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PolitikAsien

Irans Schüler und Studenten in Aufruhr

5. Oktober 2022

Die Studentenproteste im Iran weiten sich aus. Der brutale Einsatz von Schusswaffen an einer Eliteuniversität in Teheran hat viele Menschen empört. Auch Schüler schließen sich den Protesten an.

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Schülerinnen protestieren ohne Kopftuch auf den Straßen Teherans
Schülerinnen protestieren ohne Kopftuch auf den Straßen TeheransBild: SalamPix/ABACA/picture alliance

Trotz erschwerten Zugangs zum Internet tauchen täglich neue Fotos und Videos im Netz auf, die Protestierende in verschieden Teilen Irans zeigen, auch an den Universitäten. Wie zum Beispiel am Dienstag in der Firdausi-Universität in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Landes. Die Videos zeigen, wie die Studierenden die Freilassung aller ihrer inhaftierten Kommilitonen fordern, insbesondere derjenigen von der Sharif-Universität in Teheran. Letztere waren am Sonntagabend verhaftet worden, nachdem sie auf dem Campus eine friedliche Kundgebung organisiert hatten.

Polizisten und Milizen hatten den Campus umstellt, die Studenten eingekesselt und teilweise mit Schrotflinten beschossen. Zahlreiche im Netz veröffentlichte Videos zeigen eine regelrechte Jagd auf die Studierenden. Auch mehrere Dozenten der Elite-Universität wurden mit Schlagstöcken verprügelt. Ob es Verletzte oder Tote gab, ist nicht bekannt. Nach Angaben iranischer Medien wurden mindestens 37 Studenten verhaftet.

"Das soll alle anderen Studierenden einschüchtern", glaubt Maryam (nicht ihr richtiger Name – Red.) im Gespräch mit der DW aus Teheran. Die 50-jährige Frau hat zwei Kinder, beide studieren. "Jedes Mal, wenn sie die Wohnung verlassen, bekomme ich Herzrasen und leide unter Übelkeit, bis sie wieder zurückkehren", sagt die besorgte Mutter. "Gut geht es uns nicht. Wir sind traurig und wütend. Der Tod von Mahsa Amini hat uns schockiert. Sie hätte meine Tochter sein können."

Tödliche Gewalt

Der Tod der 22-jährigenMahsa Amini, die wegen ihres nicht vorschriftsmäßig getragenen Kopftuchs von der iranischen Sittenpolizei verhaftet worden war und im Polizeigewahrsam auf noch ungeklärte Weise ums Leben kam, hatte die neue Protestwelle im Iran ausgelöst. Mit Gewalt versuchen die Sicherheitskräfte, sie zu unterdrücken. Nach Angaben der Organisation Iran Human Rights (IHR) wurden bis Dienstag mindestens 154 Menschen getötet, viele durch Schüsse. Die iranischen Behörden setzten absichtlich tödliche Gewalt zur Unterdrückung der anhaltenden Proteste ein, berichtete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am 31. September. Die Behörden hätten "ihre gut geschliffene Repressionsmaschinerie" mobilisiert, um die landesweiten Proteste rücksichtslos zu unterdrücken.

"Die Solidarität der Studenten mit den Demonstranten kann eine Herausforderung für die Staatsmacht werden", analysiert der Iran-Experte Hamidreza Azizi von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit der DW. Azizi lehrte von 2016 bis 2020 als Assistent Professor an der Shahid-Beheshti-Universität in Teheran. Der Iran, ein Land mit 84 Millionen Einwohnern, zählt über 200 Universitäten und Hochschulen. Traditionell spielen die Studenten eine zentrale Rolle bei Protestbewegungen im Iran. "Zum Beispiel während der Revolution von 1979, aber auch danach, zum Beispiel bei den Protestbewegungen 1998 und 2009", sagt Azizi. "Die Studenten bringen die intellektuelle Unterstützung mit und haben das Potential, verschiedene Teile der Gesellschaft zu mobilisieren, weil sie selbst aus allen Schichten der Gesellschaft stammen", sagt der Iran-Experte.

Das Protestpotenzial der Studenten sei der Staatsmacht im Iran bewusst. Derzeit gibt es im Iran keine organisierte Studentenbewegung. Nach den landesweiten Protesten im Jahr 2009 wurden alle unabhängigen Studentenvereine geschlossen, ihre Aktivitäten verboten, führende Mitglieder verhaftet.

"Noch dazu wurden neue Regeln für die lokalisierte Vergabe der Studienplätze durchgesetzt", ergänzt Hamidreza Azizi. "Damit sollen möglichst viele junge Menschen an ihrem Wohnort studieren und so unter der Aufsicht der Familie bleiben, statt in Wohnheimen zu leben, im ständigen Austausch mit anderen Studenten. Die Studentenwohnheime, vor allem in Teheran, gehören zu den ersten Orten, die bei Protestbewegungen unter Aufsicht gestellt werden. In den Jahren 1998 und 2009 stürmten Sicherheitskräfte Studentenwohnheime und verhafteten willkürlich viele Bewohner. Die Studenten sind zwar nicht organisiert, dennoch darf man sie nicht unterschätzen, genauso wie die Proteste an den Schulen."

Proteste an Schulen

Im Iran werden Mädchen und Jungen vom ersten Schuljahr bis zum Schulabschluss getrennt unterrichtet. Dennoch gelten auch an den Schulen die strengen Bekleidungsvorschriften für Mädchen. Seit Tagen kursieren viele Videos im Netz, die zeigen, wie Mädchen in ihren Schulen ihre Kopftücher verbrennen und "Tod der Diktator" rufen. Auch an den Jungen-Schulen gibt es Streiks und Proteste aus Solidarität mit den Mädchen. "Wenn sie nur koordiniert wären", sagt Moloud Hadschisadeh im Gespräch mit der DW.

Die iranische Journalistin wurde wegen ihrer kritischen Berichterstattung über die Unterdrückung iranischer Protestbewegungen wiederholt verhaftet. Zuletzt wurde sie im Januar 2021 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Kurz bevor sie ihre Haftstrafe antreten sollte, floh sie aus dem Iran und lebt heute in Norwegen.

"Die Proteste finden isoliert voneinander statt und dauern nicht lange. Die Studenten waren immer die Vorreiter wichtiger Protestbewegungen im Iran. Sie müssten den Campus hinter geschlossen Mauern, wo sie leicht eingekesselt werden können, verlassen und sich auf der Straße den Demonstranten anschließen und sogar eine führende Rolle übernehmen", sagt Hadschisadeh. "Dann können wir von einer anderen Dimension der Protestbewegung sprechen, die über die Kraft verfügt, größere Veränderungen mit sich zu bringen."