Kampf um die zweite Geige
3. Februar 2017Es war der 10. September 2016, als RB Leipzig endgültig in der Bundesliga ankam. Aufgestiegen war der Retortenklub bereits einige Monate zuvor, hatte auch schon eine Partie in Deutschlands höchster Spielklasse absolviert, aber das war irgendwie nur Vorgeplänkel. In Hoffenheim, noch so ein modernes, scheinbar seelenloses Wirtschaftsunternehmen. 2:2 hatten sich Software und Brause getrennt. Aber an jenem 10. September, einem heißen Spätsommertag in Leipzig, sollte die erste echte Nagelprobe folgen. Borussia Dortmund kam nach Sachsen. Tradition, Leidenschaft, "Echte Liebe", sportlicher Erfolg.
Schon im Vorfeld wurde die Begegnung zum Klassenkampf stilisiert. Von den Medien, aber auch vom BVB. Allen voran Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke polemisierte gegen den Neuling: "Dieser Klub ist nicht meine Lieblingskonstruktion und wird auch nie meine Lieblingskonstruktion werden." Einem von den Leipzigern angefragten gemeinsamen Fanschal zur Erinnerung an das Spiel verweigerte Watzke die Zustimmung. Das BVB-Logo durfte nicht drauf, gegen den einfachen Schriftzug "Dortmund" konnte auch er nichts ausrichten. Und das Fan-"Bündnis Südtribüne" rief gar zum Boykott des Stadionbesuchs auf, die Fans gingen lieben zu den eigenen Amateuren.
Mit Trotz und Tradition gegen die Brause
Sie schienen ein wenig wie trotzige Kinder, die Dortmunder. Wie Kinder, die Angst haben, dass der Neue im Kindergarten ihnen den besten Freund ausspannt. Nur während sich diese bösen Ahnungen der Vorschulzeit in den seltensten Fällen bewahrheiten, waren die Eifersüchteleien des BVB durchaus begründet. Dortmund verlor mit 0:1, das Stadion war gerammelt voll - auch mit BVB-Anhängern - und alle hatten gesehen, dass Leipzig in der Bundesliga nicht nur mithalten, sondern sie auch mitbestimmen kann.
Nun, fünf Monate später, gibt sich der BVB immer noch trotzig. In der Einladung zur Pressekonferenz vor dem Heimspiel schreibt er immer noch "Rasenballsport" Leipzig statt "RB", wohl, um zu verhindern, dass man Werbung für den Sponsor des ungeliebten Gegners macht. Dass der Schuss nach hinten losgehen könnte, hat man offenbar nicht bedacht, denn gerade dadurch wird der Vereinsname erst wieder zum Thema.
Sportlich ist die Begegnung am Samstagabend (18:30 Uhr MEZ im DW-Liveticker) so etwas wie der letzte Strohhalm für die Borussen. Denn in der Tabelle sind sie längst abgehängt vom Führungsduo. Der FC Bayern führt drei Punkte vor Leipzig, und dann kommt lange nichts. Auf Rang drei Frankfurt mit zehn Punkten Rückstand auf Leipzig und einen weitere Platz und Zähler zurück folgt endlich der BVB. Das würde am Ende der Saison noch nicht einmal die sichere Champions-League-Teilnahme bedeuten. RB-Trainer Ralph Hasenhüttl gießt noch Öl ins Feuer: "Wir sind nicht unter Druck. Wir müssen dort nicht gewinnen. Wir wollen gewinnen. Alles kann, nichts muss. Wenn sie uns noch einholen wollen, müssen sie ja fast schon gegen uns gewinnen."
Der ungeliebte Tuchel
Will man noch einen Rest Hoffnung behalten auf den Titelkampf, dann muss ein Sieg her. Aber es läuft einfach nicht rund bei den Dortmundern. Da waren die Abgänge vor der Saison, Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan, da sind die vielen Verletzten, da ist ein Rückkehrer Mario Götze, dessen Talent auf der Bank zu verkümmern droht, da kokettiert Topstar Pierre-Emerick Aubameyang öffentlich mit einem Wechsel, Marco Reus wird offenbar aus London vom FC Arsenal mit einem unmoralischen Angebot geködert. Und Trainer Thomas Tuchel, in seiner zweiten Saison in Dortmund immer noch nicht geliebt, wird von ehemaligen BVB-Profis öffentlich zur Disposition gestellt.
Michael Rummenigge sagte kürzlich erst bei Sky: "Wir kennen das von Jürgen Klopp, wie er an der Linie durchgedreht ist. Jetzt ist ein neuer Trainer da, ein völlig anderer. Aber die Zuschauer wollen diese Emotionen sehen." Und Michael Schulz ergänzte: "Er passt vom Typ her eigentlich nicht zu diesem Klub." Als würden sie schon ohne Tuchel planen, haben sie in der Winterpause den jungen Schweden Alexander Isak nach Dortmund gelotst - ohne den Trainer in die Entscheidung einzubeziehen. "Ich kannte den Spieler nicht", erklärte Tuchel: "Es ist aber auch nicht möglich, dass ich alle 16- und 17-Jährigen kenne. Weil es ein Perspektivtransfer ist. Da leisten das Scouting und Sportdirektor Michael Zorc natürlich große Vorarbeit", lautete seine Erklärung.
Späte Genugtuung
Tuchel war vor anderthalb Jahren auch bei RB Leipzig im Gespräch. Er konnte sich eine Beschäftigung bei einem - damals noch - Zweitligisten allerdings nicht vorstellen. Heute sagt der RB-Vorstandsvorsitzende Oliver Mintzlaff: "Ich bin nicht traurig, dass es im Sommer 2015 nicht geklappt hat." Hasenhüttl, zu Saisonbeginn aus Ingolstadt nach Leipzig gekommen, passt wie die Faust aufs Auge bei den Leipzigern. Sein Team ist innerhalb weniger Spiele etabliert in der Liga. Und während der BVB Angst vor dem spielerischen Aderlass haben muss, hat sich RB in der Winterpause gerade wieder ein Top-Talent gesichert. Der Franzose Dayot Upamecano ist hierzulande noch kaum bekannt, war den Leipziger Machern um Sportdirektor Rangnick nicht weniger als zehn Millionen Ablöse an den Schwesterklub RB Salzburg wert.
Die Partie am Samstag wird also richtungsweisend sein, für beide. Sollte Leipzig nach zuletzt zwei Auswärtsniederlagen in Ingolstadt und München ein Sieg gelingen, könnte der Neuling den Meisterschaftskampf weiter offen halten. Viele Experten trauen das dem jungen Team mit seinem aggressiven Pressingstil schon heute zu. Und Dortmund wäre die "zweite Geige" im deutschen Profifußball vorerst los, würde in eine ernstzunehmende Krise schlittern wie seit Jahren nicht mehr.
Sollten sich die Dortmunder durchsetzen, wären sie zwar in der Tabelle nicht vorbei an den Gästen, die Wachablösung wäre aber vorerst verschoben. Glaubt man RB-Chef Mintzlaffs Aussagen dann wird das ohnehin noch dauern: "Wir sind ein junger, dynamischer Verein, der in vielen Bereichen noch einiges aufholen muss. Das wird in den nächsten drei Jahren nicht passieren."
Bayern gegen Schalke
Außerdem empfängt am Samstag Bayern München den FC Schalke 04, Borussia Mönchengladbach trifft auf den SC Freiburg, Hertha BSC spielt gegen den FC Ingolstadt, der 1. FC Köln tritt gegen den VfL Wolfsburg an und die TSG Hoffenheim hofft gegen den FSV Mainz auf eine Heimsieg. Am Sonntag beschließen der FC Augsburg und Werder Bremen sowie Eintracht Frankfurt und Schlusslicht Darmstadt 98 den 19. Spieltag.