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Die Herausforderung der neuen Freiheit

Sarah Judith Hofmann 9. Januar 2016

Ein halbes Jahrhundert lang unterdrückte das Militärregime in Myanmar jegliche Form der Kunst. Inzwischen hat die Oppositions-Ikone Suu Kyi die Wahlen gewonnen. Nun kämpft die Kulturszene mit neuen Herausforderungen.

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Facebook-Bild eines jungen Punkmusikers aus Myanmar (Foto: Never Reverse/Mg Nyan)
Bild: Never Reverse/Mg Nyan

Künstler im Jubel. Sie applaudieren der Politik. Ein irritierendes Bild. Doch nach den Parlamentswahlen im November ist in der Kulturszene des so lange abgeschotteten Myanmar ein Gefühl der Euphorie losgebrochen.

"Ich bin einfach nur glücklich", sagt Aung Soe Min. Er ist umgeben von hunderten von Leinwänden, die sich in seiner Galerie im Zentrum von Rangun stapeln. Wie oft hat er sich gewünscht, dass "die Lady", wie Aung San Suu Kyi in Myanmar ehrfurchtsvoll genannt wird, die Geschicke des Landes in die Hand nehmen möge? Dass die Macht der Generäle, unter deren Zensur er so lange gelitten hat, endlich aufhört? Jetzt ist es Realität geworden: Die Oppositionspartei NLD (National League for Democracy) kann eine neue Regierung bilden, auch wenn für eine Übergangszeit noch Präsident Thin Sein regiert.

"Wir sind alle glücklich. All meine Freunde und Bandmitglieder jubeln", sagt auch Mg Nyan. 21 Jahre alt ist der Sänger der Punkband "Never Reverse". Für ihn war es das erste Mal überhaupt, dass er wählen durfte. Und dann gleich dieses Ergebnis! Die absolute Mehrheit für die NLD. Mg Nyan ist überzeugt, dass jetzt tatsächlich Freiheit und Demokratie Einzug halten werden.

Gemälde stehen auf dem Boden der Pansodan-Galerie in Rangun, auf einem ist das Konterfei von Aung San Suu Kyi zu erkennen (Foto: Leonie Voss)
Das Konterfei von Aung San Suu Kyi auf einem Gemälde in der Pansodan-Galerie in RangunBild: Leonie Voss

Wahlkampf für "die Lady"

Franz Xaver Augustin ist Leiter des Goethe-Instituts in Rangun. Er betrachtet die Euphorie mit Skepsis. "Die NLD war eine über Jahre in ihrer politischen Entwicklung extrem behinderte Bewegung. Erfahrung im Politikbetrieb fehlt fast völlig. Wie soll sie jetzt alleine regieren? Es bräuchte eine Regierung der nationalen Einheit." Denn ausschalten kann die NLD das Militär ohnehin nicht. Ihm sind ein Viertel der Sitze im Parlament reserviert, jedes Gesetz kann mit dieser Sperrminorität verhindert werden. Augustin fürchtet daher einen zu konfrontativen Kurs der einstigen Opposition im fragilen Vielvölkerstaat Myanmar. "Das Militär kann jederzeit Chaos säen. Und dann könnte es ähnlich laufen wie in Thailand, dass das Militär sich wieder als die einzige ordnende Kraft aufdrängt."

In dieser Situation bedürfte es einer kritischen Distanz - auch der Künstler. Doch im Wahlkampf machten etliche Kulturschaffende Wahlkampf für Aung San Suu Kyi. Obwohl die Friedensnobelpreisträgerin hinter vorgehaltener Hand für ihren autoritären Stil und das Ausschalten junger Kräfte aus der Partei kritisiert wurde. Selbst Zarganar, ein Comedian und einer der intellektuellen Köpfe des Landes, rührte die Trommel für Suu Kyi. "Die Künstler waren im Wahlkampf alle für die Opposition. Ich glaube nicht, dass irgendeiner von ihnen große Sympathien für das Establishment hat."

Kein Wunder: Etliche von ihnen saßen während der Militärdiktatur jahrelang im Gefängnis wie Zarganar oder wurden immer wieder für kurze Zeit verhaftet wie Aung Soe Min.

Der Galerist Aung Soe Min (Foto: DW/S. Hofmann)
Galerist Aung Soe MinBild: DW/S. Hofmann

Zeichnen Sie eine Pagode!

50 Jahre lang herrschte in Myanmar ein Militärregime. Jeder Song, jeder Film, jede Ausstellung musste von der Zensurbehörde abgesegnet werden. Darstellungen von Gewalt und Nacktheit waren während der Diktatur verboten. "Die Künstler malten, was befohlen wurde. Bitte zeichnen Sie eine Blume, eine Pagode oder einen Mönch. So sah das aus", berichtet Aung Soe Min. Die heimliche Ikone war schon damals Aung San Suu Kyi. Jedes Frauenporträt stand unter Verdacht, eine Anspielung auf die 15 Jahre lang unter Hausarrest stehende "Lady" zu sein.

1988, als Aung San Suu Kyi aus Großbritannien nach Birma zurückkehrte und die Oppositionspartei NLD (National League for Democracy) gründete, war Aung Soe Min ein junger Student in der Nähe der Stadt Bagan. Er erlebte am eigenen Leib, wie der Volksaufstand der Studenten gegen die Militärregierung "8888 Uprising" blutig niedergeschlagen wurde.

Von Yangon nach New York und Singapur

20 Jahre nach dem Studentenaufstand eröffnete Aung Soe Min seine Galerie. Kurz darauf, 2011, öffnete das Militär das Land für ausländische Investoren, ließ politische Gefangene frei und schaffte die Zensur offiziell ab. Künstler dürfen seither auch in New York, Singapur oder Deutschland ausstellen. Wie Zaw Nyunt Pe. Anfang des Jahres wurden seine Bilder im Linden-Museum in Stuttgart gezeigt. "Ich habe immer versucht, trotz Zensur das zu machen, was ich für richtig halte", sagte er, "aber erst jetzt kann ich mich mit internationalen Künstlern austauschen. Das ist eine große Verbesserung und inspiriert mich."

Auch das Goethe-Institut fördert die Szene. "In der Bildenden Kunst sind Individuen entscheidend, die mit ihrem Talent und ihrer Kreativität überzeugen", meint Franz Xaver Augustin. "Da, wo es ein Kollektiv braucht, zum Beispiel bei der Musik und beim Theater, wird es schwierig. 50 Jahre Militärherrschaft und Isolation haben ihre Spuren hinterlassen. Es gibt kein Theater, kein Orchester, keine Tanzkompagnie. Kurz: keine kulturelle Infrastruktur."

Facebook-Bild eines jungen Punkmusikers aus Myanmar (Foto: Never Reverse/Mg Nyan)
Die Punkszene ist gut vernetzt in Myanmar. Im Bild: Die Band Never Reverse und FreundeBild: Never Reverse/Mg Nyan

Die Lady ist eine Kreative

Noch immer ist in Myanmar nicht jede freie Meinungsäußerung möglich. Immer wieder werden Journalisten - zum Beispiel während der Studentenproteste Anfang 2015 - und auch Künstler unter Druck gesetzt. "Man muss schon aufpassen. Es gibt Tabus, und man muss sich darüber im Klaren sein, dass die alten Apparate nicht abgeschafft wurden", erzählt Augustin. "Wenn wir im Goethe-Institut kritische Kunst zeigen, dann weiß ich, dass bei den Pressekonferenzen auch die Schlapphüte dabei sind und zuhören, was wir da vorhaben. Das wird alles registriert." Dennoch: Dem Goethe-Institut wie auch Aung Soe Mins Galerie wurde in den vergangenen Jahren seit der Öffnung des Landes keine Ausstellung mehr verboten.

Und auch die Punks existieren nicht mehr nur in einer Nische. Im Dezember 2014 gaben die Toten Hosen gemeinsam mit den einheimischen Punkbands Side Effect, Kaaiza Tin Moong und No U Turn ein Konzert in Rangun. Rund 6000 Menschen jubelten ihnen zu. Auch Mg Nyan. Das Militär ließ sie gewähren.

Die Gefahr droht nach Einschätzung Augustins vielmehr von anderer Seite: "Den Einfluss der Künstler auf die politische Entwicklung sollte man nicht überschätzen. Mit der Öffnung kam auch der Konsum und deckt leider vieles zu an frischen und aufregenden Ideen. Mit der größeren Freizügigkeit ist auch die Rolle der künstlerischen Rebellen weniger wichtig geworden."

Porträts von Aung San Suu Kyi auf Fächern in Yangon (Foto: Getty Images/AFP/R. Gacad)
Aung San Suu Kyi: Nach wie vor die Ikone der Künstler - hier auf Fächern, die während des Wahlkampfs für Luft zum Durchhalten sorgen solltenBild: Getty Images/AFP/R. Gacad

Aung Soe Min hat inzwischen deutliche Konkurrenz - rund 30 Galerien gibt es mittlerweile in Rangun. Doch er freut sich darüber, ihm geht es bei der Kunst nicht um Geld, sondern darum, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Und so bewundert er die Politikerin Suu Kyi auch für einen ihrer Schachzüge während der Wahlen: Wenn das Militär bei dem eigens für sie geschaffenen Gesetz bleibe, dass sie nicht Präsidentin werden könne, weil ihre zwei Söhne einen britischen Pass besitzen, dann werde sie eben eine Position einnehmen, die noch über dem Präsidenten steht.

"Aung San Suu Kyi ist eine Kreative", meint Aung Soe Min. "Deswegen wird sie dieses Land führen und voran bringen, egal in welcher Position. Auch in der Politik muss man querdenken und kreative Lösungen finden. Nur so kann es vorangehen."

Sarah Hofmann ist Redakteurin in der Kulturredaktion der Deutschen Welle. Einblicke in die Kulturszene von Myanmar bekam sie während einer Reise mit Journalists Network im Februar 2015. Auch heute noch pflegt sie den Kontakt zu Künstlern und Musikern des südostasiatischen Landes.