Junge Bulgaren wollen "grüne" Lösungen
9. Juli 2021"Wir brauchen dringend mehr Digitalisierung, wir brauchen eine Justizreform und eine Erhöhung der Renten", erklärt Daniel Yanev. Der 26jährige Bulgare wohnt in Berlin. Trotzdem hat er im Sommer 2020 in seinem Herkunftsland aktiv an den Protesten gegen die damalige Regierung teilgenommen. "Ich kann es einfach nicht hinnehmen, dass Bulgarien sein wirtschaftliches Potenzial nicht ausschöpfen kann und deshalb der Lebensstandard immer noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt", erklärt Yanew gegenüber der DW. "Und all das wegen der allgegenwärtigen Korruption und der Art und Weise, wie öffentliche Gelder in Bulgarien verschwendet werden."
Am 11.07.2021 müssen die Bulgaren zum zweiten Mal in diesem Jahr an die Urnen, nachdem eine Regierungsbildung nach der Wahl Anfang April gescheitert war. Und wieder sind junge Bürgerinnen und Bürger, die vergangenes Jahr auf die Straße gegangen waren, fest entschlossen, ihre Stimme abzugeben, um endlich einen Wandel in dem korruptionsgeplagten Balkanstaat herbeizuführen. Auch, wenn sie dafür diesmal ihren Sommerurlaub unterbrechen müssen.
Zusammen mit Freunden hat Daniel Yanev die Faktencheck-Plattform "Lügst Du?" gegründet. Während der Wahlkampagne prüfen die Betreiber, ob Politiker falsche oder manipulative Aussagen verbreiten und machen ihre Schlussfolgerungen online öffentlich. "Für uns ist es besonders wichtig, die Aussagen im Bereich Wirtschaft und Gesundheit zu prüfen", sagt Daniel. "Fehlinformationen bei solchen Themen sind besonders gefährlich."
Daniel hat zwar schon entschieden, welche Partei er bei der Wahl unterstützten wird. Aber manchmal fühlt er sich verunsichert, weil auch Mitglieder "seiner" Partei nicht immer die Wahrheit sagen. "Die Arbeit an der Plattform 'Lügst Du?' hat mein kritisches Denken entwickelt."
Leiden unter der Korruption
"Die Korruption ist die größte Geißel unseres Staates", sagt auch Boris Bonew. Im Jahr 2015 hat er zusammen mit anderen jungen Aktivisten "Rette Sofia" gegründet, eine Watchdog-Nichtregierungsorganisation, die die Politik der Bürgermeisterin und der Verwaltung der bulgarischen Hauptstadt überwacht und kritisiert.
"Rette Sofia" und Bonew, der Wirtschaft sowie Innovations- und Technologiemanagement in Paris studiert hat, machen regelmäßig Vorschläge, wie Sofia eine modernere, innovativere und grünere Stadt werden könnte. 2019 hat der heute 33-Jährige als unabhängiger Bewerber für das Amt des Bürgermeisters kandidiert und mehr als zehn Prozent der Stimmen bekommen.
Der Kampf beginnt in Sofia
Die Siege der Opposition in der ungarischen Hauptstadt Budapest und der türkischen Metropole Istanbul zeigen für Bonew, dass der Abbau korrupter Systeme wie desjenigen, das Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow in den vergangenen Jahren in Bulgarien errichtet hat, in den großen Städten beginnen muss. "Der Kampf um Bulgarien beginnt in Sofia", ist Bonew überzeugt.
Laut dem letzten Korruptionsindex von Transparency International ist die Korruption auf Regierungsebene für 90 Prozent der Bulgaren problematisch. "Die Menschen haben es satt, in den schmutzigsten und chaotischsten Städten Europas zu leben, mit einer Regierung, die von Korruption statt von vernünftigen Entscheidungen geleitet wird", sagt Bonew.
Grüne Lösungen
Bonews NGO "Rette Sofia" hat ihre Unterstützung für neun der Kandidaten des Bündnisses "Demokratisches Bulgarien" (DB) erklärt. DB ist ein Zusammenschluss, zu dem auch die "Grüne Bewegung" gehört. Mit dem Einzug von DB ins Parlament nach den Wahlen im April 2020 hat Bulgarien zum ersten Mal seit den 1990er Jahren grüne Abgeordnete. Fünf der neun Kandidaten von DB, die "Rette Sofia" unterstützt, sind Vertreter der bulgarischen Grünen.
"Unsere Organisation ist ein Teil der sogenannten grünen Welle in Europa", sagt Bonew. Er ist überzeugt, dass Bulgarien und vor allem die Hauptstadt Sofia dringend grüne Lösungen brauchen. "Der Kampf gegen die Luftverschmutzung, die jedes Jahr hunderte Menschenleben in Sofia fordert, ist eine unserer Hauptprioritäten. Das andere wichtige Ziel ist die Reduzierung des Autoverkehrs, was nur durch die Bereitstellung von Alternativen klappen kann."
Nach Alternativen sucht auch der 26jährige Aktivist Daniel Yanev. Er glaubt, dass Bulgarien eine neue Generation Politiker braucht - modern, jung und unabhängig: "Bei der Wahl am 11.07.2021 unterstütze ich Kandidaten, die Experten sind und keine dubiose Vergangenheit haben". Solche Leute braucht für Yanev nicht nur die bulgarische Politik sondern auch die Wirtschaft des EU-Mitgliedslandes.