Karneval unterm Hakenkreuz
21. Februar 2012Lange Zeit war die Beschäftigung mit dem Thema Karneval während des Nationalsozialismus verpönt. Der Karneval hatte nichts mit den Nationalsozialisten zu tun oder zeigte sich gar widerständig, so die gängige Meinung. Doch der schöne Schein trog. Hinter der fröhlichen Fassade spannten die Nazis schon früh ihre Netze. So versuchte der Kölner NSDAP-Beigeordnete Wilhelm Ebel schon 1935, den Karneval für seine Zwecke zu benutzen. Man habe "Missstände" im Kölner Karneval zu beseitigen. Zudem warf er den Organisatoren Eigennutz und Unfähigkeit vor, denn in den Jahren 1931 und 1932 war der Karneval wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise ausgefallen. Ebel wollte den Kölner Karneval straffen und ihn der nationalsozialistischen Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" (KdF) unterwerfen.
Dagegen wehrten sich die Karnevalsvereine. Zwar konnten sie mit der sogenannten Narrenrevolte 1935 die geplante Gleichschaltung verhindern, jedoch überhöhte man die Aktion später als Akt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Mit dieser grundfalschen Darstellung war die Legende geboren, die Karnevalisten hätten über die Nazis gesiegt. "Die Realität war aber, dass die führenden Karnevalisten vom Gauleiter abhängig waren. Sie hatten nach seinen Vorstellungen zu agieren", sagt Jürgen Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums in Köln.
Der clever verkaufte "Aufstand der Narren"
Die "Narrenrevolte" konnte lediglich das traditionelle Karnevalsfest verteidigen und seine Organisation formal weiter in den Händen der Karnevalsvereine belassen. Denn offiziell fand nach dieser "Narrenrevolte" kein weiterer Gleichschaltungs- und Übernahmeversuch durch die KdF-Organisation statt.
Doch hinter der Fassade sah es anders aus. Schon 1934 fuhr der erste antisemitische Karnevalswagen im Rosenmontagszug mit. Er stellte eine Gruppe orthodoxer Juden dar, die unter der Überschrift "Die letzten ziehen ab" ein "kleines Ausflügche nach Liechtenstein und Jaffa" machten - eine Anspielung auf die erzwungene Emigration vieler Juden. "Verdeckt hat Josef Grohé, der Kölner Gauleiter, durch persönliche Bindungen an loyale NSDAP-Funktionäre ganz klar die Vorgaben ausgegeben, wie der Karneval auszusehen hatte", berichtet Müller. So mussten in gemeinsamen Sitzungen dem Oberbürgermeister oder seinem Vertreter das Motto des Zuges und die einzelnen Motivwagen vorgestellt werden, und sie bedurften auch seiner Genehmigung.
Touristische Strahlkraft sollte erhalten werden
Allerdings wussten die Nationalsozialisten auch um die Strahlkraft des Kölner Karnevals für das Ausland. Das Interesse war groß, möglichst viele ausländische Touristen an den Rhein zu locken. Antisemitische Motive passten da nicht ins Bild und so verzichtete man 1934 und 1935 bewusst darauf. Nach dem Erlass der "Nürnberger Rassengesetze" 1935 wurde aber auch im Karneval eine radikal antisemitische Position bezogen. Der Motivwagen "Däm han se op d'r Schlips getrodde!" ("Dem haben sie auf den Schlips getreten!") aus dem Rosenmontagszug von 1936 war eine karikierende Darstellung der "Rassengesetze". Auf dem Motivwagen steigt ein Paragraph mit Beinen einem Juden auf die Krawatte.
Der Rosenmontagszug von 1938 zeigte dann die politischsten Motivwagen und stimmte die Bevölkerung auf eine konfrontative Politik und den bevorstehenden Krieg ein. In ihm spiegelte sich die aggressiver werdende Außenpolitik wider, ausgerichtet auf die Vergrößerung des "Lebensraumes" in Osteuropa und die Rückforderung von Kolonien. So gab es einen Motivwagen, der den deutschen Michel in einem völlig überfüllten Bett zeigte. "Das spielte auf die angeblich notwendige Erweiterung des Lebensraums im Osten an", erklärt der Historiker Müller.
Motivwagen machen Politik gegen das Ausland
Andere Motivwagen hatten Angriffe auf Frankreich zum Thema: So trug die französische Marianne den gutmütigen deutschen Michel auf dem Arm. "Die Absicht war hier ganz klar: Das hat jetzt ein Ende, der deutsche Michel lässt sich von den Franzosen nicht mehr übervorteilen und auf den Arm nehmen", so Müller.
Die Legende vom Nazi-kritischen Karneval konnte auch deshalb Jahrzehnte überdauern, weil die zentralen Repräsentanten des Kölner Karnevals nach der NS-Zeit ihre Funktionen behielten. An einer Aufklärung waren sie nicht interessiert; das Thema wurde totgeschwiegen.
Generationswechsel ab 2000 bringt die Wende
Erst mit einem allgemeinen Generationswechsel erschienen um das Jahr 2000 eine Reihe von Studien, die neue Erkenntnisse brachten - und damit einen offenen und kritischen Umgang mit dem Karneval ermöglichten. Der Historiker Marcus Leifeld konnte erstmals die Archive zahlreicher Kölner Karnevalsvereine besuchen und erhielt Einsicht in alle Bildbände und Akten. All diese Erkenntnisse flossen in seine Doktorarbeit ein und mündeten in der Sonderausstellung "Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz - Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda" im Kölner NS-Dokumentationszentrum.
Ganz bewusst verzichtete man im Karneval auf nationalsozialistische Symbole. Hakenkreuze findet man auf den Bildern nicht. Die Organisatoren wollten so an ihrem Ideal festhalten: Dieses Fest ist nicht politisch. Es gab sogar die Anordnung, das Führerbild während der Karnevalszeit aus den Gaststätten zu entfernen oder zu überhängen - aus Angst vor defätistische Äußerungen von betrunkenen Narren.
Autor: Arne Lichtenberg
Redaktion: Dеnnis Stutе
Bis zum 4. März 2012 zeigt das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln die Sonderausstellung "Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz - Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda", eine Ausstellung zu Schein und Wirklichkeit des Kölner Karnevals in der Zeit des Nationalsozialismus.