Junge Migranten erzählen ihre Geschichte
30. September 2012"Wohin gehöre ich?", fragen sich junge Migranten in Deutschland. Einige haben jetzt Bücher geschrieben, in denen sie ihre Geschichte erzählen. Meist schildern sie ein Lebensgefühl jenseits eindeutiger Zugehörigkeiten. "Du musst besser sein als die Deutschen", hatten ihre Eltern ihnen eingeimpft. Nun berichten die erwachsenen Kinder, mit welchen Vorurteilen sie in Deutschland kämpfen mussten und müssen, und wie sie es trotzdem geschafft haben, in diesem Land einen Platz zu finden.
Vom Asylsuchenden zum Vorzeigemigranten
Zum Beispiel Mojtaba, Masoud und Milad Sadinam. 1996 flüchteten sie mit ihrer regimekritischen Mutter aus dem Iran nach Deutschland. Weil sie hier allen Widerständen zum Trotz ihr Abitur mit Bestnoten ablegten und Stipendien für Elite-Universitäten erhielten, standen die drei Jungen plötzlich als Vorzeigemigranten im Zentrum von Politik und Medien.
Dass man es schaffen könne, wenn man nur wolle - mit diesem Vorurteil wollten die drei Iraner aufräumen und haben gemeinsam ihre Erlebnisse aufgeschrieben. "Unerwünscht - Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte" heißt ihr Buch. "Unser Leben ist kein Märchen", sagt der 28-jährige Mojtaba Sadinam. "Wir beschreiben vielmehr, wie schwer man es uns hier gemacht hat, uns zu integrieren." Und sein Zwillingsbruder Masoud fragt: "Wie können wir uns integrieren, wenn man uns in Auffanglager am Stadtrand steckt, die wir nicht verlassen dürfen? Wie sollen wir finanziell auf eigenen Füßen stehen, wenn wir nicht arbeiten dürfen?"
Leben im Wartezustand
Jahrelang sind die Sadinams nach ihren Worten der Willkür der Behörden ausgeliefert. Niemand scheint wirklich zuständig zu sein, die Brüder sprechen in ihrem Buch von "organisierter Verantwortungslosigkeit". Als die Abschiebung in den Iran droht, reagiert die verzweifelte Mutter mit einem Selbstmordversuch. Dass die Sadinams dann doch bleiben können, verdanken sie letztendlich einer Änderung im Zuwanderungsgesetz. Inzwischen arbeitet Milad als Programmier und seine Brüder studieren in Frankfurt am Main. Seit Anfang 2012 haben sie einen deutschen Pass.
Drei Fußballkarrieren: Die Boateng-Brüder
Fast 16 Millionen Menschen in Deutschland haben einen sogenannten Migrationshintergrund, das heißt, sie selbst oder zumindest einer der beiden Elternteile ist nach Deutschland eingewandert. Zu ihnen gehören auch die drei Brüder George, Kevin und Jerome Boateng. Über sie hat der Sportjournalist Michael Horeni geschrieben. "Die Brüder Boateng - drei deutsche Karrieren" ist ein Buch, das tief in die deutsche Integrationsdebatte einführt. Die drei Brüder aus Berlin haben zwei verschiedene Mütter, den gleichen ghanaischen Vater und lernen gemeinsam Fußball spielen im Berliner Problemviertel Wedding. Heute züchtet George Hunde, Kevin ist Fußballstar beim italienischen AC Mailand und hat 2010 bei der Weltmeisterschaft für Ghanas Nationalmannschaft gespielt. Jerome trägt das Trikot des FC Bayern München und der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Auch diese drei Brüder können Geschichten erzählen: über Integration und Ausgrenzung in Deutschland, wann sie als gute Deutsche, dann wieder als schlechte Migranten behandelt wurden.
Die neuen Deutschen?
Auch Özlem Topcu, Alice Bota und Khue Pham stammen aus Einwandererfamilien aus der Türkei, aus Polen und Vietnam. Heute arbeiten die drei als Redakteurinnen bei der renommierten Wochenzeitung "Die Zeit". Auch sie haben ein Buch geschrieben: "Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen". Eigentlich finden sie, "dass es sich verdammt gut lebt in diesem Land", von dem sie nicht wissen, wie sie es nennen sollen: Heimat? Zuhause? Fremde? Özlem Topcu, Alice Bota und Khue Pham sehnen sich danach, dazuzugehören, träumen von einem Deutschland, in dem das Wort Migrationshintergrund nicht mehr vorkomme und in dem es einfach nur Deutsche gebe. "Wir sind Teil des Ganzen, auch wenn wir anders sind", sagt Alice Bota, die mit neun Jahren mit ihren Eltern aus Polen nach Deutschland kam.
"Wir wollen keine Fremden sein"
Ihre Kollegin Khue Pham wurde 1982 in Berlin als Tochter vietnamesischer Eltern geboren. Sie spricht perfekt Deutsch und wird hier doch immer wieder auf ihre Herkunft angesprochen. "Mein Wunsch ist, dass meine Leistung zählt, nicht meine Herkunft. Dass sie genauso viel wert ist wie die eines Deutschen, nicht mehr und nicht weniger", sagt Khue Pham. Und die türkischstämmige Özlem Topcu wundert sich, warum sie der deutsche Sachbearbeiter beglückwünscht hat, als sie ihre Einbürgerungsurkunde abgeholt hat. Schließlich habe er sie monatelang zuvor nicht einmal angeschaut.
Ihre Identitäten sind gemischt. Sie alle leben in dem Land, in dem sie groß geworden sind, aus dem sie auch, aber nicht nur stammen. Sie wollen ankommen und können es oft nicht. In ihren Büchern stellen sie Fragen, die nicht nur sie selbst, sondern die deutsche Gesellschaft betreffen. Eine der wichtigsten ist: Wie wollen wir in diesem Land zukünftig zusammenleben?