Katalanisches Drama, nächster Akt
11. Oktober 2017Wie groß auch immer der Anteil des katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont an der Kluft sein mag, die sich derzeit durch das politische Spanien zieht, in einem hat er die Bürger des Landes vereint: in der Einschätzung nämlich, dass er ein Virtuose des dialektischen Denkens ist. Selbst in katalanischen Zeitungen sorgt Puigdemonts Erklärung überwiegend für Hohn. "Ein Ja, aber ein Nein, ein phantasiertes Tor" spottet die Tageszeitung "El Periódico" über Puigdemonts Erklärung zum katalanischen Unabhängigkeitsreferendum. Eine klare Botschaft hat die Zeitung der Rede nicht entnehmen können: "Kein Ja, kein Nein, aber auch nicht das Gegenteil".
Auch die katalanisch-spanische Zeitung "Vanguardia" vermisst eine logische Stringenz in Puigdemonts Äußerungen. Der hatte am Dienstagabend in seiner Rede im katalanischen Parlament das Ergebnis des Referendums, nämlich den Auftrag zur Realisierung der Unabhängigkeit referiert - dann aber im Namen seines Kabinetts vorgeschlagen, diesen Auftrag vorläufig aufzuheben. Zugleich hatte er es sorgfältig vermieden, selbst die Unabhängigkeit Kataloniens zu erklären. Die Pirouette habe eine gewisse Logik, heißt es augenzwinkernd in "Vanguardia": "Es ist schwierig, etwas aufzuheben, das man gar nicht verkündet hat."
"Puigdemont wird zum Verräter"
Strenger äußerten sich die Kommentatoren der spanischen Tageszeitungen. Puigdemont habe durch seine Rede das Projekt der katalanischen Unabhängigkeit selbst preisgegeben. "Seine Forderung, die Umsetzung aufzuheben lässt ihn für einen Großteil der Sezessionisten zu einem Verräter werden", heißt es in der Tageszeitung "El País". Die Farce gehe darum weiter, befindet die Zeitung "El Mundo": "Puigdemont erpresst den Staat. Und (das linksradikale, für die Unabhängigkeit stimmende katalanische Parteienbündnis, Anm. d. Red.) CUP erpresst Puigdemont."
Der katalanische Präsident dürfte sich in den kommenden Tagen und Wochen vor allem als ein Getriebener fühlen: Er, der offenbar nicht einmal die Reaktion der EU, der spanischen und internationalen Wirtschaft sowie des Widerstands breiter Kreise in Katalonien selbst in sein Kalkül einbezog, hat in den Reihen der Befürworter der Unabhängigkeit an Vertrauen verloren.
Drei Alternativen - und ein politischer Selbstmord
Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Die Zeitung "El Periodico" sieht drei mögliche Alternativen: Entweder könnte es zu Neuwahlen in Katalonien kommen, bei denen die Sezessionisten sich vereinen, um dann einen weiteren Abspaltungsversuch zu unternehmen; oder es müsse eine Verfassungsreform oder ein reguläres Referendum geben, wie es in Schottland oder Quebec organisiert worden ist. Es gebe noch eine vierte Alternative, so die Zeitung: "den politischen Selbstmord".
So zumindest präsentiert sich die politische Zukunft aus katalanischer Sicht. Deutlich anders stellt sie sich zumindest für die kommenden Tage aus der Perspektive des spanischen Präsidenten Mariano Rajoy dar. Er forderte die katalanische Regierung auf, das "Durcheinander" zu beenden. Zudem fordert er von der Regionalregierung in Barcelona eine Klarstellung, ob sie die Unabhängigkeit der Region erklärt habe oder nicht. Diese Erklärung habe innerhalb von fünf Tagen zu erfolgen.
Damit setzte der Regierungschef ein Verfahren zum Entzug der katalanischen Autonomierechte nach Verfassungsartikel 155 formell in Gang. Auf dieser Grundlage könnte er die Regionalregierung entmachten, Katalonien die Teilautonomie entziehen oder den Ausnahmezustand ausrufen.
"Zeit für eine Verfassungsreform"
Dass es dazu kommt, gilt allerdings als eher unwahrscheinlich. Der Parteichef der oppositionellen Sozialisten, Pedro Sanchez, stellte sich an Rajoys Seite, deutete aber an, wie eine Lösung aus seiner Sicht aussehen könnte: "Die Zeit ist gekommen, eine Verfassungsreform anzugehen." Dabei könne es nicht um die Abspaltung Kataloniens gehen, wohl aber um eine neue Verteilung der Kompetenzen.
Für eine harte Linie gegenüber Madrid wirbt indessen der katalanische Vizeregierungschef Oriol Junqueras. Sollte Madrid das Dialogangebot nicht annehmen, erklärte er, werde man, dem Ergebnis des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober folgend, die Unabhängigkeit definitiv erklären. Vorgezogene Neuwahlen solle es dann nicht geben. Allerdings steht Junqueras vor dem Problem, dass das Referendum kaum politische Legitimität beanspruchen kann. Abgestimmt hatten gerade einmal 40 Prozent der Bevölkerung - fast ausschließlich aus den Reihen der Unabhängigkeitsbefürworter.
Vorbereitungen des Militärs
Dennoch könnten die Gespräche der kommenden Tage und Wochen auf einen Kompromiss im Rahmen der Verfassung hinauslaufen. Vielleicht sogar eine kleinere Verfassungsreform. Was ansonsten auf dem Spiel steht, demonstriert derzeit das spanische Militär. Auf Geheiß der Regierung bereitet es sich auf einen möglichen Einsatz in Katalonien vor. Der beschränkt sich zwar vor allem darauf, im Fall des Falles die Infrastruktur des Landes zu schützen. Was das heißt, liegt auf der Hand: Die Zentralregierung in Madrid schließt in der näheren Zukunft politische Gewalt ganz offenbar nicht aus.
"Wenn es zu einer Eskalation der Gewalt kommt, die die staatlichen Sicherheitskräfte überfordert, müsste das Militär seine Überlegenheit zur Geltung bringen", erklärte ein auf Anonymität drängender Befehlshaber der spanischen Armee gegenüber der Zeitung "El País". Andere hochrangige Militärs sagten, sie würden Aktionen ausschließlich auf Geheiß der Regierung in Madrid unternehmen. Klar ist: Der nationale Konsens steht weiterhin auf dem Spiel.