Johnsons Drahtseilakt auf dem Gipfel
24. August 2019In Sachen Brexit haben Boris Johnson seine Besuche in Berlin und Paris nicht weitergebracht, zuhause braut sich eine innenpolitische Krise zusammen, und auch der G7-Gipfel wird dem neuen britischen Premier keine Verschnaufpause verschaffen. Boris Johnsons außenpolitische Feuertaufe hat ihn in eine zunehmende Isolation getrieben. Schuld ist die neue Distanz zu europäischen Partnern, aber auch die Versuchung, das Vereinigte Königreich enger an die USA zu binden - mit all den Risiken, die das mit sich bringt.
"Er steckt in den Brexit-Verhandlungen fest, die das wichtigste Element seiner Beziehungen mit Frankreich und Deutschland darstellen. Auf der anderen Seite hat das Vereinigte Königreich gerade in den vergangenen Jahren Positionen - zum Iran, zum Klimawandel, zum internationalen Handel, zu Russland - eingenommen, die sehr dauerhaft mit denen der europäischen Verbündeten übereinstimmen. Irgendwie muss er also erreichen, dass die Atmosphäre stimmt", sagt Thomas Raines, Leiter des Europäischen Programms der Londoner Denkfabrik Chatham House und früherer Mitarbeiter der Strategieabteilung des britischen Außenministeriums.
Die Aussicht auf schwindenden Einfluss in Europa zwingt das Vereinigte Königreich, sich anderswo nach neuen Freunden umzusehen - vor allem auf der anderen Seite des Großen Teiches, in der Person von US-Präsident Donald Trump. Nun können Äußerlichkeiten täuschen, aber beide, Trump und Johnson, zeigen eine Neigung zu kurzfristigen, populistisch geprägten Entscheidungen mit wenig Rücksicht auf die möglichen Folgen. Im gegenwärtigen politischen Klima kann diese Art Narzissmus besonders schädlich sein.
"Während eines G7-Gipfels versuchen die europäischen Länder im Allgemeinen, eine gemeinsame Position zu finden und eine Art europäischer Einheit zu bilden; aber das ist jetzt vorbei. Johnson und Trump werden zusammen gegen einige europäische Staaten antreten", sagt Claudia Schmucker, Leiterin des Programms Globalisierung und Weltwirtschaft der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Ende einer besonderen Freundschaft
Kurz nach Johnsons Amtsantritt als Premierminister nannte Donald Trump ihn wörtlich "Britannien-Trump" und schwärmte davon, wie wunderbar ihre Partnerschaft werden würde.
Aber genau darin liegt das Problem. Für Trump ist jemand nur solange sein bester Freund, wie er (oder sie) genau das tut, was Trump will. Und obwohl Johnson und Trump den Eindruck hervorrufen, als seien sie auf einer Linie, gibt es doch eine ganze Reihe internationaler Fragen, bei denen Großbritannien und die USA unterschiedlicher Meinung sind. Tatsächlich ist das Vereinigte Königreich vom Klimawandel bis zum Atomvertrag mit dem Iran ganz auf der Linie Europas. Das bringt es in eine unbequeme Lage.
Die traditionelle Rolle des britischen Brückenbauers zwischen US-amerikanischen und kontinentaleuropäischen Ansichten hat sich damit so gut wie erledigt. Das liegt einerseits an Johnsons schwachen Leistungen in seiner Zeit als Außenminister, die ihn bei seinen europäischen Kollegen nicht gerade beliebt gemacht haben, andererseits am US-amerikanischen Unilateralismus, der mit europäischen Positionen schwer vereinbar ist.
"Jeder, der sich einmal mit Trump zusammentat, um etwas von ihm zu erreichen, fand sich am Ende als Geschädigter wieder. Johnsons Vorgängerin als Premierministerin, Theresa May, gab sich anfangs große Mühe, um ein gutes Verhältnis zu Trump zu schaffen. Bei ihrer ersten Reise in die USA hielt sie sich mit Kritik am Präsidenten sehr zurück, obwohl er unglaublich undiplomatische Dinge sagte. Und am Ende hatte er sie politisch komplett auseinandergenommen. An Johnsons Stelle wäre ich deshalb ziemlich vorsichtig und würde mir keine Illusionen darüber machen, was erreichbar ist. Dinge können sich plötzlich sehr überraschend entwickeln, wenn Donald Trump es sich doch anders überlegt", sagte Thomas Raines im DW-Gespräch.
Kurz gefasst, verabscheut Trump Multilateralismus, also Verhandlungen und Diplomatie mit mehr als einem Partner, weshalb er auch die EU und ihren gemeinsamen Markt nicht mag und in Johnson einen natürlichen Verbündeten sieht.
"Er hat eine sehr seltsame Beziehung zur EU. Er will beweisen, dass er nach dem Austritt, den er für eine sehr gute Idee hält, enge Beziehungen mit Großbritannien knüpfen kann. Leider ist Großbritannien derzeit überhaupt nicht in der Lage, Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufzunehmen. Außerdem gibt es auch im Kongress, besonders bei den Demokraten, Widerstände gegen einen Deal, wenn er eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland einschließt. Trump versteht gar nicht, worum es geht. Was er will, ist ein Freihandelsabkommen, das in seiner Vorstellungswelt in zwei Tagen zu erreichen wäre", sagte Claudia Schmucker von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zur DW.
Politische Artistik
Letztlich ist es ein politischer Drahtseilakt, wenn Johnson einerseits versucht, Trump nicht zu reizen, wenn er sich in bestimmten Fragen auf die Seite der Europäer schlägt, andererseits aber auch nicht zu eng mit Trump erscheinen will, der in vielen Fragen ein weltpolitischer Irrläufer ist.
"Gewissermaßen ist Johnson in dieser Art von politischer Gymnastik besser als die meisten seiner Kollegen; er macht den Eindruck, jedermanns Freund zu sein. Ich glaube nur nicht, dass diese Nummer noch sehr glaubwürdig ist, besonders auf der Seite der Europäer", sagte Raines zur DW. "Für die Idee eines No-Deal-Brexit ist es vorteilhaft, sagen zu können, dass es mit den USA diese andere große Volkswirtschaft gibt, mit der wir sofort nach dem Ausstieg aus der EU einen Deal abschließen können. Aber die politischen Hindernisse für ein umfassendes Abkommen mit den USA sind auf beiden Seiten ziemlich massiv."
Bei politischen Gipfeltreffen sind Symbole oft wichtiger als konkrete Ergebnisse; und solange er sich keine Entgleisung erlaubt - worauf man sich nicht unbedingt verlassen sollte -, könnte der G7-Gipfel Johnson die Chance bieten, einen premierministerhaften Eindruck zu machen. Wenn ihm das gelingt, glaubt Raines, könnte Johnson das Treffen tatsächlich auf seiner politischen Habenseite verbuchen.