Zwischen Anfeindungen und Toleranz
21. Juli 2016"Wenn ich dieses Jahr 20.000 Menschen in der Gay Pride in Jerusalem sehe, dann könnte ich irgendwie damit abschließen", sagt Noam Eyal mit ruhiger Stimme. "Die Menge an Menschen würde zeigen, dass wir hier sind." Die letzte Pride in Jerusalem im Juli 2015 ruft schmerzvolle Erinnerungen in dem 31-Jährigen hervor.
Damals stach ein ultra-orthodoxer Mann auf die Teilnehmer ein und ermordete die 16-jährige Shira Banki. Sechs weitere Menschen wurden verletzt, darunter auch Noam Eyal. "Er kam von hinten und hat mich in der rechten Schulter getroffen", erinnert sich der Politikstudent. "Wir haben alle erst gar nicht realisiert, was da eigentlich passierte." Neben ihm wurde die junge Israelin so schwer verletzt, dass sie später im Krankenhaus verstarb.
Zehn Jahre zuvor hatte der Täter schon einmal zugestochen
Der Täter, Yishai Schlissel, war Wiederholungstäter. Er hatte bereits 2005 auf Menschen während der Gay Pride eingestochen und dafür eine zehnjährige Haftstrafe abgesessen. 2015 ging er wieder auf die Menge los, die in Jerusalem für ihre Rechte demonstrierte. "We are here to stay" (Wir sind hier, um zu blieben) lautet das Motto des diesjährigen 15. Umzugs für Toleranz.
Organisiert wird die jährliche Parade vom Jerusalem Open House, einem Zentrum, das sich um Schwule, Lesben und Transgender kümmert. "Es war eine Tragödie für uns alle, die wir jetzt immer in uns tragen. Seitdem fühlen wir uns nicht mehr sicher", sagt Tom Canning, Co-Leiter des Open House im Interview mit der DW. Die diesjährige Gay Pride sei deshalb so wichtig, um das Vertrauen wieder herzustellen. Und weil es der "einzige Tag im Jahr ist, wo wir offen auf der Straße in Jerusalem feiern können". Gleichzeitig sei es ein Protestmarsch, und man wolle Shira Banki ein Denkmal setzen.
"Geht doch nach Tel Aviv"
Rund 1000 Sicherheitsbeamte sollen den Protestmarsch durch die West-Jerusalemer Innenstadt schützen. Anders als in Tel Aviv ist die Gay Pride in Jerusalem eine ohnehin eher schlichte Angelegenheit - angepasst an die komplexe Situation der als konservativ geltenden Stadt. "Jerusalem als die Heilige Stadt ist ein Tabu", sagt Noam Eyal. "Selbst manche liberale Israelis fragen: Warum müsst ihr Eure Gay Pride ausgerechnet in Jerusalem abhalten, geht doch nach Tel Aviv." Anfeindungen aus religiösen und rechtsextremen Kreisen, die sich davon provoziert fühlen, gibt es aber trotzdem - wie jedes Jahr.
Die rechts-extremistische Organisation Lehava hat bereits, wie in den Jahren zuvor, eine Gegendemonstration angekündigt. Ihr Anführer, Bentzi Gopstein schrieb etwa in einem Facebook-Post, dass an diesem Donnerstag der "gesamte Dreck der Gesellschaft erscheinen würde", mit dem einzigen Ziel, die "heilige Stadt zu beschmutzen". Unterstützung dagegen gibt es in diesem Jahr erstmals vom israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin, der am Sonntag (17.7.) die Familie von Shira Banki und Vertreter der LGBTQ-Gemeinschaft empfing.
Hetze auf allen Kanälen
"Hetze gegen die LGBT-Community, und die Unterstützung, die diese Hetze erfährt, müssen aufhören", sagte der Präsident. Hetze von einigen prominenten Rabbis hätten ihn "sehr verletzt". Auch ein einflussreicher Rabbiner einer israelischen Armeeeinrichtung hatte gegen Schwule gehetzt.
Der Bürgermeister von Jerusalem wiederum, Nir Barkat, verurteilt die Hassparolen, will aber nicht an der Gay Pride teilnehmen. "Die Stadt, Polizei und ich werden alles tun, damit sie ihre Rechte ausüben können, aber sie sollten auch verstehen, dass sie damit die (religiösen) Gefühle anderer verletzen", wird er in einem Zeitungsinterview zitiert.
Jerusalem - eine komplizierte Stadt
Dass die Organisatoren vom Open House, einer Grassroots-Organisation, keine Politiker eingeladen haben, um auf der Kundgebung zu sprechen, sei deshalb auch eine Form des Protests. "Politiker hier reden zwar sehr viel, aber letztlich setzen sie nichts um", sagt Tom Canning. Auf Anti-Diskriminierungsgesetze warte man schon viel zu lange. Immerhin - seit dem Anschlag im letzten Jahr fände aber langsam ein Umdenken statt und Behörden seien offener für die Belange der Community in Jerusalem.
Anders als Tel Aviv, das gerne von Israel als die gay-freundlichste Stadt im Nahen Osten vermarket wird und deren jährliche Gay Pride zehntausende Besucher aus dem In- und Ausland anzieht, ist die Situation in Jerusalem komplizierter. "Zu uns kommen Araber, Juden, ultra-Orthodoxe, Säkulare. Wir spiegeln die ganze Vielfalt, Widersprüche und den Konflikt dieser Stadt wieder. Aber wir müssen noch immer um unseren Platz kämpfen, denn nicht jeder akzeptiert uns, und das betrifft nicht nur die Religiösen", sagt Tom Canning von Open House.
Aufklärungsarbeit in den Schulen
Das Zentrum in der Westjerusalemer Innenstadt setzt sich seit vielen Jahren für Schwulenrechte ein. Nur eine kleine Regenbogenflagge am Balkon verweist auf die Büroräume. Es gibt eine Klinik, Programme für junge und ältere Menschen, und seit letztem Jahr - in Gedenken an die ermordete Shira Banki - ein Programm, das sich um Aufklärung und Toleranz an Schulen bemüht und den Dialog mit der religiösen Gemeinschaft sucht.
Hadas Bloemendal engagiert sich für Jugendliche und wird einige von ihnen auf die Pride begleiten. Sie ist selbst in einem religiös-orthodoxen Umfeld aufgewachsen und sieht noch viel Handlungsbedarf. "Wir hören immer wieder von Schülern, die von ihren Lehrern vor der Klasse geoutet oder von Mitschülern gemobbt werden. Viele Schulen, egal ob religiöse oder säkulare, fangen jetzt erst an zu begreifen, dass sich etwas ändern muss."
Alle hoffen, dass diese Gay Pride friedlich abläuft. Gleich zu Beginn will sich ein schwules Pärchen das Ja-Wort geben - offiziell gibt es in Israel keine Heirat unter gleichgeschlechtlichen Partnern - aber genau deshalb wolle man damit ein Zeichen setzen. Auch Noam Egal wird dieses Jahr wieder dabei sein. "Das Wichtigste an der Gay Pride ist doch", sagt er, "dass Menschen sehen, dass Homosexuelle auch ganz normal sind. Auch wir sind Teil dieser Stadt."