IWF-Chefin: "Frühling liegt in der Luft"
20. April 2017Das aktuelle Wetter in Washington, Regen bei niedrigen Temperaturen, entsprach eher den Erwartungen der Teilnehmer der Frühjahrstagung. Im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit stand zunächst Deutschland. Finanzminister Wolfgang Schäuble sah sich wieder einem Vorwurf ausgesetzt, der schon seit Jahren erhoben wird: Der Handelsbilanzüberschuss. Deutschland exportiert weit mehr als es importiert. Der amtierende US-Präsident macht unter anderem den deutschen Exportüberschuss für die wirtschaftlichen Probleme seines Landes verantwortlich. Sein Vorwurf lautet, Deutschland verschaffe sich in unfairer Weise Handelsvorteile.
Keine dirigistischen Maßnahmen
Vor Beginn der Tagung hatte auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, ihre Kritik am deutschen Exportüberschuss erneuert: "Nicht alles davon ist gerechtfertigt." Deutschland habe aber das Recht, die Effekte aus seiner alternden Bevölkerungsstruktur abzufedern.
Lagarde räumte ein, dass die Bundesrepublik bereits am Abbau arbeite und seine Investitionen etwa in die Kinderbetreuung und in die Integration von Flüchtlingen ausbaue. "Ich habe Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt, dass Investitionen in den Ausbau der Breitband-Infrastruktur eine gute Idee wären", sagte Lagarde. Überschüsse kann man auch investieren, lautet das Credo in Washington.
Wolfgang Schäuble machte in Richtung Donald Trump darauf aufmerksam, dass das Handelsbilanzdefizit der USA mit Deutschland bereits von 77 auf 68 Milliarden Dollar geschrumpft sei. Der Überschuss sei das Ergebnis der Qualität und der Attraktivität deutscher Produkte, nicht staatlicher Eingriffe. Diese lehnt der Minister ab: "Es gibt weder vernünftige Maßnahmen, die Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss senken, noch brauchen wir aktive wirtschaftspolitische Maßnahmen, um dies zu erreichen", sagte Schäuble.
Die Erklärungsnot des Exportweltmeisters
Deutschland war 2016 erneut Exportweltmeister mit einem Rekordüberschuss von 252,9 Milliarden Euro. Der Exportüberschuss erreichte deutlich über acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die EU sieht mehr als sechs Prozent als Problem für die Stabilität an.
Schäuble, der derzeit Vorsitzender in der Finanzministergruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenstaaten (G20) ist, verwies in diesem Zusammenhang auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB). Er selber habe die EZB gewarnt, dass die von der Notenbank anvisierte leichte Lockerung der Geldpolitik die deutschen Exporte weiter anschieben und damit die Überschüsse "enorm" steigern würde: "Deshalb will ich nicht für die Konsequenzen kritisiert werden."
Europäischen Währungsfonds gefordert
Außerdem sprach sich Wolfgang Schäuble (CDU) für den zügigen Aufbau eines Europäischen Währungsfonds aus. Auf die Frage, ob dieser in nächster Zeit kommen sollte, sagte er: "Ich denke ja."
Es sei Zeit, ein europäisches Rettungsprogramm aufzubauen. Davon habe er auch Kanzlerin Merkel überzeugt. Diskutiert werde, den Euro-Rettungsfonds ESM zu einem solchen Fonds auszubauen. Die EU-Kommission werde allerdings nicht begeistert sein.
Die Bundesregierung plant schon länger für künftige Krisen in der Eurozone ohne den Internationalen Währungsfonds. An dessen Stelle solle ein eigener Europäischer Währungsfonds treten, der zusätzliche Kompetenzen erhalten solle. Er könnte so die volkswirtschaftliche Analyse von Krisenstaaten vornehmen, Rettungsprogramme erstellen, Fortschritte bewerten und im Zweifel auch Sanktionen vorschlagen
Auch Athen ein Thema in Washington
Die Debatte, den ESM auszubauen, gibt es schon länger. Zumal der IWF zuletzt in Europa im Vergleich zu den Euroländern geringere Summen beigesteuert hat. Am dritten Griechenland-Rettungspaket ist der IWF bisher gar nicht beteiligt.
Mit Blick auf Griechenland sagte Schäuble, er glaube, dass Athen nach Abschluss des aktuellen dritten Rettungsprogramms im Sommer 2018 wieder Zugang zu den internationalen Finanzmärkten haben werde. Wenn wenigstens die Hälfte der Reformen oder ein wenig mehr umgesetzt werden, könne sich Griechenland wieder selbst frisches Geld an den Märkten beschaffen.
Weiterhin große Sorge um den Welthandel
In der Diskussion um eine zunehmende Abschottung in der größten Volkswirtschaft der Welt hat sich die Chefin des IWF klar positioniert. "Wir müssen alle zusammenarbeiten, um das System, wie wir es haben, zu unterstützen und zu verbessern". Der Welthandel habe sich als große Triebfeder für Wachstum erwiesen. Um dieses künftig zu gewährleisten, brauche es gleiche Bedingungen für alle. "Es darf keine Störungsversuche und keine protektionistischen Maßnahmen geben."
Die USA und ihre "America First"-Politik werden derzeit als eine der größten Gefahren für den internationalen Handel und als Bedrohung für den Erfolg der Globalisierung gewertet. Die Regierung von Donald Trump will das nordamerikanische Handelsabkommen Nafta neu verhandeln. Das pazifische Abkommen TPP sowie der europäische Pakt TTIP liegen auf Eis. Trump setzt stattdessen auf bilaterale Abkommen.
Trotz allem: Grund zur Hoffnung
Der Blick in die Statistiken der Welthandelsorganisation WTO sei besorgniserregend, so die IWF-Chefin weiter. Die Quote der Regelverletzungen sei in den vergangenen beiden Jahren sprunghaft auf 6,5 Prozent gestiegen. "Und dies allein bei den G20-Ländern", sagte sie. "Hier gibt es ganz klar Möglichkeiten zur Verbesserung." Sie habe jedoch nicht den Eindruck, dass die US-Regierung nicht gesprächsbereit sei.
Insgesamt aber, so Lagarde, habe sich die Stimmung in der Weltwirtschaft aufgehellt. Das Wachstum habe sich von 3,1 Prozent im vergangenen Jahr auf weltweit 3,5 Prozent im laufenden Jahr gesteigert. "Ich bin froh, dass auch der Welthandel wieder anzieht", sagte sie. Das Momentum müsse nun jedoch erhalten werde und die Früchte besser als bisher auf alle verteilt werden.
Die Armen nicht vergessen
Weltbank-Präsident Jim Yong Kim hatte zuvor die wohlhabenden Länder der Welt aufgerufen, ihre Entwicklungshilfe nicht zurückzufahren. "Dies ist nicht im Interesse einzelner Länder, sondern im Interesse der Welt", sagte Kim. Die Welt sei auf die Dürre in afrikanischen Ländern nicht ausreichend vorbereitet gewesen.
Er reagierte damit vor allem auf Ankündigungen der Geberländer USA und Großbritannien, das seit Jahrzehnten existierende Ziel, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in Entwicklungshilfe zu stecken, in Frage zu stellen. Deutschland hatte das 0,7-Prozent-Ziel 2016 erstmals erfüllt.
dk/sti (dpa/rtr/afp)