Journalisten in Südosteuropa
3. Mai 2013"In Südosteuropa üben politische Parteien großen Druck auf Journalisten aus", sagt die bosnische Reporterin Elvira Jukić-Mujikić, die für ein Netzwerk für investigativen Journalismus auf dem Balkan tätig ist. Im DW-Gespräch kritisiert sie, dass in ihrem Heimatland Bosnien-Herzegowina die politischen Machthaber entscheiden, wer die wichtigsten öffentlichen Sender leiten soll. Chefredakteure und Intendanten würden manchmal sogar 20 Mal am Tag von Politikern angerufen, die ihnen mitteilten, welche Geschichten veröffentlicht werden sollten und welche nicht. Dieses Muster der Einflussnahme gelte auch für Serbien, das sich auf dem World Press Freedom Index 2013 von "Reporter ohne Grenzen" auf Platz 63 findet. Bosnien-Herzegowina liegt auf Platz 68 und Bulgarien hat sich im Vergleich zum Vorjahr sogar von Platz 80 auf Platz 87 verschlechtert.
In Mazedonien sei der Einfluss der Politiker auf die Medien sogar noch offensichtlicher, beklagt Maria Sevrieva, freie Journalistin aus Skopje, im DW-Interview. Viele der führenden politischen Akteure waren bis vor kurzem auch die Besitzer fast aller Medien des Landes. Das habe sich nur durch den Druck der EU auf den Beitrittskandidaten Mazedonien geändert. Doch obwohl einige Medienunternehmen jetzt andere Besitzer haben, sei der Einfluss durch die Politik immer noch stark: "Die Regierung zahlt die größten Summen für Werbung in den mazedonischen Medien - also kann man sagen, dass der größte Teil ihres Einkommens direkt von der Regierung abhängt."
Verlust von Werbekunden durch kritische Berichte
In Albanien (Platz 102 auf der Press Freedom Index-Liste) sind einige Besitzer von Bauunternehmen auch Eigentümer von Zeitungen oder TV-Sendern - und unterstützen bestimmte Politiker. "Oft geht es ihnen um eine Baugenehmigung oder andere Vorteile", erklärt Fatjon Kodra, der in Albanien als Journalist arbeitet.
Selbst wenn sie nicht die Besitzer von Medienunternehmen sind, beeinflussen Geschäftsleute in Südosteuropa deren Inhalte. Richard Meares kennt solche Fälle: Der freie Journalist und Trainer hat oft mit Reportern aus den Balkan-Ländern zu tun, die über Korruption berichten. Einer von ihnen habe ihm erzählt, dass ein kritischer Bericht über eine Firma dazu geführt habe, dass sich diese als Werbekunde zurückzog. "Die Journalisten, die ich auf dem Balkan treffe, sagen, dass ihre Chefs sie meist schon im Vorfeld davon abhalten, Beiträge zu schreiben, durch die man Anzeigenkunden verlieren könnte", sagt Meares im DW-Gespräch.
An Druck von Außen seien Journalisten in Südosteuropa gewöhnt, gibt er zu bedenken: "Während der kommunistischen Diktaturen konnte die Staatsmacht bestimmen, was publiziert wird". Heute habe sich alles verlagert: Der Druck komme eher aus dem wirtschaftlichen Bereich als aus dem politischen, meint Meares. "Was schlimmer ist, ist schwer zu sagen. In vielen dieser Länder ist ohnehin beides miteinander verwoben, weil Politiker oft gleichermaßen mächtige Geschäftsleute sind. Somit ist das manchmal gar nicht richtig zu unterscheiden."
Selbstzensur und familiärer Druck
Das sieht Goran Milić anders. Er arbeitet seit 43 Jahren als Journalist und Reporter und ist heute Leiter des Nachrichtenprogramms von "Al Jazeera Balkans". Journalisten würden sich "selbst unter Druck setzen, weil sie wissen, was das Publikum lesen wird und was nicht", behauptet er. Außerdem komme der Druck auch von der eigenen Familie: "Die Eltern sagen einem Journalisten oft: Wegen dem, was du schreibst, kann ich nicht einmal in Sicherheit über die Straße gehen. Wieso tust du mir das an?". Das führe zu einer Art freiwilligen Selbstzensur, gibt Milic zu bedenken.
Viele Journalisten aus Südosteuropa hoffen, dass die Situation der Medien durch den EU-Beitritt ihres Landes besser wird. In Rumänien sei das unmittelbar nach dem Beitritt 2007 so gewesen - aber nur für kurze Zeit, sagt Roxana Pricop, Redakteurin bei der wichtigsten rumänischen Wirtschaftszeitung "Ziarul financiar". "Heute ist die Situation der Journalisten in Rumänien schlimmer als vor dem EU-Beitritt. Daran sind aber nicht die Politiker schuld, sondern die Wirtschaftskrise", meint sie. Im krisengebeutelten Land seien Journalisten besonders besorgt, ihren Arbeitsplatz zu verlieren - und würden daher eher ungern über heikle Themen berichten.
Zur schlechten wirtschaftlichen Situation kommt in Mazedonien noch ein weiteres Problem: "Die Gesetzeslage zur Verleumdung ist zu streng", erklärt die mazedonische Journalistin Maria Sevrieva. "Medienbesitzer sind manchmal so ehrlich, ihren Mitarbeitern offen zu sagen: Wir haben kein Geld mehr, um vor ein Gericht gezerrt zu werden, also müssen wir alles vorsichtiger angehen. Wir wissen, dass das unprofessionell ist, aber wir können nicht auf dem Markt überleben, wenn wir Berichte über Korruption veröffentlichen." Mazedonien ist in Sachen Pressefreiheit das Schlusslicht in Südosteuropa: Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik liegt auf Platz 116 der Liste von "Reporter ohne Grenzen" - 22 Plätze schlechter als im Vorjahr.