Ukraine: Zauberformel Normandie-Format?
26. Januar 2022Konfliktparteien und Vermittler an einem Tisch: Das erste Treffen dieser Art fand am 6. Juni 2014 in der nordfranzösischen Normandie statt. Der Rahmen hatte zunächst nichts mit dem Ukraine-Konflikt zu tun. Man nutzte die Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie im Zweiten Weltkrieg für eine Begegnung.
Wenige Monate zuvor hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. So traf es sich gut, dass bei den Gedenkfeiern neben dem Gastgeber, Staatspräsident Francois Hollande, und Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko, anwesend waren.
Dass es gelang, in der aufgeladenen Situation die Präsidenten Russlands und der Ukraine an einen Tisch zu bekommen, galt bereits als Erfolg, auch wenn es keine konkreten Ergebnisse Richtung Konfliktlösung gab, aber das hatte auch niemand erwartet.
Das Minsker Abkommen
Das änderte sich im Februar 2015 in der belarussischen Hauptstadt Minsk mit der Unterzeichnung des Minsker Abkommens, allerdings nur auf dem Papier. Thomas Kunze von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau sieht das Abkommen als "kleinsten gemeinsamen Nenner. In Minsk haben sich die wesentlichen Player auf einen Weg verständigt, diesen Konflikt zu entschärfen". Kunze zählt einige Vereinbarungen auf: "Von Waffenstillstand bis hin zum Abzug schwerer Waffen; OSZE-Überwachung - es wurden ein Dialog und Modalitäten der Kommunalwahl in der Ukraine verabschiedet; Gefangenenaustausch, humanitäre Hilfe und vieles mehr."
Moskau und Kiew haben sich allerdings immer wieder gegenseitig vorgeworfen, gegen die Vereinbarungen zu verstoßen. Kritiker haben das Abkommen außerdem als einseitig kritisiert, weil es die ukrainische Regierung und die prorussischen Separatisten in der Ost-Ukraine, nicht aber Russland binde.
Auch Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik analysiert, dass das Minsker Abkommen ebenso wie das Normandie-Format insgesamt an der Fiktion kranke, "dass Russland nicht Kriegspartei sei. Dass sich diese Fiktion nicht länger aufrechterhalten lässt, dürfte mittlerweile aller Welt klar sein".
Das Minsker Abkommen liegt denn auch auf Eis. Es gab danach noch zwei weitere Normandie-Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs, eines 2016 in Berlin und ein weiteres Ende 2019 in Paris mit dem damals neugewählten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Positive Resultate blieben aber aus.
Stärkere Rolle der USA
Bis zum Regierungswechsel in Deutschland im vergangenen Herbst war Bundeskanzlerin Merkel die treibende Kraft des Normandie-Formats. "Sicher hat sie mit ihrer großen Erfahrung und mit ihrem direkten Draht zu Putin, mit dem sie auf Russisch sprechen konnte, in den Normandie-Verhandlungen eine wichtige Rolle gespielt", argumentiert Henning Hoff, warnt aber davor, dies überzubewerten.
"Erfolg oder Misserfolg des Formats sind nicht an Personen geknüpft. Es geht um russisch-ukrainische Gespräche, die europäisch eingebettet sind. Scholz und Macron (oder eine eventuelle Nachfolgerin) könnten ebenfalls erfolgreich zur Beruhigung des Konflikts beitragen - wenn Putin dies denn will."
Kritiker hinterfragen zunehmend die Eignung des Normandie-Formats, weil es die USA als direkten Verhandlungspartner außen vor lässt. Auch die ukrainische Regierung selbst wünscht eine stärkere Rolle Washingtons, weil sie befürchtet, dass sonst zu viel Rücksicht auf Moskau genommen wird. So hält die deutsche Regierung an der Erdgasleitung Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland fest und lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab.
Vorteil des Normandie-Formats: Direkter Kontakt
Normandie und andere Formate schließen sich aber nicht aus, sagt Hoff: "Fortschritte bei Fragen des strategischen Gleichgewichts oder nach mehr Transparenz bei Manövern lassen sich nur im amerikanisch-russischen Rahmen beziehungsweise im NATO-Russland-Rat voranbringen." Aber es sei der deutschen Regierung mit dem Normandie-Format gelungen, dass Russland "in direkten Kontakt mit der ukrainischen Regierung" tritt. Das wäre bei Verhandlungen nur zwischen Putin und Biden über die Ukraine nicht der Fall.
Thomas Kunze sieht ebenfalls keinen Gegensatz: "Augenblicklich laufen die wichtigsten Gespräche mit den USA, der NATO und unter Einbeziehung der OSZE. Auch deshalb ist es wichtig, im Normandie-Format weiterzukommen, so schwierig das auch ist."
Doch welche Aussichten haben Verhandlungen im Normandie-Format? "Sollte es Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinen extrem weitreichenden, für die transatlantische Gemeinschaft unmöglich zu akzeptierenden Forderungen u.a. nach garantierten Einflusszonen in Europa allerdings ernst meinen, wird es auch in diesem Rahmen keine Fortschritte geben können", sagt Henning Hoff.
Einen Beitrag zur Entspannung der Gesamtlage hält er aber für möglich. Bei der gegenwärtigen Angst vor einem Krieg wäre das schon viel.