Street Art gegen den Krieg
23. September 2021Schwarz-Weiß-Porträts auf rotem Hintergrund. Die Augen der abgebildeten Figuren sind große schwarze Löcher. "Kriege sind eine der Wurzeln des Bösen, sie machen Menschen zu Monstern, zu Opfern, und andere schauen zu und ignorieren sie", schreibt der Künstler Murad Subay in einer Bildunterschrift neben seinem Wandbild.
Der jemenitische Street-Art-Künstler hat sein jüngstes Werk auf eine Gebäudefassade des Berliner Union Film Ateliers (BUFA) gemalt.
Die BUFA ist der Hauptstandort des Berliner "Human Rights Film Festivals", das noch bis zum 25. September läuft. In seinem vierten Jahr steht das Festival unter dem Motto "The Art of Change" - die Kunst des Wandels.
Für Wandel steht auch Murad Subay. Er wurde von den Veranstaltern eingeladen, an einer Gruppenausstellung während des Festivals teilzunehmen und dieses Werk zu schaffen. Die Figuren sind Teil seiner Serie "Gesichter des Krieges", die zeigen soll, wie die "Schrecken des Krieges alles verschlingen", so der Künstler im DW-Gespräch.
Street Art als Symbol der Hoffnung
Murad Subay ist 1987 in Dhamar, Jemen, geboren. Er schuf die ersten Wandmalereien 2011 vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings, der auch im Jemen zu Protesten führte. Die jemenitischen Demonstrantinnen und Demonstranten forderten zunächst bessere wirtschaftliche Bedingungen, Reformen und das Ende der Korruption. Innerhalb weniger Monate jedoch schlossen sich bewaffnete Anhänger der Opposition an. Aus friedlichen Demonstrationen wurden gewalttätige Auseinandersetzungen, die zu heftigen Straßenkämpfen mit den Sicherheitskräften führten, vor allem in der Hauptstadt Sana'a.
Die von Raketen und Gewehrfeuer zerstörten Fassaden wurden zu Murad Subays Leinwand. "Ich wollte zeigen, dass es an diesen Orten Kunst gibt, dass es Hoffnung gibt, dass die Menschen auch in einem sehr düsteren Moment, in dem ein Land über seine Geschichte entscheidet, noch kämpfen", erklärt er.
Vergleich mit Banksy
Subay wird gerne mit seinem berühmten Street Art-Kollegen Banksy verglichen. Er jedoch arbeitet nicht alleine und nicht anonym. Im Gegenteil: Er bezieht die Menschen in seiner Umgebung mit ein in seine "Kampagnen" - so nennt er seine Street-Art-Projekte. 2012 hatte er eine Kampagne unter dem Motto "Macht die Wände eurer Straße bunt" gestartet und Passanten dazu eingeladen, sich mit Künstlern und Freunden zusammenzutun, um einen gemeinsamen Raum zu schaffen, in dem jeder entweder einen Pinsel in die Hand nehmen oder sich einfach nur treffen und unterhalten konnte.
Er wollte damit erreichen, dass "die Kunst nie weit weg von den Menschen ist", sagt er. "Im Jemen haben wir keine Galerien oder Museen, also muss die Kunst zu den Menschen auf der Straße gehen." Es folgten weitere Kampagnen. Als der Künstler seine fünfte Serie "Ruins" (Ruinen) startete, erfasste Anfang 2015 der Bürgerkrieg das Land.
Die schlimmste humanitäre Krise weltweit
Der immer noch andauernde Mehrfrontenkrieg im Vielvölkerstaat Jemen begann Ende 2014, als schiitische Huthi-Rebellen die Kontrolle über Sanaa übernahmen. Kurze Zeit später nahmen die Huthi auch den Präsidentenpalast ein, die Regierung trat zurück. Daraufhin schaltete sich eine von Saudi-Arabien angeführte, mehrheitlich sunnitische Koalition von Golfstaaten in den Konflikt ein. Die Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung sind katastrophal. "Die schlimmste humanitäre Krise der Welt verschlimmert sich weiter, und der Hilfsbedarf ist so groß wie nie zuvor", heißt es in einer am 22. September veröffentlichten Pressemitteilung der Generaldirektion für Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (GD ECHO).
Bei einer Gesamtbevölkerung von 32,5 Millionen (2020) müssen fast vier Millionen Binnenflüchtlinge in Lagern versorgt werden. Nach Angaben der GD ECHO sind im Jemen 20,7 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen, mehr als 16,1 Millionen von ihnen sind akut von Hunger bedroht.
Kritik an der Internationalen Gemeinschaft
Inmitten des Konflikts musste Murad Subay den Jemen verlassen. Von Aktivisten und Meinungsmachern würde erwartet, dass sie Partei ergreifen, sagt der Künstler. "Aber ich habe alle Parteien kritisiert, weil sie alle Verbrechen begehen." Einer seiner Brüder ist Journalist. Ihm wurde zweimal ins Knie geschossen. Murad wurde mehrmals observiert, seine Kunst konnte er so nicht mehr ausüben. Vor zwei Jahren kam er mit Hilfe eines internationalen Schutzprogramms für verfolgte Künstler nach Paris. Dort machte er weiter. Er schuf unter anderem ein Wandgemälde, das den Verkauf französischer Waffen an Saudi-Arabien anprangert. Auch Deutschland trägt zu dem Stellvertreterkonflikt bei, indem es Waffen an Länder exportiert, die in der von Saudi-Arabien angeführten Koalition kämpfen.
"Leider profitieren viele Unternehmen in Europa vom Krieg", sagt Subay, der auch das Schweigen der Internationalen Gemeinschaft kritisiert. "Die Jemeniten sind diejenigen, die den Preis dafür zahlen."
Trotz der düsteren Aussichten für sein Heimatland sagt der Künstler, dass es für ihn am wichtigsten sei, sich weiterhin zu engagieren: "Mein Ziel ist es nun, mich auf die Bildung zu konzentrieren", sagt er. "Denn alles Böse kommt aus der Unwissenheit."