Japan bangt und hofft
18. Dezember 2013Japan hat eine ausgesprochene Inselmentalität. Obwohl das Land exportabhängig wie kaum ein anderes ist, sucht es im Ausland keine Hilfe bei seinen gewaltigen Problemen. Als erstes großes Industrieland wird es mit voller Wucht die demografischen Herausforderungen zu spüren bekommen. Die Bevölkerung altert. Wenn überhaupt sind junge Menschen in Tokio nur in angesagten Vierteln wie Shibuya präsent. Ansonsten prägen vor allem ältere Menschen das Straßenbild. Aktuellen Prognosen zufolge wird die japanische Bevölkerung bis zum Jahr 2060 um ein Drittel schrumpfen. Für das Land ist das dramatisch. Schon jetzt fehlen Fachkräfte, aber auch Personal für Pflegedienste ist schwer zu bekommen. Japan versucht nur zögerlich, gegenzusteuern, mit Robotern beispielsweise.
Letztlich aber, da sind sich viele Ökonomen einig, ist die Überalterung der Gesellschaft das größte Problem des Landes. Mit einem Ausländeranteil von gerade einmal rund eineinhalb Prozent ist es abgeschottet. Ministerpräsident Shinzo Abe will keine Menschen aus dem Ausland holen, beispielsweise von den Philippinen. Zuwanderung ist kulturell nicht erwünscht. Stattdessen setzt er auf das große Potenzial der Frauen, die am Arbeitsleben in Japan bislang kaum ernsthaft teilnehmen.
Sozialversicherungssysteme belasten den Haushalt
Bei einem Gesamthaushalt von 100 Billionen Yen (ca. 705 Milliarden Euro) nehmen die Ausgaben für die Sozialversicherungssysteme mit 30 Billionen Yen rund ein Drittel ein. Ein gewaltiger Ausgabenposten. Für Kazuhiko Nishizawa, Ökonom am Japan Research Institute in Tokio, steht eine stabile Rentenfinanzierung ganz oben auf der Liste der nötigen Reformen. Zwar könnten die "Unternehmen noch mehr für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter sorgen", damit die Kranken- und Sozialabgaben geringer werden, letztlich aber blieben die Senioren ein großer Kostenfaktor. Daher werde die "japanische Wirtschaft, verglichen mit anderen Ländern, an Wettbewerbsfähigkeit verlieren".
Zeit ist reif für Mehrwertsteuererhöhung
Ministerpräsident Abe versucht mit vielen Maßnahmen, dagegen zu steuern. Im Dezember hat das Parlament ein weiteres Konjunkturpaket gebilligt. Zusammen mit geplanten Ausgaben der Provinzregierungen wird der Staat umgerechnet rund 130 Milliarden Euro in die Belebung der Wirtschaft stecken. Davon sollen gerade auch Kleinunternehmen profitieren. Martin Schulz, Ökonom am Fujitsu Research Institute in Tokio, hält diesen Schritt für angebracht: "Die Konjunkturbelebung für 2014 müsste damit relativ sicher sein." Ungewiss bleiben aber die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung, die für April geplant ist. In einem ersten Schritt wird sie von fünf auf acht und später - eine stabile Wirtschaft vorausgesetzt - auf zehn Prozent heraufgesetzt. Die Binnenkonjunktur wird zunächst leiden. "Der Schritt ist aber absolut notwendig, um Japan wieder langfristig auf solide Füße zu stellen", sagt Schulz.
Schmusekurs: Breite Unterstützung für Shinzo Abe
Kritik am Kurs Abes wird in Japan selten und auch nicht heftig geäußert. Führende Experten unterstützen ihn. Abenomics beruht auf drei Säulen. Die Japaner sprechen von Pfeilen, die jetzt abgeschossen werden. Erstens flutet die Bank of Japan den Geldmarkt, auf Geheiß Abes fährt die Notenbank also eine ultralockere Geldpolitik, die allerdings bislang noch nicht zur Konjunkturbelebung führte. Zuletzt vermeldete die Regierung eher enttäuschende Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt. Die Wirtschaft wuchs mit einer Jahresrate von real rund 1,1 Prozent. Der zweite Pfeil sind die bereits erwähnten milliardenschweren Konjunkturhilfen. Drittens sollen massive Strukturprogramme dafür sorgen, dass die Wirtschaft dauerhaft auf Kurs bleibt. Naoyuki Yoshino, Wirtschaftsprofessor an der Tokioter Keio Universität, unterstützt diesen Kurs. "Die Regierung muss die Ausgaben kürzen und auf der anderen Seite die Steuereinnahmen erhöhen. Eine der größten Ausgabeposten sind die Sozialsysteme."
Keine Blasenbildung in Sicht
Befürchtungen, dass die lockere Geldpolitik zu Fehlentwicklungen führen könnte, gibt es in Japan nicht. Noch glauben Experten an die heilende Wirkung dieser Maßnahme. Das Programm sei wirksam, meint Naoyuki Yoshino, einen Strategiewechsel werde es nicht geben, bevor die Wirtschaft wieder ansehnlich wachse. Auch Martin Schulz hält die Maßnahmen nicht für besorgniserregend, immerhin "sind wir hier noch im Bereich von Deflation oder extrem niedriger Inflation, da ist eine Blase bisher noch nicht zu sehen."