Ist Nord Stream 2 noch zu retten?
16. Juni 2020Viel fehlt nicht mehr an der Ostseepipeline Nord Stream 2, durch die bereits seit Ende 2019 Gas auf direktem Weg von Russland nach Deutschland und Europa fließen sollte. Von der insgesamt 2360 Kilometer langen Röhre sind 2200 Kilometer verlegt. Doch seit Dezember sind die Bauarbeiten gestoppt, ausgelöst durch ein US-amerikanisches Sanktionsgesetz, das die in der Schweiz ansässige Allseas-Firmengruppe so unter Druck setzte, dass sie ihre Spezialschiffe von der Baustelle abzog.
Wie sehr, das weiß der Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst (Die Linke), der im Bundestag dem Wirtschaftsausschuss vorsitzt. Er zitiert aus einem Brief, den zwei US-Senatoren im Dezember an den Chef von Allseas schrieben. Darin drohten sie, dass das gesamte Vermögen des Unternehmens in den USA eingefroren würde, alle finanziellen Transaktionen über US-Banken gestoppt und alle US-Visa von Angestellten widerrufen würden, wenn Allseas die Verlegearbeiten nicht einstellen würde.
Extraterritoriale Sanktionen sind übermächtig
Für den Fall, dass die Firma auf die Idee kommen sollte, die im Gesetz vorgesehene einmonatige Übergangsfrist zu nutzen, würde es ähnlich schlecht laufen. "Wenn Sie versuchen würden, die Pipeline in den nächsten 30 Tagen fertigzustellen, würden Sie Ihren Aktienwert vernichten und die künftige finanzielle Überlebensfähigkeit Ihres Unternehmens zerstören", heißt es in dem Schreiben.
Allseas zog seine Schiffe ab, seitdem sind die Bauarbeiten gestoppt. Allerdings gibt es inzwischen Pläne, die restlichen Rohre mit zwei russischen Schiffen zu verlegen. Das wollen die USA nun mit einem Protecting Europe's Energy Security Clarification Act verhindern. Der Entwurf für das Gesetz kursiert seit einer Woche in Washington und wird sowohl von Republikanern als auch Demokraten unterstützt. Das Gesetz soll rückwirkend zum 19. Dezember gelten, also nahtlos an die bereits bestehenden Sanktionen anschließen.
Gegen alle gerichtet
Zukünftig sollen sich die Sanktionen gegen alle richten, die in irgendeiner Weise mit der Ostseepipeline zu tun haben. Das betreffe "alle Unternehmen und Personen, die zur Ausrüstung der Schiffe beitragen oder an Verlegearbeiten beteiligt sind, sowie Versicherungen, IT-Dienstleister und Zertifizierer", fasst der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Michael Harms, zusammen.
Doch nicht nur das. Auch Behörden könnten betroffen sein. "Es soll auch das verwaltungstechnische Handeln von staatlichen Behörden sanktioniert werden", erklärt der Politiker Klaus Ernst, "also beispielsweise das Genehmigungsverfahren für neue Verlege-Schiffe." Damit hätten diese Sanktionen eine neue Qualität. "Das ist ein völkerrechtswidriger, direkter Eingriff in das Rechtssystem von Europa und die Souveränität Deutschlands und Europas"
Ein Beamter, der nach deutschem oder europäischem Recht eine Genehmigung erteilen müsste, würde in diesem Fall "natürlich im Hinterkopf haben, dass er persönlich von Sanktionen bedroht sei", so Ernst. Beispielsweise von einem Einreiseverbot in die USA.
Ist das Gesetz noch aufzuhalten?
Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses ist empört und fordert von der Bundesregierung, sie müsse das US-Gesetzesvorhaben unbedingt verhindern. Der US-Botschafter müsse einbestellt und die Sanktionsdrohungen als unfreundlicher Akt verurteilt werden. Ernst sieht aber auch die EU-Kommission gefragt. Zwar verläuft Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland, an der Finanzierung sind aber neben den beiden Ländern Konzerne aus vier weiteren EU-Staaten beteiligt. Das Gas soll nach Tschechien und auf ganz Europa verteilt werden.
Die EU-Kommission müsse klar Stellung beziehen und "diese Angriffe der USA auf die Souveränität ihrer Mitgliedstaaten verurteilen". Die zuständigen EU-Kommissare sollten zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nach Washington fliegen und dort die deutsche und die europäische Position "unmissverständlich klar machen". "Als letztes Mittel" seien auch Strafzölle auf US-Gas und direkte Sanktionen gegen US-Politiker in Erwägung zu ziehen, sagte Ernst.
Rettungsschirm gefordert
So weit will Michael Harms, der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses nicht gehen, Gegensanktionen lehnt er ab. Die politischen Forderungen von Ernst unterstützt Harms zwar, er glaubt aber nicht daran, dass sich die USA so aufhalten lassen. Stattdessen schlägt er vor, dass die Bundesregierung und die EU-Kommission einen finanziellen "Rettungsschirm" über der Ostseepipeline aufspannen. Dies könne "eine sehr gute Abwehrmaßnahme" sein, um Washington zu signalisieren, dass Sanktionen "keinen Erfolg haben". Neben finanzieller Hilfe bedürfe es auch juristischer Unterstützung für die betroffenen Unternehmen.
Einig sind sich Harms und Ernst darin, dass die beabsichtigte Ausweitung der extraterritorialen US-Sanktionen - die so genannt werden, weil US-Recht außerhalb der Landesgrenzen angewendet wird - eine neue Stufe der Eskalation auch im ohnehin sehr belasteten deutsch-amerikanischen Verhältnis darstellen. "Wir dürfen uns nicht unterwerfen", fordert Klaus Ernst.
Eigentlich geht es gegen Russland
Er sei vor der Corona-Pandemie mehrfach in den USA gewesen und habe dort viele Gespräche geführt, berichtet Harms. Der Wille, die Ostseepipeline zu verhindern, sei nicht nur darauf zurückzuführen, dass die USA ihr eigenes Gas nach Europa verkaufen wolle. "Es gibt einen parteiübergreifenden Wunsch, Russland zu bestrafen, auch wegen der Einmischung in die Wahlen und so." Man müsse die Amerikaner aber immer wieder ermahnen, dass man sich zwar außenpolitische Ziele setzen, aber damit nicht Verbündete treffen dürfe.