Jamaika-Sondierungen - und dann?
15. November 2017Angenommen, CDU, CSU, FDP und Grüne wollen Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Was sind die nächsten Schritte?
Dann beraten zunächst die Führungsgremien der beteiligten Parteien über das Ergebnis der Sondierungsgespräche: Reicht es tatsächlich aus, um Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, an deren Ende eine stabile Regierung steht? Die CDU trifft sich am Freitag und Samstag zu einer zweitägigen Vorstandsklausur in Berlin, die FDP-Spitze und der Bundesvorstand der Grünen tagen ebenfalls am Freitag. Die CSU plant für Samstag eine Sitzung des Parteivorstands in München.
Auch die Bundestagsfraktionen der Parteien kommen zu Sondersitzungen zusammen. Der Beratungsbedarf ist groß, denn schließlich hat es auf Bundesebene noch nie Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen gegeben. Alle Parteien werden Punkte definieren, bei denen sie ihre Position noch schärfen wollen.
Wie werden die Mitglieder der beteiligten Parteien eingebunden?
Das handhaben die Parteien unterschiedlich. CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel will auf fünf Konferenzen in Stuttgart, Düsseldorf, Hannover, Leipzig und Darmstadt für ein Jamaika-Bündnis werben und auch das schlechte Wahlergebnis thematisieren - die Union verlor 8,5 Prozent der Stimmen. Eingeladen zu den zweistündigen Diskussionsrunden (19. bis 25. November) sind Amts- und Mandatsträger der Partei.
Während eine Information der Mitglieder in allen Parteien vorgesehen ist, planen nur die Grünen bereits nach den Sondierungen eine Abstimmung: Auf einem Parteitag am 25. November in Berlin lassen sie ihre Basis darüber entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen oder nicht. Die anderen Parteien berufen erst nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen Parteitage ein oder lassen ihre Mitglieder per Brief oder Online-Votum über den Koalitionsvertrag abstimmen.
Wann könnten die Koalitionsverhandlungen beginnen und wie lange dauern sie?
Nach dem Parteitag der Grünen am 25. November könnten die Verhandlungen beginnen. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Trotz der vierwöchigen Vor-Sondierungen könnten die Verhandlungen immer noch scheitern. Wenn alles glatt läuft, steht noch vor Weihnachten der Koalitionsvertrag, das Regierungsprogramm für die kommenden vier Jahre, und die Besetzung der Ministerposten ist geklärt. Anfang Januar könnte dann die erste schwarz-gelb-grüne Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen.
Was passiert, wenn die Sondierungsgespräche für ein Jamaika-Bündnis scheitern?
In diesem Fall könnte CDU-Chefin Angela Merkel auf die SPD zugehen und klären, ob sie bei ihrem kategorischen Nein zu einer Regierungsbeteiligung bleibt. Rein rechnerisch wäre eine Neuauflage der großen Koalition möglich: CDU/CSU und SPD hätten zusammen 399 von 709 Stimmen, also eine klare Mehrheit im Bundestag. In der SPD tendiert die Bereitschaft dazu allerdings gegen Null, da die Partei sich nach ihrer Wahlschlappe in der Opposition regenerieren will. "Wir stehen nicht als Reserverad zur Verfügung", heißt es bei den Sozialdemokraten. "Wenn Frau Merkel keine Regierung hinbekommt, muss es Neuwahlen geben", fordert SPD-Chef Martin Schulz, ihr unterlegener Herausforderer.
Könnte Merkel eine Minderheitsregierung bilden?
Das könnte sie, zum Beispiel zusammen mit der FDP. Diese Regierung müsste sich dann für jedes politische Projekt von neuem eine Mehrheit im Bundestag suchen. Politische Instabilität wäre die Folge, weshalb diese Option nicht nur unbeliebt, sondern auch wenig wahrscheinlich ist.
Scheitern die Jamaika-Sondierungen, wäre es auch denkbar, dass Merkel sich vom Parteivorsitz zurückzieht und auf eine weitere Amtszeit verzichtet. Dann müsste ein anderer Politiker aus der Mehrheitspartei CDU das Heft in die Hand nehmen und sich um die Bildung einer Regierung bemühen. Für eine solche Entwicklung gibt es aber bisher keine Anzeichen.
Kommt es zu Neuwahlen, wenn die Sondierungen scheitern?
Neuwahlen sind schnell gefordert, aber schwer zu erreichen. Damit nicht gewählt wird, "bis das Ergebnis stimmt", gibt es in der Verfassung gewisse Hürden: Zuerst müsste der Bundestag einen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin wählen - auf Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Angenommen, Steinmeier schlüge Angela Merkel als Kandidatin der stärksten Fraktion vor. Dann bräuchte sie die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags, also mindestens 355 der 709 Stimmen. CDU und CSU haben zusammen aber nur 246 Stimmen. Sollte Merkel in geheimer Abstimmung dennoch die absolute Mehrheit erzielen, müsste Steinmeier sie zur Bundeskanzlerin ernennen.
Und wenn Merkel die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang verfehlte?
Dann geht das Recht, einen oder mehrere Kandidaten vorzuschlagen, auf den Bundestag über. Erhält in der zweiten Runde erneut kein Kandidat die absolute Mehrheit, dann folgt binnen 14 Tagen die dritte Wahlphase, in der die einfache Mehrheit der Stimmen reicht. Danach wäre wieder der Bundespräsident am Zug: Würde der Bundestag Angela Merkel mit einfacher Mehrheit wählen, dann könnte Steinmeier sie innerhalb von sieben Tagen zur Bundeskanzlerin ernennen und faktisch eine Minderheitsregierung ins Amt bringen. Oder er könnte den Bundestag auflösen. Dann müsste binnen 60 Tagen neu gewählt werden.
Könnte die Bundeskanzlerin selbst Neuwahlen herbeiführen?
Würde Angela Merkel erneut zur Bundeskanzlerin gewählt und erwiese sich ihre Regierung als instabil, könnte sie die Vertrauensfrage stellen, den Bundestag also um ein Vertrauensvotum bitten. Bekäme sie dies nicht, wären die Voraussetzungen für eine Neuwahl gegeben. In der Geschichte der Bundesrepublik lösten drei Bundeskanzler auf diese Weise vorzeitige Neuwahlen aus: Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD).
Alle drei Kanzler wählten den Weg einer Vertrauensfrage, die sie gar nicht gewinnen wollten, um Neuwahlen zu ermöglichen. Allerdings taten sie dies nicht gleich zu Beginn der Legislaturperiode. Diese Option ist der Bundeskanzlerin im Moment noch verwehrt: Da sie sie derzeit nur geschäftsführend im Amt ist, darf sie weder die Vertrauensfrage stellen, noch darf ihr der Bundestag das Misstrauen aussprechen.
Sind die Jamaika-Anwärter also zum Erfolg verdammt?
So sehen es die meisten Politikwissenschaftler. Denn bis zu möglichen Neuwahlen bliebe Deutschland im politischen Leerlauf und wäre international nur eingeschränkt handlungsfähig. Und wofür? Für ein Wahlergebnis, das laut aktuellen Umfragen jenem vom 24. September stark ähneln würde. Dann wäre die Option "Jamaika" sehr schnell wieder auf dem Tisch, der Bund aber um mindestens 90 Millionen Euro ärmer - so viel würde die Organisation einer Neuwahl kosten.