Kehren die Neonazis in die Fankurven zurück?
4. Februar 2013Die "Aachen Ultras" haben sich als politische Fangruppe verstanden, als antirassistisch. Sie haben ihre Liebe zum Verein Alemannia gezeigt, aber eben auch ihren Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie. Dieses klare Bekenntnis hat einigen Fans nicht gefallen: vor allem der "Karlsbande" nicht, einer Ultra-Gruppierung, die sich als unpolitisch bezeichnet. Unpolitisch? Die "Karlsbande" ist offen für alle, solange sie die Alemannia stützen, auch für Neonazis und Schläger.
Die "Aachen Ultras", kurz ACU, wurden nicht als Verteidiger demokratischer Werte angesehen, sondern von vielen als "Linksextremisten" und "Provokateure" dämonisiert. Sie wurden wegen ihrer politischen Haltung eingeschüchtert, bedroht, angegriffen. Im Stadion, im Alltag, monatelang. Die Geschäftsführung des finanziell angeschlagenen Drittligaklubs Alemannia Aachen hat Unterstützung lange verweigert. Irgendwann hat sie Sanktionen gegen die "Karlsbande" ausgesprochen, aber nicht dauerhaft umgesetzt. Vor wenigen Wochen haben die "Aachen Ultras" aufgegeben: "Wir sehen keine Perspektive mehr, im Stadion gegen eine rechts unterwanderte Fanstruktur einzutreten", sagt ein Mitglied, das anonym bleiben möchte.
Ressentiments brechen im Fußball leichter aus
Dieser Vorfall ist einmalig im deutschen Fußball. "Es ist traurig und schockierend, dass sich eine Gruppe junger Menschen, die sich gegen Diskriminierung einsetzt, vom eigenen Verein derart im Stich gelassen wird, dass sie sich entfremdet und enttäuscht zurückzieht", kommentiert Patrick Gorschlüter, Sprecher des "Bündnisses aktiver Fußballfans" (Baff), das sich seit bald zwanzig Jahren gegen Diskriminierungen einsetzt. Gorschlüter beobachtet, dass Rechtsextreme zuletzt offensiver geworden sind: In Dortmund haben Fans mit einem Transparent ihre Solidarität mit einer verbotenen rechtsextremen Gruppierung gezeigt. In Braunschweig hat eine antirassistische Gruppe in einer Broschüre detailliert Verstrickungen zwischen Neonazis und Fans des Zweitliga-Tabellenführers Eintracht nachgewiesen. Und auch aus Düsseldorf, Duisburg, Dresden oder Kaiserslautern wurden Diskriminierungen gemeldet. Überall gilt: Eine Minderheit schwächt die Mehrheit.
Der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer möchte nicht von einer neuen Dimension sprechen. Laut seiner Langzeitstudie "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" sind Abwertungsmuster wie Rassismus, Sexismus oder Homophobie tief in der Gesellschaft verankert. So verträten fast fünfzig Prozent der Bevölkerung die Meinung, dass in Deutschland zu viele Ausländer lebten. "Das Stadion ist der einzige Ort, wo diese Abwertungsmuster eine breite Öffentlichkeit erreichen - ohne Sanktionen", sagt Heitmeyer. Der Männlichkeitskult, die Mobilisierung der Massen auf engem Raum, Emotionen, Lokalpatriotismus und Alkohol führten dazu, dass Ressentiments im Fußball leichter ausbrechen könnten. "Es gibt ein Freund-Feind-Schema", sagt Heitmeyer. "Fans wollen sich von ihren Gegnern abgrenzen, sie wollen ihren Gegner schwächen." Auch durch Diskriminierung. In diesem Klima können sich Rechtsextreme wohlfühlen.
Politische Streitigkeiten führen zu Spaltungen in der Fanszene
Anders als in den 1980er und 90er Jahren treten Neonazis in den Stadien nicht mehr massiv mit Reichkriegsflaggen oder anderen Symbolen auf - Folge moderner Sicherheitsarchitektur und professioneller Fanarbeit. Sie nutzen stattdessen Codierungen und verhalten sich ruhig. Sie agitieren in den verborgenen Ecken der Fußball-Öffentlichkeit: in Kneipen, Sonderzügen, Internet-Foren. Für viele Medien ist dieser Prozess kaum von Interesse, schließlich gibt es keine martialischen Fernsehbilder von Feuerwerkskörpern oder randalierenden Fans zu sehen. Die Konsequenz ist laut dem Sozialwissenschaftler und Fan-Forscher Gerd Dembowski eine verzerrte Wahrnehmung: "In der aktuellen Debatte über Sicherheit im Fußball sind Neonazismus und Rassismus eine Fußnote. Beides wird mit Gewalt und Pyro in einen Topf gesteckt."
Fangruppen haben viele Proteste gegen die Sicherheitsmaßnahmen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) organisiert. Um ein breites Bündnis zu schmieden, sollen auch rechtsoffene Gruppen aus Chemnitz, Halle oder Köln daran beteiligt gewesen sein, berichtet das kritische Debattenportal "publikative.org". Gerd Dembowski von der Universität Hannover glaubt, dass dadurch antirassistische Gruppen an Einfluss in den Kurven verlieren könnten. Viele dieser Gruppen hatten sich von großen Bewegungen abgespalten, Ursachen waren oft politische Streitigkeiten. Ob in dieser aufgeladenen Atmosphäre auch die rechten Alt-Hooligans wieder auf den Plan treten? Die "Borussenfront" in Dortmund oder die "Standarte" in Bremen?
Prävention leidet an Unterfinanzierung
Gewaltforscher Heitmeyer betont, dass sich der Rechtsextremismus ständig wandele: Dem Verbot von festen Strukturen wie der "Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) folgten in den 90er Jahren lose Strukturen von Neonazis, "Kameradschaften" und "Autonome Nationalisten". Zurzeit diskutieren Politiker über ein Verbotsverfahren der NPD. Immer wieder werden rechte Organisationen verboten, zuletzt auch die "Kameradschaft Aachener Land". Wieder müssen sich Rechte neu orientieren, doch welche Rolle spielt der Fußball dabei? "Wir müssen die Fangruppen stärken, die sich für ein diskriminierungsfreies Stadion einsetzen", sagt Michael Gabriel, Leiter der "Koordinationsstelle Fanprojekte" (KOS). In mehr als fünfzig Jugendeinrichtungen kümmern sich Sozialarbeiter um Fans, ihre Prävention gegen Rechts kommt jedoch schwer voran, weil die Projekte meist an Unterfinanzierung leiden.
Die "Aachen Ultras" haben sich im Pokalspiel gegen Viktoria Köln von der aktiven Unterstützung ihrer Alemannia verabschiedet. Fast 300 antirassistische Fans aus ganz Deutschland zeigten bei dem Spiel im Flughafen-Stadion ihre Solidarität. Auch die Mitglieder der "Aachen Ultras" werden weiter gegen Diskriminierung eintreten. Allerdings nicht im Stadion. Vorerst.