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Siemens-Ärger in Brasilien

Andreas Knobloch18. Juli 2013

Beim Bau von U-Bahn-Zügen in São Paulo und Brasilia soll es illegale Preisabsprachen und Kartellbildung gegeben haben. Der deutsche Siemens-Konzern zeigt sich selbst an, um sich vor Strafverfolgung zu schützen.

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Der Schriftzug des Technologiekonzerns Siemens (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Münchener Siemens-Konzern hat sich in Brasilien wegen illegaler Preisabsprachen und der Bildung eines Kartells selbst angezeigt. Es soll Verabredungen bei Ausschreibungen für Bau, Ausstattung und Wartung von Zügen und U-Bahnen in São Paulo und der Hauptstadt Brasilia gegeben haben. Das berichtete die brasilianische Tageszeitung Folha de S. Paulo in ihrer Ausgabe vom vergangenen Sonntag (14.07.2013).

Neben Siemens sollen dem Kartell weitere internationale Konzerne angehören, darunter das französische Unternehmen Alstom, Bombardier aus Kanada, die spanische CAF sowie Mitsui aus Japan. Durch illegale Verabredungen zwischen den Konzernen sei es bei den Ausschreibungen zu zehn bis zwanzig Prozent teureren Angeboten als marktüblich gekommen. Nach Angaben von Folha fand der Betrug mithilfe von Subunternehmen statt. Anfang des Monats hatte die brasilianische Wettbewerbsbehörde CADE (Conselho Administrativo de Defesa Econômica) die Unternehmenssitze von insgesamt 13 mutmaßlich involvierten Firmen in São Paulo, Diadema, Hortolandia und Brasilia durchsucht und Beweismittel beschlagnahmt. Die Auswertung des sichergestellten Materials kann sich allerdings bis zu drei Monate hinziehen.

Zwei Hochgeschwindigkeitszüge (Foto: picture-alliance/dpa)
Hochgeschwindigkeitszüge von Siemens - hier für die spanische EisenbahnBild: picture-alliance/dpa

Noch viele Ungewissheiten

Das Kartell trat bei mindestens sechs Auftragsvergaben in Erscheinung, so die Zeitung weiter. Über das gesamte Ausmaß der Absprachen, den Zeitraum sowie den mutmaßlichen Schaden herrsche aber noch Unklarheit. Bei den Fällen mit Beteiligung von Siemens geht es um Geschäfte von mehreren Hundert Millionen Euro. So erhielt der Konzern Ende der 1990er Jahre den Zuschlag für den Bau der U-Bahn Linie 5 in São Paulo mit einem Auftragsvolumen von 600 Millionen Reais (nach heutigem Kurs rund 204 Millionen Euro). Dabei soll es Absprachen mit dem französischen Alstom-Konzern gegeben haben.

Unregelmäßigkeiten gab es wohl auch bei der Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von zehn S-Bahnen im Jahr 2000, die Siemens zusammen mit Mitsui aus Japan baute. Und auch bei den 2007 unterzeichneten Verträgen über jährlich 96 Millionen Reais (rund 33 Millionen Euro) für die Wartung der U-Bahn in der Hauptstadt Brasilia spielte Siemens offenbar nicht nach den Regeln. Die Münchner und Alstom einigten sich damals darauf, den Auftrag zu teilen.

Schutz vor Strafverfolgung

Im Rahmen der Selbstanzeige vereinbarte Siemens nach Angaben von Folha mit den Strafverfolgungsbehörden eine Art Kronzeugenregelung. Als Gegenleistung für die Kooperation bei den Ermittlungen wird dem Unternehmen und seinen Führungskräften der Schutz vor Strafverfolgung zugesichert für den Fall, dass sich der Verdacht auf Kartellbildung bestätigt und es zu Sanktionen kommt. Unklar ist, wann genau es zur Selbstanzeige kam - mit den Behörden wurde Stillschweigen vereinbart.

Siemens-Chef Peter Löscher (Foto: Peter Kneffel/lby)
Lieber keine Aufträge, wenn Schmiergeld fließen muss: Siemens-Chef Peter LöscherBild: picture-alliance/dpa

Die dubiosen Geschäfte von Siemens selbst sind schon länger bekannt. Bereits im Juni 2008 gab es erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten. Ein brasilianischer Abgeordneter sowie ein ehemaliger Siemens-Mitarbeiter schilderten damals bis ins Detail wie Siemens mit anderen Konzernen Absprachen getroffen habe. Auch von Schmiergeldzahlungen war die Rede. Nachfolgende Untersuchungen ergaben aber keine konkreten Anhaltspunkte. Im Herbst 2010 tauchten dann erneut Verdachtsmomente auf. Wieder leitete Siemens interne Untersuchungen ein - erneut ohne Ergebnis.

Siemens-Affäre und andere Skandale

Ausgerechnet Siemens! Es ist ja noch nicht so lange her, da stand der Konzern im Mittelpunkt eines der größten Korruptionsskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Im November 2006 brachte die sogenannte Siemens-Affäre ein System von Schmiergeldzahlungen gewaltigen Ausmaßes ans Licht. Die damalige Siemens-Führung musste ihren Hut nehmen. Im Oktober 2007 verurteilte das Landgericht München den Konzern zu einer Geldbuße von 201 Millionen Euro. Auch die US-Börsenaufsicht ermittelte gegen Siemens, weil die Aktie an der Wall Street gelistet ist. Ein außergerichtlicher Vergleich kostete die Münchner 800 Millionen US-Dollar.

Bereits zuvor, im Januar 2007, waren elf multinationalen Unternehmen wegen illegaler Preisabsprachen und Kartellbildung von der EU zu Strafzahlungen von insgesamt 750 Millionen Euro verurteilt worden; der Löwenanteil von 400 Millionen Euro entfiel auf Siemens. In Folge des Skandals wurde ein Anti-Korruptionsprogramm beschlossen. Die neue Konzernführung unter Peter Löscher versprach, eher auf lukrative Geschäfte zu verzichten, als sich abermals illegaler Praktiken zu bedienen.

Der Fall in Brasilien zeigt, dass es nicht immer so leicht ist, den Versprechen auch Taten folgen zu lassen. In einer Stellungnahme nach Bekanntwerden der Selbstanzeige sagte Siemens nur, man sei über die Untersuchungen informiert und verwies auf die seit 2007 unternommenen Anstrengungen, ein effektives Kontrollsystem zu entwickeln und "die Verpflichtung aller Mitarbeiter, die kartellrechtlichen Bestimmungen zu befolgen". Man kooperiere "uneingeschränkt mit den Behörden".

Ausschreibung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke

Die Selbstanzeige durch Siemens ist in einem recht brisanten Moment bekannt geworden: Im kommenden Monat soll der Bau der 511 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitszugstrecke São Paulo - Rio de Janeiro ausgeschrieben werden, der ersten dieser Art in Lateinamerika. Die an dem Kartell beteiligten Konzerne gehören zu den aussichtsreichsten Kandidaten für den Zuschlag zu dem Megaprojekt, das die beiden wichtigsten Städte des Landes verbinden soll. Die brasilianische Regierung rechnet mit Kosten von 35 Milliarden Reais (12 Milliarden Euro). Neben den fünf mutmaßlich in illegale Preisabsprachen verwickelten multinationalen Konzernen sind nur fünf weitere Unternehmen weltweit in der Lage, Hochgeschwindigkeitszüge zu liefern, von denen wiederum nur die südkoreanische Rotem Interesse an dem Auftrag angemeldet hat. Vor diesem Hintergrund sind sowohl die Regierung in Brasilia als auch Siemens & Co. an einer möglichst geräuschlosen Einigung interessiert.