Islamisten in Deutschland: Wie gefährlich sind sie?
6. Juli 2023Sieben mutmaßlich islamistische Terroristen sind am Donnerstag (6.7.) im Bundesland Nordrhein-Westfalen festgenommen worden. Den vor allem aus Tadschikistan stammenden Verdächtigen wirft die Bundesanwaltschaft vor, im Juni 2022 eine terroristische Vereinigung gegründet und Anschläge geplant zu haben. Sie sollen zudem die Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) unterstützt haben.
Die Männer hätten mögliche Ziele von Anschlägen in Deutschland bereits ins Visier genommen, teilte die oberste deutsche Anklagebehörde in Karlsruhe mit. Zudem hätten die Beschuldigten versucht, sich Waffen zu beschaffen. Einen konkreten Anschlagsplan habe es aber noch nicht gegeben.
Spätestens seit dem Anschlag vom Breitscheidplatz weiß man in Deutschland um die Gefahren islamistischen Terrors. Der folgenschwerste religiös motivierte Anschlag in Deutschland hatte sich im Dezember 2016 ereignet, als der Islamist Anis Amri mit einem Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt raste. Dabei kamen zwölf Menschen ums Leben. Die Gefahr weiterer Anschläge ist aus Sicht der deutschen Innenministerin Nancy Faeser nach wie vor groß: "Unsere Sicherheitsbehörden rechnen deshalb jederzeit mit Vorbereitungen für einen Anschlag."
Verfassungsschutz warnt vor Einzeltätern
"Die Gefahr besteht fort. Sie ist real, jeden Tag real" - das sagte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang am 20.6. bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts. "Ich spreche eben über gewalttätige Gruppen und darf eben auch die Islamisten nicht außer Betracht lassen. Im vergangenen Jahr konnten allerdings zunächst gegen den islamistischen Terrorismus international und national wieder viele Erfolge auch erzielt werden. Hier in Deutschland gab es im Jahr 2022 glücklicherweise keine gesichert islamistischen Terroranschläge."
Fast wie eine Prophezeiung klingt im Rückblick das, was Haldenwang ein Jahr zuvor sagte, als er seinen Jahresbericht vorstellte: "Die Lage wird insbesondere durch Kleingruppen und allein handelnde Täter dominiert." In dieses Schema scheinen auch die jetzt verhafteten Männer zu passen.
Seit dem Jahr 2000 sind nach Angaben der Innenministerin in Deutschland 21 islamistische Anschläge verhindert worden. Ohne die Unterstützung ausländischer Geheimdienste, insbesondere aus den USA, wäre dieser Erfolg aber wohl kaum möglich gewesen. Zu dieser Einschätzung gelangt der Islamismus- und Terrorexperte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer Auftragsstudie der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Der entscheidende Tipp kam aus den USA
Langfristig sei es ein Risiko, weite Teile der deutschen Terrorismusbekämpfung an die USA "outzusourcen", hatte Guido Steinberg schon 2021 in seiner Studie gewarnt. Deutschland habe mit der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus seit 2001 große Schwierigkeiten, "die vor allem die Früherkennung von terroristischen Planungen durch menschliche und technische Quellen betreffen".
Dass die Zahl der Anschläge und Anschlagsplanungen nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin stark zurückgegangen ist, hält Guido Steinberg vor allem für eine Folge des Niedergangs der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Nahen Osten und einer verbesserten technischen Aufklärung der USA. Es liege "weniger an der Effektivität der weiterhin fragmentierten, lückenhaften und fehleranfälligen deutschen Terrorismusbekämpfung", heißt es in seiner Analyse.
Informationsaustausch im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum
Aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands haben alle 16 Bundesländer eigene Polizei- und Verfassungsschutzämter, die sich lange Zeit untereinander kaum austauschten. Aber seit 2004 sitzen sie gemeinsam mit Vertretern von acht Sicherheitsbehörden des Bundes im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin an einem Tisch. Dadurch seien viele Abstimmungsprobleme beseitigt worden, lobt Guido Steinberg.
Dennoch sieht der Islamwissenschaftler und Terrorexperte weiteren Reformbedarf. Dass die Probleme grundsätzlicherer Art seien, habe der Fall Anis Amri gezeigt. Das zunächst zuständige Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen habe richtig erkannt, "dass es sich bei dem Tunesier um einen gefährlichen Terroristen handelte, und ihn dementsprechend überwacht".
Tödliche Fehler vor dem Breitscheidplatz-Attentat
Als er jedoch im Februar 2016 nach Berlin umzog und mit Drogen handelte, stufte ihn die Polizei der deutschen Hauptstadt als Kleinkriminellen und damit nicht mehr als gefährlich ein. "Seine Überwachung lief aus, so dass der Weg zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember geebnet war", schlussfolgert Guido Steinberg. Die Ergebnisse eines Sonderermittlers des Berliner Senats stützen diese Sicht auf die Umstände des Attentats und das staatliche Versagen.
Danach blieb Deutschland zwar von ganz großen Anschlägen verschont, aber die Sicherheitsbehörden sind in ständiger Alarmbereitschaft. Islamisten verfolgten "unvermindert das Ziel, jede sich bietende Gelegenheit für einen terroristischen Anschlag zu nutzen", heißt es im aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes.
Weniger Gefährder
Dass die Gefahr mitunter unterschätzt wird, liegt vielleicht auch an der stark rückläufigen Zahl sogenannter Gefährder. Solchen Leuten traut die Polizei im Extremfall Terroranschläge zu. 2018 registrierte die Polizei noch über 770 islamistische Gefährder, zwei Jahre später waren es noch knapp 630 und inzwischen sind es nur noch rund 530.
"Die Anschläge, die es in den vergangenen Jahren in Deutschland gab, wurden allesamt durch Personen aus dem Spektrum der selbstradikalisierten Einzeltäter verübt", sagte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang im Dezember 2022 in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Terrorverdächtige müssen mit zehn Jahren Gefängnis rechnen
Kann den nun festgenommenen Männern im Laufe der Ermittlungen die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nachgewiesen werden, dann müssten sie mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren rechnen.
Dieser Artikel wurde am 10.1.2023 veröffentlicht und am 6.7.2023 aktualisiert.