Griechenland: Volksparteien ohne Rückhalt in der Jugend
19. Mai 2023Das kleine Spielzeug für Katzen, dass ein Kunde im Petshop von Petros Xylourgidis im nordgriechischen Thessaloniki kauft, kostet 4,50 Euro. "Nach den Kosten für den Einkauf und allen Steuern bleiben mir davon vielleicht 50 Cent, wenn es hochkommt. Der Staat verdient mehr daran als ich", sagt der 36-Jährige.
Er habe nichts gegen Steuern, so der Petshop-Betreiber, doch im alltäglichen Leben sehe er nicht, dass diese im Sinne der Bürgerinnen und Bürger investiert würden. Gesundheit, Bildung, Infrastruktur: In wesentlichen Bereichen des alltäglichen Lebens fehle es an allen Ecken und Enden.
Wenn die wahlberechtigte Bevölkerung am 21. Mai 2023 an die Urnen gerufen wird, bleibt Petros Xylourgidis zu Hause. Mit Blick auf die politische Bühne in Griechenland sieht er keine Möglichkeit, sein Kreuz sinnvoll an einen Kandidaten zu vergeben.
"Egal, welche Regierung an der Macht ist, etwas Wesentliches wird sich nicht ändern. Man hört große Reden, aber nichts passiert. Man hat gesagt: Raus aus den Sparprogrammen (Anmerk. d. Red.: während der Finanzkrise), doch daraus ist nichts geworden. Man hat gesagt: Weg mit diesem System der Immobiliensteuer. Und wieder ist nichts passiert."
Wählen habe inzwischen nichts mehr damit zu tun, eine Alternative für die Zukunft zu unterstützen, sondern die derzeit regierende Partei abzustrafen. Berufspolitiker ohne Bezug zur Realität der Menschen hielten die Zügel in der Hand: "Sie schreien 'Gerechtigkeit'. Aber wo gibt es denn so etwas? Ich werde nur noch wütend. All die Skandale der letzten Zeit - und nichts passiert. Ich bin wütend darauf, wie die an der Macht mit wichtigen Angelegenheiten umgehen und sich vor allem persönliche Vorteile verschaffen", sagt Xylourgidis.
Gleichzeitig sei er auch wütend auf die Menschen, die immer die gleichen Politiker wählten und unterstützten. Während sich die Mächtigen am Fiskus vorbei bereicherten, müssten Menschen wie er jeden Cent zweimal umdrehen.
Gleichzeitig wolle niemand in der Politik Verantwortung übernehmen für das, was vor den Augen aller passiere: "Die Regierung lässt die Opposition vom Geheimdienst überwachen - und niemand will daran Schuld sein. Das ist doch so, als ob bei mir im Laden etwas falsch läuft und ich die Verantwortung von mir weise. Es bleibt trotzdem mein Laden."
Kleine Parteien als Alternative?
Während die konservative Partei des amtierenden Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis und das Linksbündnis des ehemaligen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras um die Stimmen der jungen Menschen kämpfen, wenden diese sich alternativ auch kleineren Parteien zu. Eine davon ist die MeRa25 des ehemaligen Finanzministers Yanis Varoufakis.
Bereits bei der Wahl 2019 konnte sie die in Griechenland geltende Drei-Prozent-Hürde überspringen und ist seitdem mit neun Sitzen im Parlament vertreten. In den derzeitigen Umfragen liegt sie bei etwa vier Prozent, knapp über den 3,4 Prozent, die sie vor fünf Jahren holte. Bei den jüngeren Wählern zwischen 17 und 29 liegt sie sogar bei 8,6 Prozent.
An einem der letzten Wochenenden vor der Wahl steht der 24-jährige Jurastudent Giorgos Panagopoulos an einem Wahlstand der MeRa25 in Gazi, einem Athener Szene-Bezirk. Wahlboykott als Protest gegen die herrschenden Zustände ist für ihn keine Alternative.
"Ich glaube, dass politische Institutionen und Vorgänge unterstützt werden müssen, da nur so die Demokratie gestärkt wird und junge Menschen sich zumindest teilweise Gehör verschaffen können." Dies sei wichtig, um neue politische Wege zu gehen, Perspektiven zu schaffen und das Leben der Menschen sowie ihren Alltag positiv zu beeinflussen.
Junge Menschen - neue Werte
Dem Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis stellt Panagopoulos ein schlechtes Zeugnis aus. Wie viele junge Menschen kritisiert er Dinge wie ausufernde Polizeigewalt gegen Demonstrierende, oder auch die Massenabhörungen, die die Regierung im vergangenen Sommer vor allem im Ausland unter Druck gesetzt haben. Er ist überzeugt: Kleinere Parteien wie die MeRa25 könnten im Verbund die politischen Karten neu mischen und die Interessen der jungen Menschen auf die Agenda bringen. "Unser größtes Problem ist das Fehlen von Aussichten. Wir bekommen eine gute Ausbildung und dann bleibt vielen nur die Möglichkeit, zum Arbeiten das Land zu verlassen."
Während finanzielle Sorgen sich durch alle Altersgruppen ziehen, liegen bei jungen Menschen auch bekannte Probleme wie finanzielle und politische Korruption weit vorn, erklärt Nick Malkoutzis. Er ist Mitgründer von Macropolis, einem Analyseinstitut für griechische Politik, und beobachtet unter anderem das politische Verhalten junger Menschen. Die neue Generation fordere mehr Rechenschaftspflicht und Transparenz. Man sei enttäuscht von den politischen Verantwortungsträgern: "Unter jungen Menschen ist das Vertrauen in große Parteien und Mainstream-Politik sehr gering. Das drängt sie an den äußeren Rand des politischen Systems."
Wählen ohne Hoffnung
Für Malkoutzis ist es kein Wunder, dass sich junge Wähler gerade nach dem schweren Zugunglück bei Larissa, bei dem 57 Personen, darunter viele junge Menschen, ums Leben kamen, Parteien wie der linken MeRa25 zuwandten. Profitieren konnten aber auch extrem rechte Parteien.
Von einem Rechtsruck der jungen Wähler könne man jedoch nicht sprechen, sagt Loukia Kotronaki der DW. Sie arbeitet am Institut für Politikwissenschaften der Athener Panteion-Universität und hatte im Zuge der Protestwelle, die nach dem Zugunglück durch das Land ging, eine Studie zum politischen Verhalten junger Menschen zwischen 17 und 34 durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen eine junge Generation mit demokratischen Impulsen, aber ohne Vertrauen in das System.
Die Studienergebnisse deuten auf ein wachsendes Misstrauen gegenüber den Institutionen des Staates hin. Demnach hätten 75,4 Prozent der Befragten kein Vertrauen in die amtierenden Regierungen und 88,5 Prozent misstrauten den politischen Parteien. Generell würden sich die jungen Menschen eher mit linken als mit rechten oder konservativen Werten identifizieren, erklärt Kotronaki. Auch würde man demokratische Institutionen grundsätzlich unterstützen, allerdings nicht in der Art und Weise, wie diese geführt würden.
"Die meisten jungen Menschen wollen trotz alledem wählen gehen", so Kotronaki, auch wenn sie keine großen Erwartungen hätten. "Nur weil sie teilnehmen, heißt das nicht, dass sie damit auch ihre Zustimmung ausdrücken", erklärt die Politikwissenschaftlerin.