Jubeln über den Aufschwung – aber nicht zu laut
22. April 2015Steigende Löhne, so viele Beschäftigte wie nie zuvor und eine Konjunkturprognose, die nach oben korrigiert werden kann: "Wir gehen von einem deutlich stärkeren wirtschaftlichen Aufschwung aus, als Anfang des Jahres vermutet", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Berlin. In ihrer Frühjahrsprojektion geht die Bundesregierung davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem und im kommenden Jahr um 1,8 Prozent wachsen wird. Führende Konjunkturforscher hatten in der vergangenen Woche ein Gutachten vorgelegt, in dem sogar von 2,1 Prozent Wachstum für 2015 die Rede ist.
Der Wirtschaftsminister lässt aber lieber Vorsicht walten. "Wir müssen mit Risiken rechnen und sollten daher keine überschäumenden und überspringenden Erwartungen entwickeln." Die guten Wachstumszahlen seien verletzlich. Sowohl durch geopolitische Risiken, aber auch, weil zwei von drei Faktoren, die das Wachstum treiben, externe seien, auf die die Bundesregierung keinen Einfluss habe. Damit meint Gabriel die Abwertung des Euro und den deutlich gesunkenen Ölpreis. Aktuell beflügelt der schwache Euro die Geschäfte der deutschen Exporteure und der niedrige Ölpreis verleiht insbesondere dem Mittelstand bessere Perspektiven.
Bürger geben mehr Geld aus
Als Haupttreiber für die gute Konjunktur macht der Minister jedoch die privaten Konsumausgaben aus, die in diesem Jahr um zwei Prozent und 2016 um 1,6 Prozent zunehmen sollen. "Der Aufschwung kommt endlich bei den Menschen an, die von deutlichen Lohnsteigerungen profitieren können." Dazu kommt die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt. Die Zahl der Erwerbstätigen soll in diesem Jahr um 300.000 und im kommenden Jahr um 130.000 auf dann 43,1 Millionen steigen. Das wäre ein neuer Rekord. Die Zahl der Arbeitslosen werde auf 2,79 Millionen beziehungsweise 2,77 Millionen sinken.
Sigmar Gabriel warnt dennoch vor Selbstgefälligkeit. "Man muss aufpassen, dass man sich mit diesen Wachstumsprognosen nicht zufrieden gibt", sagt er. "Meine größte Sorge ist, dass die guten Prognosen uns dazu verleiten könnten, die Herausforderungen, die vor uns liegen zu unterschätzen." Derer macht er einige aus. An erster Stelle sei es die demografische Entwicklung, die Deutschland zu schaffen mache. Die Einwohnerzahl nimmt ab und die Bevölkerung wird älter. Das habe Folgen: "Ein Land mit einer alternden Bevölkerung hat eine andere Wirtschaftsdynamik als ein junges Land", so Gabriel.
Flüchtlinge integrieren
Die Sicherung der Fachkräftebasis ist schon jetzt eine Herausforderung für die deutsche Wirtschaft. Es müsse mehr in Bildung und Ausbildung investiert werden, bekräftigt der Wirtschaftsminister. "Aber auch die Debatte darüber, wie wir mit Flüchtlingen und Zuwanderung umgehen, auch mit Blick auf diese ökonomische Herausforderung, ist eine große Aufgabe, der wir uns stellen müssen." Wer als Flüchtling in Deutschland eine Ausbildung oder ein Studium absolviere, müsse unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus das Angebot erhalten, auf Dauer in Deutschland bleiben zu können. "Wir brauchen sie."
Einen weiteren Schwerpunkt sieht Gabriel im Ausbau der öffentlichen, insbesondere aber auch der digitalen Infrastruktur. "Datengetriebene Ökonomie", so laute das Stichwort und da habe Deutschland durchaus Nachholbedarf. "Wie kann Deutschland der Industrieausrüster der Welt bleiben?", fragt der Minister und verweist dabei auch auf die zu niedrigen privaten Investitionen. Seit zehn Jahren fließe das Geld eher in die Finanzmärkte als in die Realwirtschaft. Das müsse sich unbedingt ändern.
Mehr Geld in der Staatskasse
Da die Frühjahrsprojektion Grundlage für die im Mai anstehende Schätzung der Steuereinnahmen ist, ist schon jetzt absehbar, dass Bund, Länder und Gemeinden in ihren Haushalten mehr Spielräume haben werden. Über den konkret in Aussicht stehenden Zuwachs und dessen Verwendung lässt sich Bundeswirtschaftsminister Gabriel allerdings nichts entlocken. "Ich rate dazu, dass wir die Steuerschätzung abwarten und dann wird es eine Debatte geben, wie damit umzugehen ist."