Der Griechen-Versteher
18. März 2015So viel Liebe ist selten in Brüssel - als der EU-Kommissionspräsident Anfang Februar zum ersten Mal den neuen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras empfing, herzte Jean-Claude Juncker den Griechen geradezu mit Hingabe. Dabei muss man wissen, dass der Präsident jederzeit alles küsst, was sich bewegt. Aber so liebevolle Umarmungen, so ausführlich vor den Kameras zelebriert, und dann der Gang ins Chefbüro Händchen haltend wie Jungvermählte - das sah schon nach einem politischen Statement aus. Juncker hatte bei seinem Amtsantritt angekündigt, er wolle ein politischer Kommissionspräsident sein, nicht der oberste Chef einer Behörde.
Ein Versprechen, das inzwischen vor allem in Berlin als Drohung verstanden wird. Es ist der alte Zwist zwischen den europäischen Hauptstädten und der Zentrale in Brüssel über die Richtungsentscheidungen in der europäischen Wirtschaftspolitik. Juncker will gern Steuermann sein, aber über das Geld verfügen nur die Regierungschefs. Das führt zu Reibungen.
Juncker will selbst EU-Politik machen
Als er im vergangenen November ins Amt kam, wollte Juncker der Retter der europäischen Idee werden, der die gesunkene Begeisterung und die lahmende Wirtschaftsleistung Europas wieder in Gang bringt. Aber kaum saß er auf seinem Sessel im obersten Stock des Berlaymont-Gebäudest, holte ihn seine Vergangenheit als luxemburgischer Ministerpräsident ein. Die Lux-Leaks-Affäre brachte innerhalb weniger Tage die Frage auf, ob ein Politiker für den Chefposten in Brüssel geeignet ist, der als Ministerpräsident systematisch und über Jahre Großkonzernen bei der Steuervermeidung geholfen hatte. Drei Monate später aber scheint der Skandal schon jeden Schub verloren zu haben. Vielleicht spricht es für Junckers Können als Strippenzieher, dass er seinen Hals verblüffend schnell aus der Schlinge ziehen konnte.
Und weil Juncker weiß, das Angriff die beste Verteidigung ist, kam er blitzschnell mit seinem ersten großen Coup: Ein rund 320 Milliarden umfassendes Investitionsprogramm für Europa zur Ankurbelung der Konjunktur. Allerdings bewerteten viele Kommentare das Paket als "totale Luftnummer". Aber auf dem Papier ist es eine schöne Idee, die den Namen ihres Schöpfers trägt.
Griechenlandhilfe soll Ende der Sparpolitik bringen
Auch Griechenland sollte, nachdem die Neuwahlen in Athen die Fortsetzung des bestehenden Hilfsprogramms infrage gestellt hatten, von Junckers europäischen Aufbauplänen profitieren. Deshalb kam Alexis Tsipras gleich bei seiner ersten Tournee durch Europas Hauptstädte auf der Suche nach Verbündeten nach Brüssel. Und der warme Empfang bei der EU-Kommission konnte ihm Hoffnung machen.
Nur dass Jean-Claude Juncker hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatte - und das ist die Eurogruppe. Um den Griechen in ihrem Kampf mit den anderen Finanzministern aber beizustehen, ließ er der Delegation aus Athen ein Kompromisspapier aus der Kommission als Verhandlungsgrundlage zuspielen. Der lautstarke, aber unerfahrene Yanis Varoufakis legte es bei seinen Kollegen auf den Tisch und erklärte, das würde er unterschreiben und sonst nichts. Und outete damit die Juncker-Truppe als Ghostwriter für die griechische Seite.
"Einmischung von der Ersatzbank"
Der Kommissionspräsident sieht es als seine Aufgabe, die EU und den Euro unbedingt zusammen und die Griechen im Klub zu zuhalten. Und das stößt bei der Regierung in Berlin auf zunehmenden Unmut. Es werden Sticheleien kolportiert über "Einmischung von der Ersatzbank". Juncker wiederum sieht nach seinem Verständnis im Streit mit Griechenland mehr als ein reines Schuldner-Gläubiger-Verhältnis. Als Anfang des Monats schließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrem ersten Besuch bei Juncker in Brüssel eintraf, wurde auch sie wieder geküsst, gleichzeitig dementierten beide angestrengt jegliche Differenzen. Man sprach nur über das Positive: Kein Wort etwa zum deutschen Ärger über die Entscheidung der EU-Kommission in puncto Frankreich.
Juncker und sein französischer Währungskommissar Pierre Moscovici geben dem Dauer-Defizit-Sünder weitere zwei Jahre Zeit, die Neuverschuldung zu senken. Das bedeutet faktisch das Ende der Maastricht-Kriterien, jedenfalls kann man sie danach nicht mehr durchsetzen. Berlin sah aus politischer Rücksicht auf Paris davon ab, deswegen in Brüssel auf den Tisch zu hauen. Aber der deutsche Zorn, etwa bei Bundesfinanzminister Schäuble, war deutlich erkennbar.
Juncker hat keine Angst vor Zerwürfnis mit Berlin
Beinahe täglich soll Griechenlands Premier Tsipras inzwischen mit seinem besten Freund Juncker telefonieren. In der vergangenen Woche fragte er dann in Brüssel bei ihm und Parlamentspräsident Martin Schulz nach konkreter Hilfe: Es ging um Geld. Aber beide haben nichts zu geben, außer dem Hinweis auf mögliche Milliarden ungenutzter Zuschüsse aus dem EU-Etat.
Und nachdem auch Juncker erkennen musste, dass aus Athen wochenlang nichts kam außer Forderungen, wurde der Tonfall beim obersten Griechen-Versteher in der EU-Kommission etwas kühler: Er sei nicht zufrieden mit den Fortschritten, um die Vereinbarungen des Rettungsprogramms zu erfüllen. Eine klare Kritik an Tsipras. Dann aber wiederholte Juncker erneut seine Versicherung: "Ich schließe vollständig aus, dass die Verhandlungen scheitern". Ein klarer Widerspruch zu Wolfgang Schäuble, der am Tag zuvor einen ungeplanten Austritt Griechenlands aus der Eurozone für möglich erklärt hatte.
Und so arbeiten der Chef der EU-Kommission und die Regierung in Berlin teils gegeneinander, teils aneinander vorbei - jedenfalls verfolgen sie in entscheidenden Fragen unterschiedliche Ziele. Juncker will mehr Macht für Brüssel, Berlin die Entscheidungshoheit der Mitgliedsländer erhalten. Der Kommissionspräsident ist der Ansicht, Europa brauche eine Politikwende weg von Angela Merkels Sparpolitik und Deutschland müsse viel mehr Geld ausgeben. Die Bundesregierung pocht auf wirtschaftliche Genesung durch Reformen und sparsame Haushaltsführung. Dabei ist Jean-Claude Juncker politisch ein alter Fuchs und als Taktiker nicht zu unterschätzen. Beim Kampf um die Zukunft Griechenlands wird sich zeigen, inwieweit er den deutschen Einfluss aushebeln kann.