Irans Staatsideologie braucht Auffrischung
14. Dezember 2020Nein, vertraut der Sänger seinem Publikum an: "Ich bin in keine politischen Spiele verwickelt". Aber, fährt er fort, man müsse stark sein und das Land verteidigen. Es brauche Schutz für die schlechten Tage. "Es braucht eine Kraft, die uns weiterbringt." Der Text mochte nicht sonderlich aufregend sein, Parolen zum Schutz des Vaterlands kannten die Iraner. Erstaunt waren sie allerdings über die Person, von der sie die Parolen dieses Mal vernahmen: Nämlich von dem Rapper Amir Tataloo, einem unter jungen Iranern sehr beliebten Musiker mit Millionen Followern. Im Jahr 2013 war er zeitweilig verhaftet worden, die Anschuldigung lautete auf Zusammenarbeit mit ausländischen Satellitensendern. Und nun, 2015, stand ausgerechnet er in einem Video auf einem Kriegsschiff im Persischen Golf und plädierte für eine starke iranische Marine.
Der Grund für dieses staatlich beauftragte Video lag auf der Hand, schreibt die an der amerikanischen Johns Hopkins-Universität lehrende Anthropologin Narges Bajoghli: Das Regime brauche dringend neue Gesichter und Personen ohne Beziehungen zum politischen Machtzentrum. Mit deren Hilfe wolle es sich in der Zivilbevölkerung und insbesondere bei jüngeren Bürgern die Glaubwürdigkeit verschaffen, die die alten Repräsentanten des Regimes längst verspielt hätten.
"Ein langweiliger Kleriker nach dem anderen"
In ihrem Buch "Iran Reframed: Anxieties of Power in the Islamic Republic" schildert Bajoghli die ideologischen Nöte eines in die Jahre gekommenen und von kulturellen Neuerungen abgeschnittenen Regimes, das um sein Ansehen ringt. Es basiert auf Interviews mit iranischen Regisseuren und Drehbuchautoren der älteren Generation. Diese haben das Narrativ der Islamischen Revolution verinnerlicht, aber wurden im Laufe ihrer Arbeit für den Staat desillusioniert angesichts der wachsenden Kluft zwischen Propaganda und Volk.
"Die heutige Generation versteht unsere revolutionäre Sprache nicht mehr", zitiert Bajoghli einen Drehbuchautor, der wie alle ihre Gesprächspartner unter einem Pseudonym auftritt. "Mit den Medienprodukten, die wir herstellen, verschwenden wir unsere Zeit", räumt er gegenüber der Autorin ein.
"Man schalte heute das Staatsfernsehen ein", zitiert Bajoghli ihren Gesprächspartner. "Man sieht einen langweiligen Kleriker nach dem anderen, die uns Moral beibringen wollen. Und wir alle wissen, dass sie mit gespaltener Zunge reden. Sie sind ebenfalls alle korrupt, kein einziger von ihnen ist ohne Sünde. Kein Wunder, dass sich die jungen Leuten mit diesen langweiligen Sermonen nicht identifizieren."
Getarnte Staatsfilme für die Provinz
In dieser Notlage beauftrage der Staat inzwischen junge Regisseure, mit ihren Mitteln für mehr Ansehen der religiösen Führung zu werben. Mit ihrem Namen erweckten sie den Eindruck, die von ihnen produzierten Filme seien unabhängig und nicht im Auftrag des Staates entstanden, schreibt Bajoghli in ihrem Buch. Das könne, etwa in einem Film über die militante oppositionelle Organisation der Volksmudschahedin, dazu führen, dass uninformierte Zuschauer den Eindruck haben, der Film sei auf Grundlage privater Motive entstanden. Tatsächlich handelt es sich um eine Auftragsproduktion. Um zu verhindern, dass Kritik an solchen Filmen vorschnell die Runde macht, würden sie zuerst in Kleinstädten der Provinz gezeigt und eben nicht in Teheran.
Trotz dieser Versuche, sich die Unterstützung des Volkes zu sichern, gingen die Iraner zunehmend auf Distanz zur herrschenden Gründungsideologie der Islamischen Republik, schreibt die Autorin. Sie tun das etwa, indem sie etwa auf nicht-islamische Symbole ihrer iranischen Identität setzen. Sie feiern seit verstärkt Feiertage, die aus dem alt-iranischen Zarathustra-Kult stammen, wie etwa das Nouruz- (Neujahrs-)Fest. Oder sie geben ihren Kindern Namen aus "Shanameh", dem "Buch der Könige" aus dem zehnten Jahrhundert christlicher Zeitrechung, oder sie heiraten nach vorislamischen Riten.
Nicht-religiöser Patriotismus als Rettungsanker
Das Regime reagiert darauf, indem es zwar weiterhin auf religiöse, aber zunehmend auch auf nationale Symbole setzt. So etwa bei dem mit Saudi-Arabien ausgetragenen Konflikt um die Vorherrschaft am Persischen Golf. Dieser, so stellt das Regime es dar, betreffe die gesamte Nation, und nicht nur diese oder jene Gruppe, am wenigsten eine konfessionell definierte. Darin, so Bajoghli, erfahre das Regime große Zustimmung, und zwar aus allen Teilen der Gesellschaft. Der Rapper Amir Tataloo trat wohl auch aus diesem Grund in seinem Video auf einem iranischen Kriegsschiff auf.
Doch das Grundproblem bleibe bestehen, so das Fazit der Autorin: Weite Teile der Bevölkerung haben genug von der Politik und Ideologie des Regimes. Dieses hat begriffen, dass es ideologische Konzessionen machen muss. Das Erbe des Jahres 1979 beginnt sich aufzuzehren.