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Politik

Minsker Friedensprozess auf der Kippe?

Roman Goncharenko
18. Juli 2017

Die prorussischen Separatisten in Donezk erheben Ansprüche auf die ganze Ukraine, die sie in "Kleinrussland" umbenennen wollen. Steht der Minsker Friedensprozess auf der Kippe?

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Ostukraine Donezk Region Kominternovo Konflikt Separatisten
Seit drei Jahren kämpfen die prorussischen Separatisten im Osten gegen ukrainische Regierungstruppen Bild: picture-alliance/Tass/dpa/V. Drachev

Sorge in Kiew, Kritik in Berlin und Paris, Verwunderung in Fachkreisen. Der überraschende Vorstoß von Alexander Sachartschenko wirkte wie ein Paukenschlag. Der ostukrainische Separatistenanführer der selbst ernannten "Volksrepublik Donezk" schlug am Dienstag vor, anstelle der Ukraine einen neuen "Staat" zu gründen und ihn "Malorossija" ("Kleinrussland") zu nennen. Die Regierung in Kiew bezeichnete er als "illegitim" und rief andere Regionen auf, mit der Ausnahme der von Russland annektierten Krim, sich dem neuen "Staat" mit Donezk als Hauptstadt anzuschließen.

Alexander Sachartschenko
Der prorussische Separatistenführer Alexander Sachartschenko ruft zur Gründung eines neuen Staats aufBild: Imago/Tass

Alexander Timofejew, ein Vize-Regierungschef in Donezk, legte nach und drohte: "Die Ukraine wird verschwinden. (...) Sollte man uns auf friedlichem Wege nicht hören, werden wir den Kriegsweg gehen."

Gelassenheit und Sorge in Kiew

Der seit drei Jahren schwellende Krieg im ostukrainischen Kohlerevier Donbass steht damit möglicherweise vor einer Wende, deren Folgen noch unklar sind. Nicht einmal die ebenfalls von Moskau unterstützte "Schwesterrepublik" in Luhansk wusste davon und reagierte zurückhaltend.

Die ersten Stellungnahmen aus Kiew zeugen von einer Mischung aus Gelassenheit und Sorge vor einer Eskalation. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, derzeit zu Besuch in Georgien, sagte, Sachartschenko sei "keine politische Figur", sondern eine "Marionette" Russlands. Der Generalstabschef Viktor Muschenko sprach von "kranken Phantasien". Der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates, Olexander Turtschinow, glaubt, es handele sich um "aggressive Pläne Russlands", das den Konflikt nicht friedlich lösen wolle. 

Scharfe Kritik in Berlin

Die Bundesregierung bezeichnete den Vorstoß aus Donezk als "völlig inakzeptabel". "Herr Sachartschenko hat keinerlei Legitimation, um für diesen Teil der Ukraine zu sprechen", sagte eine Regierungssprecherin in Berlin der Deutschen Welle. "Wir erwarten, dass Russland nun umgehend diesen Schritt ebenfalls verurteilt und dass es ihn weder respektiert noch gar anerkennt." Ähnlich äußerte sich das Außenministerium in Frankreich.

Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher des CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kritisierte die Idee scharf. "Die Ausrufung des so genannten 'Staates Malorossija' ist eine weitere Provokation von russischer Seite im perfiden Machtspiel um die Vorherrschaft in Europa", so Hardt gegenüber der DW. "Sie belegt einmal mehr, dass man Putin keinen Glauben schenken darf. Er fordert zwar ständig den Westen zu Gesprächen auf, aber auf sein Wort ist offensichtlich kein Verlass".

Paukenschlag vor Telefonat mit Putin

Das offizielle Moskau hielt sich zunächst zurück. Einzelne Politiker äußerten zwar Verständnis für die ostukrainischen Separatisten, stellten aber fest, dass deren Initiative gegen die Minsker Vereinbarungen verstoße. Diese sehen nach der Waffenruhe und dem Abzug schwerer Waffen de facto einen Autonomiestatus für Separatistengebiete in der Ukraine unter Führung Kiews vor.

G20-Gipfel Gespräch  Merkel Putin Macron
Zuletzt haben Putin (M.), Merkel und Macron (l.) beim G20-Gipfel die Situation in der Ukraine besprochenBild: picture alliance/dpa/T. Schwarz

Die Nachricht aus Donezk kam wenige Tage vor einem Telefonat auf höchster Ebene im sogenannten Normandie-Format, an dem Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine teilnehmen werden. Zuletzt hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron mit Kremlchef Wladimir Putin am Rande des G20-Gipfels in Hamburg über die Lage in der Ostukraine gesprochen. Über die Ergebnisse des Treffens hieß es knapp, die drei seien für eine dauerhafte Waffenruhe. Diese aus Kiewer Sicht zentrale Forderung der Minsker Friedensvereinbarungen aus dem Jahr 2015 ist bis heute unerfüllt.

Friedensprozess am Ende?

In Fachkreisen wird nun gerätselt, ob die Initiative in Wirklichkeit aus Moskau stammt und welche Konsequenzen sie haben könnte. Viele Beobachter bezeichnen den Vorstoß als "absurd". Allein schon deshalb, weil der im Zaren-Russland verwendete historische Begriff "Kleinrussland" nur teilweise für Donbass gilt, das damals Teil des russischen Reiches war. "Das ist doch eine kranke Phantasie", sagte Winfried Schneider-Deters der DW. "Ich kann es mir schwer vorstellen, dass das aus dem Kreml kommt", so der in der Ukraine lebende Osteuropa-Experte und Publizist. Die Ukraine solle sich keine großen Sorgen machen, aber auf eine militärische Eskalation doch vorbereitet sein.

Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) spricht ebenfalls von einem "absurden Modell", unter anderem deshalb, weil sich die ukrainische Bevölkerung immer stärker von Russland abwende. Anders als Schneider-Deters glaubt Meister, dass die "Kleinrussland"-Initiative mit dem Kreml doch abgesprochen sei. "Das ist eine Verzögerung und ein Versuch, von den Minsker Vereinbarungen abzulenken", sagte der Experte der DW. 

In der ukrainischen Hauptstadt gibt es Stimmen, die den Minsker Prozess bei einer Umsetzung solcher Initiativen für faktisch beendet halten. "Sollte Kriegsrecht eingeführt werden und politische Parteien verboten, dann kann keine Rede von Wahlen sein", sagte Mykola Sunhurowskij von der Kiewer Denkfabrik Rasumkow-Zentrum der DW. Sachartschenko hat tatsächlich vorgeschlagen, in "Kleinrussland" für drei Jahre den Notstand auszurufen und Parteien zu verbieten. Die in Minks vereinbarten Wahlen in den Separatistengebieten sind einer der Kernstreitpunkte zwischen Kiew und Donezk.