Enthüllung unerwünscht
29. Oktober 2013Der Unterschied zwischen Gut und Böse liegt für die britische Regierung klar auf der Hand: Geheimdienste leisten wichtige Arbeit im Kampf gegen Terrorismus - und wer Details über ihre Arbeit der Öffentlichkeit preisgibt, der ist ein Feind. Diese Haltung ließ Premier David Cameron zuletzt am Rande des EU-Gipfels durchblicken. Mit "Feind" meinte er den Whistleblower Edward Snowden. Und als Gegner sieht Cameron offenbar auch Medien wie den "Guardian", das legen zumindest seine jüngsten Äußerungen nahe.
"Wenn sie nicht gesellschaftliches Verantwortungsgefühl an den Tag legen, wird es sehr schwer für die Regierung, sich zurückzuhalten und nicht tätig zu werden", sagte Cameron im Parlament über einige britische Medien. Speziell der Tageszeitung "Guardian" warf er vor, weiterhin brisante Informationen der Geheimdienste zu veröffentlichen, anstatt sie - wie zugesichert - zu vernichten. Der "Guardian"-Journalist Glenn Greenwald hatte von Edward Snowden im Juni 2013 die ersten Informationen über die Praktiken des US-Geheimdienstes NSA erhalten, anschließend veröffentlichte seine Zeitung die ersten Berichte darüber.
"In Deutschland unvorstellbar"
Dass Regierungschefs in Deutschland derartige Drohungen an eine Zeitung aussprechen, hält der Enthüllungsjournalist Hans Leyendecker für "völlig unvorstellbar". Leyendecker arbeitet für die "Süddeutsche Zeitung". Sie gehört zu den ersten Medien in Deutschland, die mit den Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden an die Öffentlichkeit gingen. Zwar gebe es im deutschen Redaktionsalltag immer wieder Einflussversuche von Politikern, sagt Leyendecker. Meist sei das aber erst nach einer unliebsamen Berichterstattung der Fall, verbunden etwa mit der Drohung, künftig Informationen zu verweigern oder einen Journalisten von Hintergrundgesprächen auszuschließen.
Folgenschwerer sind laut Leyendecker die Einflussversuche von privaten Unternehmen, wenn es um die Aufdeckung von Wirtschaftsaffären geht: "Da kommt es häufiger vor, dass vor einer Veröffentlichung mit Presseanwälten und Gerichtsklagen gedroht wird."
Einflussversuche schaden Politikern
Besonders anfällig für politische Einflussnahme sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk (zu dem auch die DW gehört) - so zumindest sieht es Michael Rediske, Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen" (ROG) in Deutschland. Denn die Sender haben Aufsichtsgremien, in denen Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen vertreten sind - auch viele Abgeordnete und Minister.
Insgesamt seien Sender und Zeitungen in Deutschland jedoch "sehr gut in der Lage, sich gegen direkte Einflussnahme aus der Politik zu wehren", sagt Rediske, und verweist auf das Beispiel der "Causa Wulff". Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff wollte mit einem Droh-Anruf beim Chefredakteur der BILD-Zeitung einen Bericht über einen umstrittenen Kredit verhindern. Die Zeitung berichtete über diesen Anruf. Damit nahm die Affäre um Wulff Fahrt auf und kostete ihn schließlich das Präsidenten-Amt. Eine offene Einflussnahme auf Journalisten gelte in Deutschland als Skandal - "das fällt auf die Politik zurück", sagt Michael Rediske.
In Großbritannien wiegt nationale Sicherheit schwer
Großbritanniens Premier David Cameron ist nicht der Einzige, der die Zeitung "Guardian" an den Pranger stellt. Schon seit Wochen kritisieren führende britische Medien die Enthüllung von Geheimdienstdokumenten scharf und zielen damit immer auch auf den "Guardian". Es sei die "Zeitung, die unseren Feinden hilft", hieß es jüngst etwa in der "Daily Mail". Die "Sun" titelte mit der Forderung eines konservativen Parlamentariers: "Ermittelt gegen den 'Guardian' wegen Unterstützung von Terroristen!". Zwischen den Zeilen steht dabei stets das Argument der nationalen Sicherheit.
Hier sieht ROG-Geschäftsführer Rediske einen entscheidenden Unterschied zu anderen Ländern: "Er besteht darin, dass sich Großbritannien im Gefolge der USA und mit den eigenen Terroranschlägen in der Londoner U-Bahn wesentlich stärker direkt bedroht sieht, und dass die Bevölkerung deswegen der 'Sicherheit' gegenüber der 'Freiheit' ein anderes Gewicht beimisst." In Deutschland herrsche dagegen allein schon aus historischen Gründen eine besondere Skepsis gegenüber Begriffen wie "Staatsinteresse" oder "Staatsgeheimnis" - denn diese seien während der Herrschaft der Nazis missbraucht worden, erklärt Rediske.