückkehrer aus dem Ausland unter Anwendung menschenrechtswidriger Methoden verhöre. Diese Maßnahmen seien als politische Verfolgung einzustufen, weil der syrische Staat grundsätzlich in jedem Rückkehrer einen potenziellen Regimegegner sehe, begründeten die Richter dort ihr Urteil für den vollen Flüchtlingsschutz.
Klageflut für Gerichte
Mit dem neuerlichen Urteil unterstützen nun bereits zwei Oberverwaltungsgerichte die Rechtsauffassung des Bundesamts, das den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien in den vergangenen Monaten vermehrt nur den untergeordneten subsidiären Schutz zugesprochen hat. Weil für sie angesichts der zahlreichen neuangekommenen Flüchtlinge in Deutschland das Recht auf den Nachzug der engsten Angehörigen, etwa Ehepartner und Kinder, ausgesetzt wurde, sorgen diese Entscheidungen inzwischen für eine regelrechte Klageflut. Nach Angaben des Bundesamtes hatten rund 32.000 der insgesamt 113.000 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz gegen die seit März bestehende Regel geklagt. Drei Viertel der 3490 bereits entschiedenen Verfahren gingen zugunsten der Flüchtlinge aus. Das könnte mit dieser obergerichtlichen Entscheidung nun anders werden.
In Schleswig haben die Richter keine Revision zugelassen. Dagegen kann die Klägerin aber Beschwerde einlegen. Dann wäre das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zuständig.
cgn/qu (dpa, epd, kna)