General sieht Parallelen zu Nazi-Deutschland
11. Mai 2016Der 54-jährige General Jair Golan hatte in einer Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktags gesagt: "Wenn es etwas gibt, das mir beim Gedenken an den Holocaust Angst macht, dann die Erkenntnis von Entwicklungen, die sich in Europa und besonders in Deutschland vor 70, 80, 90 Jahren vollzogen, und dass es Anzeichen dafür heute, im Jahr 2016, hier bei uns gibt."
Golan, selbst Nachkomme von Holocaust-Überlebenden aus Deutschland, wurde für seine Bemerkung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und anderen, vorwiegend rechten Politikern heftig abgekanzelt.
"Der stellvertretende Generalstabschef war im Unrecht, und er sollte seinen Fehler auf der Stelle wiedergutmachen, bevor Holocaust-Leugner seine Worte auf ihre Fahnen schreiben", tweetete Naftali Benett, der Vorsitzende der rechtsgerichteten Partei "Jüdisches Heim".
"Warum soll er falsch gelegen haben?", antwortete ein User prompt auf Bennetts Tweet und fügte hinzu: "Er (Golan) hat nur gesagt, dass die israelische Gesellschaft lernen sollte, damit sie sich nicht auf eine abschüssige Bahn begibt. Sind wir etwa gegen Rassismus und Brutalität immun?"
Kritik von Künstlern ja, aber doch nicht vom Vize-Generalstabschef
Es ist nicht das erste Mal, dass Personen des öffentlichen Lebens die israelische Regierung und Gesellschaft mit Nazi-Deutschland vergleichen. Doch normalerweise kommt die Kritik von Kolumnisten, Künstlern und Aktivisten.
Doch Golan hat einen solchen Wirbel ausgelöst, weil er der zweithöchste Offizier der israelischen Streitkräfte ist und damit eine Position bekleidet, die ihm derart scharfe und direkte Kritik eigentlich verbietet, besonders wenn sie sich auch gegen die Armee selbst richtet.
"Ich meine, der Holocaust muss uns tiefer über die Natur des Menschen nachdenken lassen, selbst dann, wenn es um uns selbst geht", hatte Golan zu Beginn seiner Rede gesagt.
"Der Holocaust muss uns tiefer über die Verantwortung von Führung und über das Wesen einer Gesellschaft nachdenken kassen. Er muss uns gründlich nachdenken lassen, wie wir - hier und jetzt - Nichtjuden, Witwen und Waisen behandeln", fuhr er in Anlehnung an das biblische Gebot fort, dass man Fremde und Mittellose gleich und respektvoll behandeln soll.
"Ungeheuerlicher Vergleich"
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte Golans Rede in einer Kabinettssitzung "ärgerlich und nicht hinnehmbar", Golan setze den Holocaust herab. Kulturminister Miri Regev verlangte sogar Golans Rücktritt.
"Der implizite Vergleich mit Nazi-Deutschland ist ungeheuerlich", polterte Netanjahu. "Dies waren grundlose Bemerkungen, die niemals hätten fallen dürfen, geschweige denn in so einem Zusammenhang. Sie tun der gesamten israelischen Gesellschaft Unrecht und setzen das Gedenken an den Holocaust herab."
Viele User dagegen fanden Netanjahus Kritik scheinheilig, da er selbst vor einigen Monaten behauptet hatte, Mohammed Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem zur Zeit Hitlers, sei indirekt für dessen Entscheidung zum Genozid an den Juden verantwortlich gewesen und nicht das Nazi-Regime selbst.
In einer Rede vor dem Zionistischen Weltkongress im Oktober 2015 in Jerusalem sagte Netanjahu über das Treffen zwischen Hitler und al-Husseini 1941: "Zu diesem Zeitpunkt wollte Hitler die Juden nicht auslöschen, er wollte sie vertreiben", und fügte hinzu: "Da sagte al-Husseini zu Hitler: 'Wenn Sie sie vertreiben, kommen sie alle hierher.'" Hitler, so Netanjahu, habe dann gefragt: "Was soll ich dann mit ihnen machen", worauf al-Husseini geantwortet habe: "Verbrennen Sie sie". Das, sagte Netanjahu, habe Hitler auf die Idee der Judenvernichtung gebracht.
Über den israelischen Ministerpräsident machte man sich nach dieser Rede lustig, während der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert nur sagte: "Wir wissen um die ureigene deutsche Verantwortung an diesem Menschheitsverbrechen."
"Wer setzt denn hier das Holocaust-Gedenken herab, wenn nicht Netanjahu selbst?", meinte ein User auf Twitter. Viele fanden auch, Golan habe gar keinen Vergleich gezogen, sondern nur auf beunruhigende Entwicklungen in der israelischen Gesellschaft hingewiesen.
Lob von Holocaust-Überlebenden
Selbst Holocaust-Überlebende in Israel unterstützen Golan und wenden sich mit zustimmenden Briefen an die Zeitung "Haaretz". Eine Leserin schreibt, dass sie "Golan zu seinen mutigen Worten beglückwünscht". Ein weiterer KZ-Überlebender sagt: "Fremdenfeindlichkeit, Besatzung und das Nichthinnehmen anderer Meinungen bilden die Grundlagen des Faschismus".
Trotz der vielen Zustimmung behauptete Golan später, er habe gar nicht beide Gesellschaften vergleichen wollen. In einer Stellungnahme des Armeesprechers nach Golans Rede hieß es, er habe "keineswegs die Absicht gehabt, die israelischen Streitkräfte und den israelischen Staat mit den Schrecken dessen zu vergleichen, was vor 70 Jahren in Deutschland geschah. Ein Vergleich ist absurd und ohne jede Grundlage. Die israelischen Streitkräfte sind eine moralische Armee, die die menschliche Würde verteidigt, und es bestand nicht die Absicht, solche Parallelen zu ziehen oder die politische Führung zu kritisieren."
Doch Golans Botschaft wurde laut und deutlich gehört, und nach wie vor ist sie Gegenstand zahlreicher Artikel und Kommentare in den sozialen Medien in Israel. Golan hatte seine Rede mit den Worten beendet: "Nichts ist einfacher, als den Fremden zu hassen, nichts ist leichter als Angst zu schüren, nichts leichter als Selbstgerechtigkeit." Die Kontroverse dürfte so rasch nicht verebben.