Bauen Versicherungen bald Autobahnen?
21. April 2015Die Infrastruktur in Deutschland bröckelt. Ob Straßen, Brücken, oder Schleusen: Viele Bauten haben ihren Zenit überschritten. Flicken reicht nicht mehr, vieles muss in den nächsten Jahrzehnten erneuert werden. Der Bund will das nicht alleine stemmen und sucht nach Modellen, um private Investoren stärker zu beteiligen. Im kleinen Rahmen gibt es solche "öffentlich-privaten Partnerschaften" schon:
Ein Modell: Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP)
Auf der Baustelle in der Innenstadt von Hannover läuft alles nach Plan. Ende Juni muss das neue Justizzentrum schlüsselfertig übergeben werden. Kräftig mitinvestiert hat bei diesem Projekt eine große deutsche Versicherung, die Gothaer aus Köln.
Niedrige Zinsen – Versicherer suchen nach neuen Anlagemöglichkeiten
Traditionell investieren Versicherungen das Geld ihrer Kunden in Staatsanleihen und Pfandbriefe. Die Zinsen dieser Geldanlagen aber sind in den letzten Jahren stark gefallen. Gerd Weidenfeld, Abteilungsleiter Corporate Finance bei der Gothaer, sagt, dass "die liquiden Anleihemärkte nicht zuletzt durch das Anleihekaufprogramm der EZB nahezu ausgetrocknet sind und uns heute keine auskömmlichen Renditen mehr bieten."
Die Gothaer Versicherung findet es deshalb immer attraktiver, das Geld ihrer Versicherten in Infrastrukturprojekte zu investieren. Gerd Weidenfeld: "Sie bieten eine sehr lange Laufzeit mit sehr gut vorhersehbaren, sehr sicheren Zahlungsströmen. Das ist der Grund, weshalb wir da sehr interessiert sind."
Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) investieren die deutschen Versicherer bisher weniger als ein Prozent ihrer Kapitalanlagen in Infrastrukturprojekte. Die Gothaer Versicherung hat eine Vorreiterrolle und investiert bereits vier Prozent in Infrastruktur. Das Geld fließt vor allem in Immobilien und Projekte der Erneuerbaren Energien - wie Solar- und Windparks.
Strenge deutsche Eigenkapitalvorschriften
Versicherungen wie die Gothaer könnten sich vorstellen, bald auch Brücken und Autobahnen mitzufinanzieren. Noch gibt es in Deutschland rechtliche Hürden und sehr strenge Eigenkapital-Vorschriften. Im Vergleich zu Großbritannien gibt es in Deutschland daher nur wenige Großprojekte. Tim Ockenga vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft rät, ins Ausland zu schauen, wo "private Investitionen in Infrastruktur gängiger sind und von den Erfahrungen dort zu lernen."
Ein Beispiel auf diesem Weg: Der Ausbau der Autobahn A 7 von Hamburg Richtung Norden. Mit investiert hat hier ein Pensionsfonds aus den Niederlanden. Viele wollen die deutschen Vorschriften lockern und große Infrastrukturprojekte auch für deutsche Investoren freigeben.
Kritiker befürchten Doppelbelastung für Steuerzahler
Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten ist strikt dagegen. Deutsche Bürger zahlten ja bereits Steuern für Bau und Erhalt der Infrastruktur. Nun noch ihre Altersvorsorgebeiträge in Autobahnen zu stecken, hält Axel Kleinlein für eine Doppelbelastung: "Wenn eine Autobahn renoviert wird, dann muss ja irgendjemand die Maut zahlen, das ist dann auch wieder der Bürger, und wenn am Schluss diese Projekte gefährlich werden, weil sie riskant sind, dann muss womöglich am Schluss auch der Steuerzahler und damit auch wieder der Bürger nochmal in die Tasche langen."
Dieses Risiko sieht auch Gerd Weidenfeld von der Gothaer Versicherung. Das eingesetzte Kapital müsse absolut verlässliche Renditen bringen. Es gebe da viele Negativbeispiele, wo in Spanien, Italien oder Rumänien beispielsweise Einspeisevergütungen für Solarparks rückwirkend gekürzt wurden. Gerd Weidenfeld: "Sogar in Norwegen sind Durchleit-Entgelte für Pipelines, kurz nachdem sie an private Investoren verkauft wurden, um 90 Prozent reduziert worden. Das sind Sachen, da müssen wir als Investoren absolut sicher sein, dass das bei Infrastruktur-Projekten hier in Deutschland nicht passiert."
Versicherer fordern sichere Rahmenbedingungen
Um die Altersvorsorgebeiträge ihrer Mitglieder nicht zu gefährden, fordern Versicherer wie die Gothaer deshalb staatliche Garantien über lange Laufzeiten. Bei Autobahnen oder Brücken müsse, so Weidenfeld, klar sein, "dass der Bund hierfür garantiert oder das Land in regelmäßigen Abständen Entgelte dafür bereitstellt."
Bei Immobilienprojekten wie dem Justizzentrum in Hannover ist das vergleichsweise einfach: Die Gothaer hat das Gebäude an einen öffentlichen Träger vermietet und bekommt feste Mieteinnahmen für die nächsten 30 Jahre.