Irans Proteste und das Ausland
3. Januar 2018Wie so oft im Iran spielt auch der aktuelle Protest auf mehreren Ebenen: Innerhalb des Irans zunächst einmal ganz direkt auf der Straße - dort hat es mittlerweile auch Massendemonstrationen für das Regime gegeben - aber auch im Machtkampf zwischen den verschiedenen Machtzentren des politischen Establishments. Außerhalb des Irans wird um die geeignete Reaktion gerungen. Dabei steht die Sorge im Raum, unbeabsichtigt die Hardliner in Teheran zu stärken und moderatere Kräft zu schwächen. Über Bekundungen von Sympathie und Verständnis für die Demonstranten und ihre Anliegen hinaus werden hier erneut die unterschiedlichen Ansätze Europas und der USA im Umgang mit dem Iran sichtbar. Die Haltung der US-Administration ist eindeutig: US-Präsident Donald Trump hat in einem Tweet am Neujahrstag offen zum Regimewechsel aufgerufen. Die US-Sicherheitsexpertin Ariane Tabatabai von der Washingtoner Georgetown Universität hält dies jedoch für kontraproduktiv. Im Gespräch mit der DW plädierte Tabatabai für einen gemäßigten Ansatz: "Wir sollten den Iran auffordern, das Recht der Menschen auf Organisation zu respektieren - ohne ein spezifisches Vorgehen vorzuschlagen."
Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnt, unvorsichtige Äußerungen könnten das Narrativ der Führung in Teheran befeuern, der Aufstand sei von außen gesteuert. Man sollte keine Zitate schaffen, die es ermöglichten zu sagen: "Guck mal das Ausland, unsere Feinde, die nicht islamische Welt! Die ist auf der Seite der Demonstrationen. Wir dagegen verteidigen die islamische schiitische Reinheit gegenüber dem häretischen Ausland." Tatsächlich hat der oberste Führer Ali Chamenei am Dienstag genau diesen Argumentationsfaden genutzt und die Unruhen als "Verschwörung der Feinde des Irans" bezeichnet. Von Unterstützung durch die USA und Israel für die regierungskritischen Proteste sprach am Mittwoch auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Von CNN Turk wurde Cavusoglu weiter damit zitiert, die Türkei wende sich gegen jede Form ausländischer Einmischung im Iran.
Schatten vergangener Einmischung
Vorwürfe solcher Einmischungen fallen im Iran auf fruchtbaren Boden. Vielen Iranern ist die Rolle des US-Geheimdienstes CIA beim Sturz des ersten frei gewählten Präsidenten Mohammed Mossadegh 1953 bekannt, auf den ein Vierteljahrhundert die Diktatur des Schahs folgte. 2013 hatten die USA zum 60. Jahrestag des Putsches jahrzehntelang geheim gehaltene Unterlagen veröffentlicht. Zu dieser geschichtlichen Hypothek kommt: In seinem ersten Jahr als Präsident hat Donald Trump die Gegnerschaft zum Iran zum vorherrschenden Prinzip seiner Politik für den Nahen und Mittleren Osten gemacht. Für Außenpolitiker Röttgen hat Trump im Iran an Glaubwürdigkeit verloren, "indem er dauernd versucht, die sunnitische arabische Welt gegen den Iran zu mobilisieren." Europa und Deutschland hingegen, so Röttgen, hätten ihre Glaubwürdigkeit bewahrt: "Wir stehen zu dem Nuklearabkommen, von dem die Bevölkerung wirtschaftliche Perspektiven, nämlich die Linderung der Sanktionen erwartet. Und darum haben wir eine ganz andere Glaubwürdigkeit, die wir auch einsetzen sollten - aber in den realistischen Grenzen".
Zurückhaltendes Europa
Europa hat bislang vorsichtig agiert. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte am Dienstag die Führung in Teheran dazu aufgerufen, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu respektieren. "Die Europäische Union verfolgt aufmerksam die anhaltenden Demonstrationen im Iran, die zunehmende Gewalt und den inakzeptablen Verlust von Menschenleben", sagte Mogherini. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien grundlegende Rechte, die ausnahmslos in jedem Land zu gewährleisten seien. Mogherini forderte außerdem alle Beteiligten zum Gewaltverzicht auf.
Ähnlich die Wortwahl in Berlin: "Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklungen im Iran mit Besorgnis, insbesondere die Berichte über Todesopfer und zahlreiche Verhaftungen", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. Die iranische Regierung sollte auf die Proteste "mit der Bereitschaft zum Dialog" reagieren. Aus Sicht der Bundesregierung sei es "legitim, wenn Menschen ihre wirtschaftlichen und politischen Anliegen couragiert in die Öffentlichkeit tragen, wie dies derzeit im Iran geschieht", fügte Demmer hinzu. Sollten einzelne Demonstranten die Proteste zu Gewalttaten missbrauchen, müsse der iranische Staat darauf verhältnismäßig und mit rechtsstaatlichen Mitteln reagieren.
Kritik aus Israel
Der französische Präsident Emmanuel Macron ließ wissen, er habe in einem Telefonat mit Irans Präsident Hassan Rohani Zurückhaltung im Umgang mit regierungskritischen Protesten gefordert. Zugleich sagte Macron einen für diese Woche geplanten Besuch seines Außenministers Jean-Yves Le Drian ab.
Die zurückhaltende Position Europas hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Neujahrstag aufs Korn genommen. In einer Videobotschaft kritisierte Netanjahu, "viele europäische Regierungen würden schweigend zuschauen, während heldenhafte Iraner in den Straßen verprügelt würden". Der israelische Regierungschef verband seine Unterstützung für die Proteste mit scharfer Kritik am Regime in Teheran: "Tapfere Iraner fordern Gerechtigkeit. Sie fordern die grundlegenden Freiheiten, die ihnen seit Jahrzehnten vorenthalten werden".
Zukunft des Atomabkommens fraglich
Mittlerweile fordern die USA eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. "Die UN müssen ihre Meinung sagen", erklärte die US-amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley in New York. Sowohl im Sicherheitsrat als auch im UN-Menschenrechtsrat in Genf müssten die Festnahmen und Toten im Zusammenhang mit den Protesten im Iran thematisiert werden, forderte Haley.
In der kommenden Woche kann US-Präsident Trump die Daumenschrauben für den Iran weiter anziehen: Am 10. Januar steht die Zertifizierung des JCPOA genannten Nuklear-Deals für den Kongress an. Bereits beim Termin im Oktober hatte Trump diese Zertifizierung verweigert. Das hatte dem Kongress 60 Tage Zeit gegeben, Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft zu setzen. Auch wegen massiver Lobbyarbeit der Europäer hat der Kongress das nicht getan, der Deal blieb intakt. Dieses Mal sieht die politische Großwetterlage aber deutlich ungünstiger für den Fortbestand des Atom-Abkommens aus.