Jubel für Yildirim in Oberhausen
18. Februar 2017Die Veranstaltung läuft bereits seit rund zwei Stunden, das Vorprogramm ist absolviert, als er um kurz nach halb zwei endlich kommt: Binali Yildrim betritt unter dem hämmernden Bass von ohrenbetäubend lauter türkischer Popmusik die Bühne. Der Text des Refrains ist eingängig: Schlicht und einfach "Türkiye", "Türkei", schallt es aus den Lautsprechern. Unter Jubel begrüßen fast 10.000 Menschen in der Oberhausener Arena den türkischen Ministerpräsidenten.
Pathos liegt in der Luft, dafür hat schon das Vorprogramm gesorgt. Mehrere Parlamentarier und Minister der türkischen Regierungspartei AKP traten auf, mit einer Schweigeminute wurde gefallener türkischer Soldaten gedacht. Doch jetzt folgt die Rede Yildirims - der dramaturgische Höhepunkt der Veranstaltung, deren Titel keinen Zweifel daran lässt, weshalb Yildirim sich auf den Weg aus dem fernen Ankara gemacht hat. "Wer sein Land liebt, stimmt mit ja" ist der Werbeslogan für das Referendum über Präsident Erdogans geplante Verfassungsänderung am 16. April.
"Todesstrafe, Todesstrafe" - Mitten in Deutschland
Eingeladen hat der AKP-nahe und von der Partei finanzierte Verein Union Europäisch- Türkischer Demokraten (UETD). Man ist unter sich - dieses Gefühl setzt sich schnell durch. Zunehmend herrscht Volksfeststimmung, vor der Halle kann man Fanschals mit dem Konterfei des Republikgründers Atatürk und natürlich mit dem von Erdogan zu kaufen.
Für die AKP ist das ein wichtiges Ereignis - mit mehr als 1,4 Millionen in der Türkei Wahlberechtigten hierzulande ist der "Wahlbezirk Deutschland" nach Istanbul, Ankara und Izmir der viertgrößte.
Gleich zu Anfang richtet Yildirim die Grüße des Präsidenten aus, sie gehen fast im Jubel der Menge unter. Ein Muster, dass sich durch die Rede zieht: Egal, in welchem Zusammenhang der Name Erdogan fällt, die Menschen in der Halle jubeln. Jeder Hinweis auf den Putschversuch vom Juli 2016 wird mit Buhrufen quittiert und die Zuhörer auf der Tribüne kommentieren lautstark auch jede andere Äußerung von Yildirim.
Und dann, ohne, dass Yildirim das Thema direkt angesprochen hat, beginnt die Masse "Todesstrafe, Todesstrafe" zu skandieren - Erdogan propagiert sie seit dem Putschversuch. Die Halle ist in ein Meer türkischer Fahnen und orangefarbener AKP-Flaggen getaucht, türkische Spruchbänder zieren die Bande.
"Hasspolitik in Deutschland"
Viel Kritik hat es im Vorfeld an der Veranstaltung gegeben. Dass der Vertreter einer zunehmend repressiven Republik hier in Deutschland sprechen darf, bereitete selbst manch überzeugtem Verfechter der Rede- und Versammlungsfreiheit Bauchschmerzen. Während in der Türkei Oppositionelle und Journalisten - wie seit Freitag der deutsch-türkische Korrespondent Deniz Yücel - in Haft sitzen, lässt sich Yildirim mitten im Ruhrgebiet feiern. Die Veranstaltung zu verbieten, war allerdings juristisch nicht möglich.
Richtig so, findet Ilyas Ocak, der die Rede im Publikum verfolgt. Angela Merkel dürfe ja auch in der Türkei reden und Deutschand sei ein freies Land. Und die Türkei? Die werde auf jeden Fall ein friedlicheres Land werden, wenn die Mehrheit am 16. April mit "Ja" stimme. Der Terror werde dadurch bekämpft. "Für die Demokratie in der Türkei ist es die optimale Lösung", sagt Ocak. Der Erdogan-Fan mit der weißen Schirmmütze mit rotem "Erdogan"-Schriftzug betont: "Das heute ist ja keine Wahlkampfveranstaltung, sondern eine Informationsveranstaltung, die darüber informiert, warum ein Präsidialsystem besser wäre."
Nicht alle in Oberhausen teilen seine Meinung. Die Vertreter der vor zwei Wochen gegründeten Organisation "Nein" empfangen die Besucher der Stadt bereits am Morgen vor dem Bahnhof. Sie sind gegen Erdogans Vorhaben. "Was da geplant ist, ist eine faschistische Verfassung", sagt Gründer Yüksel Koc mit Nachdruck. Besonders stolz ist er darauf, dass sich in der Organisation Vertreter aus 40 verschiedenen Gruppen organisiert haben, darunter Kurden, Aleviten, türkische Demokraten und Frauengruppen. Ihnen will er eine Stimme geben - und hofft, sie wird lauter als die von Yildirim. Mit seiner Rede in Oberhausen trage Yildirim die "Hasspolitik nach Deutschland". Ein "Ja" beim Referendum mache die Türkei zur "Hölle", sagt er und bekräftigt. "Wir wollen ein freies Land".
Yildirim - "Einer aus dem Volk"
In Oberhausen geht die Rede des Ministerpräsidenten nach einer Stunde und zwanzig Minuten zu Ende. Wieder donnert der "Türkiye"-Pop aus den Boxen, die Besucher strömen zufrieden aus der Halle. Insgesamt war die Rede, so der Eindruck vieler Zuschauer, milder als sonstige Yildirim-Reden, weniger provokant, weniger angriffslustig.
"Er hat uns deutlich gemacht, dass wir Türken hier nicht allein sind", sagt Niyazi Kutlu, als er zusammen mit Yavuz Sarica am Ausgang steht. Der fügt noch lobend hinzu, dass Yildirim kein Intellektueller sei, sondern "das angesprochen hat, was uns angeht. Er ist einer aus dem Volk." Er sei respektvoll gewesen, habe der Stadt Oberhausen gedankt, die extra ein Fußballspiel verlegt habe. Und die Rufe nach der Todesstrafe aus der Menge? Kutlu wird nachdenklich: "Natürlich bin ich kein Freund des Tötens. Aber auch andere NATO-Staaten wie die USA haben die Todesstrafe, man kann das Thema nicht hier zwischen Tür und Angel diskutieren."
Weniger nachdenklich ist ein Erdogan-Freund, der seinen Namen lieber nicht auf dw.com lesen will: "Wenn sie ja sagen, sagen wir ja. Und wenn sie für nein wären, wären wir für nein." Die politische Zukunft der Türkei entscheidet sich am 16. April. Beim Auftritt in Oberhausen hat Yildirim sein Publikum offensichtlich schon mal voll für sich eingenommen.