Islamkonferenz: heißes Eisen Antisemitismus
20. November 2023Der Termin stand schon länger fest. Aber das Thema wurde von der Aktualität diktiert. 45 Tage nach dem Terror-Überfall der Hamas auf israelische Orte in der Nähe des Gaza-Streifens kommt an diesem Dienstag (20.11.23) in Berlin die Deutsche Islamkonferenz (DIK) zusammen. Es ist ihr erstes Treffen nach Dezember 2022. Die gesamten zwei Tage stehen unter dem Thema "Sozialer Frieden und demokratischer Zusammenhalt: Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung".
Juden in Angst in Deutschland
Damit greift das von Nancy Faeser (SPD) geleitete Bundesinnenministerium die verschärfte Situation der vergangenen Wochen auf. Jüdinnen und Juden in Deutschland leben wieder in Angst: Eltern sind in Sorge um ihre Kinder in den Schulen, ältere Menschen verzichten auf den Gang zur Synagoge. In mehreren Städten gab es Attacken gegen jüdische Gotteshäuser.
Und gerade die Demonstrationen mit vielen tausend Teilnehmenden, die die Existenz des Staates Israels grundsätzlich in Frage stellen oder die Hamas-Terroristen als "Freiheitskämpfer" feiern, verschärften die Bedenken. Auf der anderen Seite vermelden auch muslimische Gemeinden und Verbände eine drastisch steigende Zahl an Übergriffen und Drohungen gegen Einrichtungen und Gläubige.
Damit versucht sich die Deutsche Islamkonferenz 17 Jahre nach ihrer Gründung durch den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Jahr 2006 erneut an der Beantwortung grundsätzlicher großer Fragen und zugleich an der kurzfristigen Bewältigung dramatischer aktueller Probleme.
Unter dem Einfluss Erdogans
Dabei sorgten muslimische Verbände in den vergangenen Wochen zum Teil für massive Irritationen. Immer wieder geht es um den Kurs des von der Türkei geprägten Moscheeverbands Ditib, dem bundesweit rund 900 Moscheegemeinden zugeordnet werden. Der Verband ist von der türkischen Religionsbehörde Diyanet abhängig, von der die Imame nach Deutschland entsandt werden. Und die stets treu zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hält, der in diesen Wochen mit offenem Judenhass und verbalen Angriffen auf Israel auffällt und die Hamas als "Befreiungsorganisation" würdigt.
In Nordrhein-Westfalen pocht der in der Landesregierung für die Religionsgemeinschaften zuständige Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU), auf eine Klarstellung von Ditib. Liminski hatte bald nach dem Hamas-Terror erreicht, dass muslimische Verbände in NRW in einer Erklärung die "Gräueltaten der Hamas" verurteilten. Diese in Deutschland viel beachtete Stellungnahme tauchte indes im Internet beim Ditib-Verband nie auf.
Auch der Zentralrat der Muslime (ZRM) steht in der Kritik. Am Tag nach dem blutigen Terror, als die Zahlen der Todesopfer und der verschleppten Geiseln noch nicht geklärt waren, äußerte sich der Verband und verurteilte - ohne explizit von Terror zu sprechen oder die beispiellose Brutalität zu thematisieren - die "Angriffe der Hamas", um dann Kritik am Vorgehen militanter israelischer Siedler in palästinensischen Dörfern anzuschließen. Erst vor wenigen Tagen setzte der Zentralrat die Mitgliedschaft des schiitischen Islamischen Zentrums Hamburg (IZH) im Zentralrat aus, einer vom Iran unterstützten und seit längerem vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe. Der Entschluss des ZRM erfolgte erst, als Polizisten und Ermittler Einrichtungen des IZH in verschiedenen deutschen Städten durchsuchten.
Ohne den Zentralrat der Muslime
Nun ist der Zentralrat der Muslime - anders als bei allen Treffen seit 2006 - zur Islamkonferenz nicht eingeladen, wie sein Generalsekretär Abdassamad El Yazidi der DW sagt. Nach Informationen der DW soll der Umgang des Zentralrats mit dem IZH der Grund dafür sein. El Yazidi bedauert gegenüber der DW, dass sein Verband nicht zur Islamkonferenz eingeladen ist. Und sieht zugleich die eigene Stellungnahme vom 8. Oktober als Fehler an: "Es wäre besser gewesen, die Barbarei der Hamas zu verurteilen, einen Punkt zu machen und das andere später zu sagen."
Sein Verband, so El Yazidi im Gespräch mit der DW, arbeite seit Jahrzehnten an der Integration der Muslime und dem Aufbau von Strukturen einer Religionsgemeinschaft. Es sei "unfair und beleidigend", die Repräsentanten als Hamas-Versteher darzustellen. El Yazidi betonte, in Gesprächen mit jüdischen Freunden erfahre er, dass für viele auf jüdischer Seite das Leben in Deutschland "im Moment kaum noch zu ertragen" sei. Er werbe aber dafür, auch die Gefühlslage auf Seiten deutscher Muslime angesichts sich häufender Übergriffe wahrzunehmen. "Viele leiden jenseits der medial beachteten Proteste stumm."
Klar ist: Derzeit geht es zumindest auch grundsätzlich um die Rolle der in Deutschland etablierten muslimischen Verbände. Gerade der Zentralrat gehört auf Bundes- wie auf Landesebene zu den regelmäßigen Gesprächspartnern von Politik und Religionsgemeinschaften.
Neue Strategie der Bundesregierung?
Nach Ansicht von Eren Güvercin sollte die Bundesregierung ihre Strategie beim Umgang mit den Verbänden ändern. Der gläubige Muslim gehörte 2017 zu den Gründern der Alhambra-Gesellschaft, einer liberaleren Gruppe jenseits der bisherigen Verbandsstrukturen. Er leitet dort das Projekt "MuslimDebate 2.0 - Gesellschaft gemeinsam gestalten".
Güvercin sagte der DW, wie auch schon bei früheren Regierungen sei derzeit die Strategie, durch Nähe zu den Verbänden einen Wandel zu erreichen und wirklich zu einer "deutschen Religionsgemeinschaft" zu kommen. Diese Strategie sei "gescheitert", gerade mit Blick auf die Ditib, die immer deutlicher nur eine Interessenvertretung und keine Religionsgemeinschaft sei. "Wir müssen in Deutschland unsere Religionspolitik auf ganz neue Grundlagen stellen. Und wir brauchen eine religionspolitische Zeitenwende."
Für Güvercin hätte sich die Islamkonferenz auch ruhig mit einem einzigen Thema befassen können - dem muslimischen Antisemitismus. Er hätte von der Bundesinnenministerin eine Sondersitzung der DIK zu den Ereignissen des 7. Oktober und dem Umgang der muslimischen Verbände damit erwartet, sagt Güvercin. Damit hätte Faeser die Verbände und die breitere muslimische Zivilgesellschaft ins Gespräch bringen können. "Das wird jetzt leider nicht der Fall sein. Nun ist es eigentlich eine Fachtagung, die schon vor dem 7. Oktober geplant war."
Ein Ex-Bundespräsident
Wenn die Islamkonferenz an diesem Dienstag in Berlin zusammenkommt, ist die Alhambra-Gesellschaft mit dabei, der Zentralrat nicht. Ob Vertreter von Ditib mit debattieren, bleibt offen. Das Bundesinnenministerium teilt auf Anfrage - wie auch bei früheren Treffen - im Vorfeld nicht mit, wer eingeladen wurde.
Vielleicht macht die Entscheidung für den ersten prominenten Redner deutlich, was weiterhin Ziel des Ministeriums ist. Nach einleitenden Worten des Ministeriums wird Christian Wulff, Bundespräsident von 2010 bis 2012, sprechen. Wulff prägte den Satz, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Damit kurbelte er damals eine überfällige Debatte an. Sie dauert an bis heute.