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Denkt Obama um?

Gero Schließ, Washington DC30. Oktober 2013

Lange schien es, als ließen die Amerikaner sich in ihrer Überwachungspolitik durch nichts beirren. Jetzt aber scheint sich das Blatt zu wenden. Kritik und Empörung zeigen offenbar Wirkung. Fragt sich nur, wie lange.

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Handy mit dem Namen Angela Merkel im Display auf NSA-Logo (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Nachricht von Bundeskanzlerin Angela Merkels abgehörtem Handy sei für viele in den USA wie ein "Weckruf" gewesen, sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding der Deutschen Welle am Rande ihres derzeitigen Washington-Besuchs. "Es ist an uns Politikern, dafür zu sorgen, dass diesem Weckruf nun auch politische Aktionen folgen." Genau das scheint hier in Washington gerade zu passieren: Überraschend harsche Kritik der einflussreichen US-Senatorin Dianne Feinstein, die Präsident Barack Obama und dem Geheimdienst National Security Agency (NSA) bisher die Stange gehalten hatte, peinlich genaue Anhörungen vor dem Geheimdienstkomitee des Repräsentantenhauses und fortgesetzte Drohungen aus Brüssel und Berlin haben offensichtlich Wirkung gezeigt.

Obama scheint zu "Änderungen" bereit

Rudy deLeon vom "Center for American Progress" (Foto: cc-by-sa/Center for American Progress)
Sicherheits- und Strategieexperte Rudy deLeonBild: cc-by-sa/Center for American Progress

Nach ständig zunehmendem Druck aus dem In- und Ausland ist jetzt aus dem Weißen Haus gedrungen, dass es zu "Änderungen" kommen werde. So zitieren es die "New York Times" und andere Quellen. Was genau anders gemacht werden soll, wollte aber auch der Präsident in einem TV-Interview noch nicht sagen.

"Zuerst einmal bespitzelt man nicht mehr seine Verbündeten", wird Rudy deLeon vom Washingtoner "Center for American Progress" gegenüber der Deutschen Welle konkret. Das habe sich jetzt wohl auch im Weißen Haus herumgesprochen. Außerdem müssten im digitalen Zeitalter die Qualität der Kontrollen angepasst und der Schutz der Privatsphäre verbessert werden.

"Wenn es um stärkere Kontrollen für die NSA gehe, sollten die USA auf jeden Fall eng mit ihren Verbündeten zusammenarbeiten", fordert der Sicherheitsexperte Larry Korb im Gespräch mit der DW. Nach dem Vorbild der CIA sollte auch die NSA verpflichtet werden, Operationen im Vorfeld dem Präsidenten und dem Senat bekanntzumachen. Nur weil der Geheimdienst das Handy der Kanzlerin abhören könne, heiße das nicht, dass er es tun sollte, meinte der frühere Berater der Reagan-Administration. "Die Überwachungstechnologie hat die Politik überholt und wir brauchen Regeln, wie weit wir gehen können und inwieweit wir uns mit den Verbündeten austauschen."

Senat und Repräsentantenhaus werden aktiv

Auf die Mitglieder des amerikanischen Kongresses wird es in den nächsten Wochen ankommen, glaubt Viviane Reding, Vizepräsidentin der EU-Kommission. Viele hätten ihr gesagt, "dass am vergangenen Wochenende die Debatte in den Wahlkreisen über die Übergriffe auf die Verbündeten sehr intensiv geführt worden ist, und dass die Menschen nicht verstehen, wie so etwas geschehen konnte".

Viviane Reding, Vizepräsidentin der EU-Kommission (Foto: picture alliance/dpa)
EU-Justizkommissarin Viviane RedingBild: picture-alliance/dpa

Jim Sensenbrenner, republikanisches Mitglied im Repräsentantenhaus, möchte gemeinsam mit anderen Abgeordneten einen Gesetzesentwurf einbringen. Für Rudy deLeon ist Sensenbrenners Engagement ein "sehr bedeutsames" Zeichen. Der Abgeordnete aus Wisconsin stand schon nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im Mittelpunkt, als er die entscheidenden Passagen im "Patriot Act" verfasste, die heute so unterschiedlich ausgelegt werden. Während die Obama-Administration aus ihnen ein Recht auf die allmonatlichen millionenfachen Überwachungsaktionen ableitet, sagt Autor Sensenbrenner pikanterweise das Gegenteil, nämlich dass nichts dergleichen darin stehe.

Richtlinien nach europäischem Vorbild?

Europa und Deutschland sollten bei der Gesetzgebung des Kongresses als "Modell" dienen, empfiehlt Larry Korb. Die Europäer hätten schließlich beim Schutz der Privatsphäre schon aufgrund ihrer Geschichte mehr Erfahrung. Der Kongress müsse künftig eine viel größere Rolle als "Aufpasser" spielen und die Balance zwischen den Verfassungsorganen wiederherstellen, sagt deLeon.

"Sie müssen aufpassen, dass die Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Zeitalter des Terrorismus gewährleistet ist. Und gleichzeitig müssen sie sicherstellen, dass die Privatssphäre des Normalbürgers respektiert wird."

EU-Kommissarin Reding würde dem sicher zustimmen, allerdings äußerte sie gegenüber der DW Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der amerikanischen Institutionen, vor allem daran, dass "die Gesetzesmaschine in diesem Land überhaupt noch fähig ist, grundlegende Gesetze zu verabschieden". Dennoch wies sie in Washington Forderungen des Europäischen Parlaments zurück, wegen der Überwachungsaffäre die gerade begonnenen Gespräche über einen transatlantischen Wirtschaftsraum auszusetzen. Allerdings, so die Kommissarin, gefährde der Abhörskandal das Abkommen.

Dass sich jetzt Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senates, von ihrem bisherigen Kurs der Unterstützung distanziert und eine totale Überprüfung aller Geheimdienstprogramme eingefordert hat, bewertet Reding positiv. Korb und andere Washingtoner Experten sehen darin ein Warnsignal an die NSA.

"Transparenzoffensive" der NSA?

Feinstein nahm sich denn auch 90 Minuten Zeit, um mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, dem Deutschen Elmar Brok, die Überwachungsaffäre zu erörtern. Nach dem Gespräch, an dem auch NSA-Chef Keith Alexander teilnahm, ging der CDU-Politiker Brok zuversichtlich an die Öffentlichkeit und sprach sogar von einer "Transparenzoffensive" der NSA. Dass zur gleichen Zeit US-Geheimdienstkoordinator James Clapper bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus darauf beharrte, die Überwachung fremder Staatschefs gehöre zum üblichen Geschäft der Geheimdienste, konnte er da wohl nicht wissen. Insgesamt drei Delegationen des EU-Parlaments sind derzeit in Washington. Ihnen wird in Politik und Medien ungewohnte Aufmerksamkeit zuteil. Wann hat man zuletzt Europaabgeordnete in den Hauptnachrichten von CNN oder "Fox News" gesehen?

Von der neuen amerikanischen Ernsthaftigkeit, mit europäischen Wünschen und Forderungen umzugehen, werden sich demnächst in Washington auch die Mitglieder einer deutschen Delegation überzeugen können. Wie es heißt, sollen darunter hochrangige Mitarbeiter des Kanzleramtes und die Chefs von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst sein. Verlässliche Auskünfte gibt es bisher allerdings nicht.

US-Politikerin Dianne Feinstein mit Namensschild im Senat (Foto:picture alliance/dpa)
Einflussreiche Senatorin: Dianne FeinsteinBild: picture-alliance/dpa