Jamaika, die Ampel - und ihre Chancen
27. September 2021Nach der Wahl ist vor den Sondierungsgesprächen und vor den Koalitionsverhandlungen. So wie klar ist, dass die SPD vor der Union die Wahl gewonnen hat, so klar ist auch: Grüne und FDP sind die wichtigsten Gesprächspartner der kommenden Wochen, um mögliche Koalitionen auszuloten. Der Ausgang der Wahl, aber auch die nächsten Schritte wurden am Montag auch in den Gremiensitzungen der Parteien besprochen.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wertete das Ergebnis der Bundestagswahl als klaren Regierungsauftrag für eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen. Die Wählerinnen und Wähler hätten sehr klar gesprochen, sagte Scholz. Drei Parteien - SPD, Grüne und FDP - hätten Stimmen hinzugewonnen. Diese drei sollten die nächste Regierung bilden. "Man sieht hier eine sehr glückliche SPD", sagte er weiter bei einem gemeinsamen Auftritt mit Manuela Schwesig und Franziska Giffey, den Wahlsiegerinnen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
Ampel- oder Jamaika-Koalition?
Grünen-Co-Parteichef Robert Habeck deutete im "Deutschlandfunk" an, eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu bevorzugen. Alles hänge bei den anstehenden Sondierungen zur Bildung einer neuen Regierung von den Inhalten ab. Die SPD liege bei der Bundestagswahl aber relativ deutlich vor der Union und habe auch progressivere Ansätze. "Eine Ampel ist nicht Rot-Grün, sondern es ist ein Bündnis, das nach eigenen, völlig anderen Regeln funktioniert."
Das würde auch für ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP gelten, ergänzte Habeck. Eine eigene Identität sei nötig, die nun ausgelotet werden müsse. "Es macht Sinn, am Anfang nicht das Trennende zu suchen." Vor vier Jahren sei aber bei den damaligen Jamaika-Verhandlungen explizit auch das Trennende aufgeschrieben worden. Das funktioniere in keiner Partnerschaft. "Das kann ja gar nichts werden." Als Mindestziele nannte Habeck, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen und die soziale Schieflage nicht zu vergrößern.
Grüne und FDP wollen miteinander sondieren
Zuerst werden aber wohl Grüne und FDP miteinander sprechen. Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, kündigte Gespräche im kleinen Kreis mit der FDP an. "Es wird erstmal in sehr kleinem Kreis zwischen FDP und Grünen gesprochen werden", sagte Hofreiter im ARD-"Morgenmagazin". "Da wird man sehen: Was gibt es an Gemeinsamkeiten, allerdings was braucht auch die jeweils andere Seite, damit es klappen kann." Dabei sei es ihm wichtig, den Staat zu modernisieren und das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.
Dabei dürfe bei einer Koalition nicht auf den "kleinsten gemeinsamen Nenner" hingearbeitet werden. "Es muss vollkommen klar sein, dass das nächste Jahrzehnt ein Investitionsjahrzehnt wird." So erwog er auch die Öffnung der Schuldenbremse - "sonst verschulden wir uns bei den jungen Menschen im Land".
Auch der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, hielt Koalitions-Vorgespräche mit den Grünen für eine gute Idee. "Wir sehen, dass mit dem gestrigen Tag ein neues Kapitel angebrochen ist für das Parteiensystem in Deutschland: Die Grünen und die FDP erreichen ja zusammen mehr Prozente als die Union und die SPD", sagte Kuhle im "Morgenmagazin". Deshalb sei es sinnvoll, gemeinsam zu überlegen, "welche Form von Modernisierung für das Land möglich ist".
Es gebe zwar "fundamentale Unterschiede" zwischen der FDP und den Grünen, etwa bei der Frage nach der Bewältigung des Klimawandels oder in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, hob Kuhle hervor. "Trotzdem ist in den vergangenen vier Jahren im Parlament der Respekt voreinander gewachsen." Inhaltlich müssten sich beide Parteien aufeinander zu bewegen.
Nach dem Wahlsieg der SPD bekräftigte deren Generalsekretär Lars Klingbeil den Anspruch der Sozialdemokraten, eine neue Bundesregierung zu bilden. Es brauche jetzt eine Regierung, die von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz angeführt werde, sagte Klingbeil im "Morgenmagazin". Die Union und deren Kanzlerkandidat Armin Laschet seien die "großen Verlierer" der Wahl - und daraus leite sich "sicher kein Regierungsauftrag" ab.
CSU kritisiert Laschet wieder
Das sehen wohl auch Mitglieder des CSU-Vorstands so. Nach dem Unions-Absturz bei der Bundestagswahl ist dort deutliche Kritik an CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet laut geworden. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte in der Vorstandssitzung nach Teilnehmerangaben, es habe bei der CDU Schwächen bei Kurs, Kampagne und beim Kandidaten gegeben.
Bayerns Junge-Union-Chef Christian Doleschal sagte demnach, man müsse ehrlich analysieren, dass die Union diese Wahl nicht gewonnen habe. Der Kandidat sei hierbei als erstes zu nennen: Dieser habe bis zum Wahltag jedes Fettnäpfchen mitgenommen, das es gegeben habe.
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sprach intern von einem bitteren Ergebnis für die Union - und erinnerte daran, dass CSU-Chef Markus Söder im Frühjahr das Angebot gemacht hatte, selbst Kanzlerkandidat zu werden. Und mit ihm hätte die Union viel besser abgeschnitten.
Auch die CDU murrt
Auch aus den Reihen der CDU kommt Kritik. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte vor den Beratungen des CDU-Vorstands, man müsse intern über notwendige Maßnahmen zur Neuaufstellung der CDU inhaltlich und auch in anderer Hinsicht beraten. "Wir haben ein Ergebnis, das ich mir vor wenigen Monaten noch nicht einmal in den schlimmsten Alpträumen vorstellen konnte", so Altmaier. Die CDU habe weite Teile der Wechselwähler der Mitte nicht ansprechen können.
Der CDU-Vizevorsitzende Jens Spahn forderte nach dem Wahl-Debakel zudem einen Generationswechsel in seiner Partei. "Die nächste Generation nach Angela Merkel muss jetzt dafür sorgen, dass wir im nächsten Jahrzehnt zu alter Stärke finden", sagte der Bundesgesundheitsminister dem "Spiegel". Man müsse den Absturz aufarbeiten. Als Beispiele für jüngere Politiker nannte Spahn etwa die Ministerpräsidenten Tobias Hans im Saarland und Daniel Günther in Schleswig-Holstein, die im nächsten Jahr vor Wahlen stünden. Zudem hob er den Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann und die CDU-Vize Silvia Breher hervor. Die Union habe trotz des Absturzes "ein Potenzial von über 30 Prozent".
Auch Kanzleramtschef Helge Braun zeigte sich enttäuscht über das Wahlergebnis der CDU. "Für uns ist das Ergebnis bitter, und die CDU wird sich sicher nicht damit abfinden, eine Unter-30-Prozent-Partei zu sein", sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Er könne sich eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen vorstellen: "Da glaube ich, ist die Jamaika-Koalition auch etwas, das sehr großen Charme entfaltet." Braun nannte auch eine große Koalition mit der SPD als Möglichkeit. "Die SPD kann nicht für sich in Anspruch nehmen, dass sie der alleinige Aufbruch ist", so Braun.
Für das CDU-Präsidiumsmitglied Norbert Röttgen zeigte das CDU-Ergebnis vor allem eines: "Wenn das so bleibt, sind wir nicht mehr Volkspartei."
jwa/sti (dpa, afp, rtr)