Ganz großes Theater
11. Mai 2013Während der Proben ist Karin Beier immer in Bewegung: Sie springt auf die Bühne, geht zu den Schauspielern, hält dann inne, hört konzentriert zu, gibt Anweisungen. Die 47-Jährige ist klein und zierlich und voller Energie. Karin Beier weiß um die Gefahren des Theaterlebens. "Vom Theater kann man ganz schnell aufgefressen werden." Sie kenne niemanden, dem das gut täte. "Man verliert seinen Zugang zur Realität, wenn man zu viele Stunden in einem Elfenbeinturm verbringt", sagt sie. "Das ist so ungefähr das Schlimmste, was einem passieren kann. Und es passiert häufig in diesem Beruf."
Karin Beier spricht aus Erfahrung - sie ist schließlich schon lange genug dabei. Schon als 21-Jährige gründete sie in ihrer Heimatstadt Köln die englischsprachige Theatergruppe Countercheck Quarrelsome, CCQ. Fernab von Theatersälen führten sie Shakespeare in Fabrik- und Messehallen auf. Danach inszenierte Karin Beier in Hamburg, Bochum, Zürich und Wien. Als überaus talentierte, erfolgreiche Regisseurin nahm sie dann 2007 eine große Herausforderung an: die Intendanz am Kölner Schauspielhaus. Damit erfüllte sie sich gleich zwei Wünsche. "Zum einen konnte ich als Intendantin das Profil des Schauspielhauses selber prägen. Zum anderen konnte ich bestimmen, welche Künstler in meinem Haus arbeiten." So entwickelte sie einen eigenen, kleinen Kosmos. "Das ist eine extrem reizvolle Aufgabe und eine extrem gestalterische dazu."
Von der Intendantin zur Galionsfigur
Karin Beier hat in Köln nicht nur das Theater gestaltet, sondern zudem auch die Stadtkultur mitgeprägt. Wohl auch deshalb, weil sie den Begriff Stadttheater wortwörtlich nimmt: ein Theater, dass sich auch wirklich mit den Belangen der Stadt auseinandersetzt. So sollte in Köln das Schauspielhaus abgerissen und ein neues Theater gebaut werden - sie hatte sich auf den Neubau des Theaters gefreut. Als sie jedoch erkannte, dass das neue Schauspielhaus wenig mehr bieten würde als das alte, wurde sie zur Galionsfigur im Kampf für den Erhalt des denkmalgeschützten Schauspielhauses - das Theater wurde zum Zentrum des politisierten Kölns, es gab Bürgerinitiativen und Unterschriftenlisten. Im April 2010 beschloss der Rat der Stadt Köln, dass das Schauspielhaus doch nicht abgerissen werden soll. Ein Erfolg für die Intendantin und die meisten Bürger - doch mit den meisten Lokalpolitikern hat Karin Beier es sich verscherzt.
Das Publikum - inzwischen weit über Köln hinaus - dagegen liebt sie. Als 2009 das Kölner Stadtarchiv einstürzte, konnte und wollte Karin Beier nicht so ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. Sie bat Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, ein Stück dazu zu schreiben. Karin Beier inszenierte 2011 "Ein Sturz" selbst - zusammen mit zwei anderen Jelinek-Stücken. "Das Werk/Im Bus/Ein Sturz" war ständig ausverkauft und wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Dort werden jährlich die zehn bemerkenswertesten deutschsprachigen Theaterinszenierungen geehrt.
Motto: "Mut zur Kultur"
Von den Kölner Bürgern wird sie auf deren eigene Weise geehrt: 2010 und 2011 bekommt sie beim traditionellen Kölner Karneval einen eigenen Themenwagen im Rosenmontagszug. Dieses Bild von ihr bleibt in Erinnerung: Sie steht auf dem Wagen mit einer Fahne in der Hand: "Mut zur Kultur!" steht darauf. Unter diesem Motto hat Karin Beier das Kölner Schauspiel mit mutigen Inszenierungen aus der provinziellen Mittelmäßigkeit herausgeführt, und ist damit zur derzeit wohl erfolgreichsten Theaterintendantin Deutschlands geworden. Zweimal wurde das Schauspiel Köln zum Theater des Jahres gekürt.
Doch die Kölner Lokalpolitiker beeindruckte das nicht. Während das Publikum das Theater geradezu stürmte, verlangte der Stadtrat von ihr, sie solle Millionen einsparen. Als Karin Beier einen Ruf nach Hamburg bekommt, versuchen die Kölner Stadtoberen nicht sie zu halten: Karin Beier geht - und wird ab Herbst 2013 als erste Frau die Intendanz des ältesten Sprechtheaters Deutschlands führen. "Zum einen, weil das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg die allererste Adresse in Deutschland ist. Zum anderen gibt es für mich noch ein Leben neben dem Theater." Ein Leben mit ihrem Mann, dem Schauspieler Michael Wittenborn, und ihrer kleinen Tochter.
Auszeiten
"Es gibt für mich Menschen, Dinge im Leben, die ebenso wichtig, ja wichtiger als das Theater sind", erklärt Karin Beier. Das hinge auch mit dem Älterwerden zusammen. "Als junge Regisseurin habe ich mein gesamtes Selbstwertgefühl, meine ganze Identifikation mit dieser Welt über meinen Beruf gesucht." Seit sie eine Familie habe, habe sich das verschoben.
Extrem wichtig findet sie es, noch etwas neben dem Theaterleben zu haben. Sie nimmt sich Auszeiten. Jahrelang ist sie im Monat Mai in ein abgelegenes Dorf nach Schottland gereist: Zur "lambing season" - der Zeit, in der die Lämmchen geboren werden - und hat auf einem Bauernhof gearbeitet. Danach sei sie voller Freude wieder ans Theater zurückgekehrt.