Griechenland: Machtwechsel in Sicht
4. Juli 2019"Am Sonntagmorgen ist die Wahlurne noch leer", mahnt Premier Alexis Tsipras. Er sagt das immer wieder im Wahlkampf und meint damit folgendes: Egal wie die Umfragen lauten, sollten seine Anhänger wählen gehen und sich bloß nicht entmutigen lassen. Grund zur Entmutigung gibt es allemal für die in Athen regierende Linkspartei Syriza: Die konservative Nea Dimokratia (ND) führt deutlich in allen Umfragen; nach der jüngsten Erhebung am Mittwoch haben die Konservativen gar einen Vorsprung von über 13 Prozentpunkten. Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis soll der nächste Ministerpräsident Griechenlands werden. Wenn alles nach Plan läuft, könnte er sogar im Alleingang regieren. "Wir kämpfen um jede Stimme und wollen eine starke Regierung bilden, damit Mitsotakis seine Wahlversprechen auch zügig umsetzt", sagt Konstantinos Kyranakis gegenüber der DW, der für die Konservativen in Athen kandidiert.
Noch ist es allerdings nicht so weit. "Ich glaube, dass wir die Parlamentswahl gewinnen, ich will einfach daran glauben", meint Kostas Arvanitis, frisch gewählter EU-Abgeordneter von Syriza. Auf Umfragen sei nicht immer Verlass, Prognosen aller Art seien schwierig und oft auch falsch, mahnt der Linkspolitiker im Gespräch mit der DW. Und außerdem: "Wer hätte gedacht, dass Liverpool Barcelona im Champions League-Rückspiel mit 4:0 schlägt?", reflektiert Arvanitis, der übrigens für Barcelona schwärmt, mit einem Schuss Humor. Wenn es darum geht, die eigene Politik zu verteidigen, hört bei ihm der Spaß jedoch auf: "Syriza hat den Job zu Ende gebracht, die Sparpolitik in Griechenland beendet, den Stall des Augias ausgemistet", sagt der ehemalige Journalist im Brustton der Überzeugung. Dass der Internationale Währungsfonds (IWF) die Finanzen in Hellas nicht mehr überprüft, wertet er als "großen Erfolg" der Regierung Tsipras. Dass Ex-Sozialistenchef Jorgos Papandreou den IWF nach Ausbruch der Schuldenkrise nach Athen brachte, sei hingegen "ein Verbrechen" gewesen.
Streit über die Wirtschaftspolitik
Als Oppositionschef hatte Syriza-Chef Alexis Tsipras die Sparauflagen der internationalen Kreditgeber verteufelt und einen großzügigen Schuldenschnitt für Griechenland gefordert. Nach seinem Amtsantritt 2015 kam die Wende zum wirtschaftspolitischen Realismus. Doch je näher der Wahltermin rückt, desto mehr fühlen sich die Griechen an den alten, polternden Tsipras erinnert. Der wiederum liefert seine eigene Erklärung für den wirtschaftspolitischen Rückzieher anno 2015: "Wir hatten die Naivität zu glauben, dass Europa die Entscheidungen des griechischen Volkes respektieren würde", sagte er am Dienstag im TV-Sender Skai. Soll heißen: Die anderen waren schuld.
In aller Deutlichkeit warnt Tsipras vor einem Regierungswechsel. Mit Konservativen-Chef Mitsotakis würde die Austeritätspolitik nach Griechenland zurückkehren und erfolgreiche Reformansätze der vergangenen Jahre aufs Spiel gesetzt, mahnt der Linkspremier. Das will Oppositionspolitiker Kyranakis nicht auf sich sitzen lassen. "Die letzte konservative Regierung hatte das einst ausufernde Defizit erstmals unter Kontrolle gebracht und das Land auf den Wachstumspfad zurückgeführt", gibt er zu bedenken. Tsipras habe daraufhin einen Zick-Zack-Kurs eingeschlagen und letzten Endes neue Schulden in Höhe von über 30 Milliarden Euro angehäuft, moniert Kyranakis. Auch Konstantinos Botopoulos, der am Sonntag für die sozialistische Partei KINAL kandidiert, kritisiert die Rhetorik von Tsipras. Die Frage "konservative Sparpolitik oder linke Wohltaten" sei nur ein Scheindilemma zu Wahlkampfzwecken, gibt er zu bedenken. In Wirklichkeit habe Syriza die Sparauflagen der Gläubiger schon längst akzeptiert.
Kampf um die linken Wähler
Unermüdlich kämpft Tsipras an zwei Fronten: Gegen die Konservativen und nicht zuletzt gegen die anscheinend wiedererstarkten Sozialisten, die lange Zeit ein Schattendasein führten, aber am Sonntag immerhin auf ein zweistelliges Ergebnis hoffen. Auch wenn der Linkspremier die Wahl am Sonntag verlieren sollte, will er unbedingt sein Minimalziel erreichen und Syriza als stärkste Kraft links der politischen Mitte etablieren. Das dürfte ihm auch gelingen. Wobei: Für den sozialistischen Kandidaten Botopoulos stellt sich die Frage nach dem Konkurrenzangebot gar nicht. Denn allein seine KINAL-Partei biete eine echte sozialdemokratische Alternative in Hellas, meint er. Syriza sei weder sozialdemokratisch, noch wirklich links.
Auch Syriza-Politiker Arvanitis empfindet die Sozialdemokraten nicht als echte Konkurrenz - allerdings aus ganz anderen Gründen: "Im Wettkampf achtest du immer auf denjenigen der führt oder neben dir läuft; wer hinter dir kommt, ist eher unwichtig", sagt der Linkspolitiker.