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Politik

Iran: Reformer in der Krise

3. Juli 2020

Die Reformer im iranischen Parlament stehen unter Druck. Der kommt zwar auch von den Hardlinern, mehr aber noch von den eigenen Anhängern. Die sind von den Leistungen ihrer Repräsentanten immer weniger überzeugt.

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Iran Rohani Hauhaltsrede im Parlament
Plenarsitzung im iranischen ParlamentBild: Getty Images/AFP/A. Kenare

"Ein Schritt zurück" - so betitelte die mit dem Lager der iranischen Reformer sympathisierende Zeitung "Arman-e-Meli" dieser Tage die Diskussion im iranischen Parlament um die Zukunft des Onlinedienstes Instagram. Geht es nach den Hardlinern der Abgeordnetenversammlung, wird der Foto- und Videodienst abgeschaltet. Damit wäre auch die letzte ausländische Digitalplattform im Iran verboten. Das Ansinnen, Instagram aus dem Netz zu nehmen, sei nichts als ein "konfrontativer Ansatz, der darauf abzielt, soziale Medien auszurotten und die öffentliche Unzufriedenheit gegen die Regierung Rohani weiter zu schüren", hieß es in der "Arman-e-Meli".

Hardliner, die den als Reformer angetretenen Präsidenten schützen wollen: Wie in einem Brennglas spiegelt diese Konstellation die schwierige Situation, in der die iranischen Reformer sich befinden. Ihre Schwierigkeiten sind seit der Parlamentswahl vom Februar 2020 noch gewachsen. Diese gehen teils auf eigene Versäumnisse, teils aber auch auf schikanierende Maßnahmen durch die Hardliner zurück.

Iran Parlamentswahl
Parlamentswahlen im Februar 2020Bild: Reuters/Wana/N. Tabatabaee

Reformer doppelt abgestraft

So waren im Vorfeld der Wahlen Tausende moderate Kandidaten - insgesamt rund 75 Prozent - vom Wächterrat nicht zugelassen worden. Auch darum waren die Konservativen und Ultra-Konservativen als eindeutige Sieger aus dem Urnengang hervorgegangen. Von den insgesamt 279 Sitzen gewannen sie 221. An die Reformisten gingen 20, an unabhängige Kandidaten 30 Sitze. In Teheran gewannen die Konservativen sogar alle 30 Sitze.

Die Niederlage entsprang allerdings auch der Entscheidung der Wahlberechtigten. Dieses Mal hatten so wenig Menschen ihre Stimmen abgegeben wie noch nie seit dem Revolutionsjahr 1979. Landesweit hatten gerade 43 Prozent der volljährigen Iraner von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Der Wahlstreik traf vor allem die Reformer. Sie wurden von ihren Anhängern regelrecht abgestraft.

Demonstrationen im vergangenen Herbst

Der Vorwurf der Unterstützer der Reformer: Rohani und seine Partei hätten in der Vergangenheit oft allzu halbherzig gehandelt und ihre Positionen nicht energisch genug vertreten. Der schwerste Vorwurf aber war ein anderer: Die Reformer hätten sich während der Proteste im Herbst vergangenen Jahres gegen ihre auf der Straße demonstrierenden Anhänger gestellt.

Hinter den Kundgebungen stünden "subversive Elemente", hatte der als Reformer angetretene Präsident Hassan Rohani im November 2019 erklärt. Diese agierten "exakt nach Vorgaben eines Plans, den regionale Reaktionäre (Saudi-Arabien, Anm. d. Red.), die Zionisten (Israel, Anm. d. Red.) und die Amerikaner ausgearbeitet haben." Bei den Protesten waren der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge über 200 Demonstranten getötet worden. Der US-Sondergesandte für Iran, Brian Hook, sprach Anfang Dezember gar von über 1000 Toten. Die iranische Regierung von nicht mehr als zehn.

Iran l Proteste gegen höhere Benzinpreise
Proteste gegen hohe Benzinpreise im November 2019 im IranBild: picture alliance/dpa

Lang anhaltende Enttäuschungen

Die Fassungslosigkeit über die vielen Toten, gepaart mit den allgemeinen Enttäuschungen über die politischen und ökonomischen Entwicklungen der vergangenen Jahre, kündigte sich bereits vor den Parlamentswahlen vom Februar an. In einer Reportage des katarischen Nachrichtensenders "Al Jazeera" drückten viele Anhänger der Reformer ihren Unmut aus.

Er werde nicht zur Wahl gehen, hatte etwa ein Universitätsprofessor in Teheran gegenüber dem Sender erklärt. Bislang habe er die Reformer unterstützt. "Ich hatte angenommen, die Reformer würden die Wirtschaft des Landes verbessern, uns soziale Freiheit bringen und unser globales Ansehen verbessern", sagte er dem Sender. "Tatsächlich haben sie aber nichts getan."

Eine solche Entwicklung sei nichts allzu Ungewöhnliches, sagt der Politologe Adnan Tabatabai, Geschäftsführer des Bonner Think Tanks "Carpo". Mit ihren Wahlversprechen - verbesserte Beziehungen zum Westen und eine gesundende Wirtschaft - seien die Moderaten um Präsident Rohani gescheitert. Da schwinge das Pendel wieder auf die andere Seite des politischen Spektrums. "Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass selbst, wenn keine Reformer bei den Parlamentswahlen disqualifiziert worden wären, diese dennoch keine Wähler hätten mobilisieren können."

Dabei gaben sich einige Reformer durchaus selbstkritisch. "Der Motor bei Wahlen im Iran waren immer die jüngeren Leute, die Studenten und Akademiker", sagte Mohammad Sadeq Dschawadi Hesar, Mitglied der reformorientierten Partei Etemade Meli (Nationales Vertrauen), im Vorfeld der Wahlen im Interview mit der DW. "Die sind aber jetzt enttäuscht von leeren Versprechungen, sie sind frustriert. Vor allem, weil sie keine vernünftige Antwort auf die Krisen der letzten zwei Jahre gesehen haben."

Teheran Hassan Ruhani Präsident Iran
Hassan Rohani, Präsident des IranBild: picture alliance/dpa/Iranian Presidency

Reformierte Reformer

Tatsächlich hat das Lager der Reformer in den Augen vieler ihrer Anhänger einen erheblichen Legitimitätsverlust erlitten, heißt es auch in einer Analyse des auf den Nahen Osten spezialisierten online-Magazins "Orient XXI". Der Vertrauensverlust gehe wesentlich auf den Vorwurf zurück, die Reformer hätten sich für ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele nicht hinreichend eingesetzt. "Dies hat zu dem Glauben geführt, die Reformisten seien eher Akteure eines von oben gelenkten Wandels und hatten sich darum zusammen mit dem Establishment gegen weite Teile der Bevölkerung positioniert", so "Orient XXI".

Vor diesem Hintergrund, so die in "Orient XXI" geäußerte Überlegung, ließe sich der Reformismus nur auf zweierlei Art reformieren. Zum einen durch eine politische Neubesinnung, in deren Rahmen die Reformisten ihre ablehnende Haltung gegenüber den etwa durch Demonstrationen ausgedrückten Forderungen der Zivilgesellschaft aufgäben.

Die zweite Möglichkeit bestünde im Entschluss der Reformer, sich in die höchsten Machtebenen einzugliedern. In dieser Position wären sie für das Regime eine Art Sicherheitsventil für den Fall, dass der innenpolitische Druck zu groß werden sollte. Im Gegenzug könnten sie zumindest einen Teil ihrer Vorstellungen umsetzen. Ihre politische Chance bestünde dann darin, "eine Islamische Republik zu retten, von der sowohl die Reformisten als auch die Konservativen profitieren", so "Orient XXI".

Zweite Welle im Iran?

Streit um Instagram: Risiko und Chance

Derzeit hätten die Reformkräfte nur noch in einigen Stadträten, also auf der lokalen Ebene, die Mehrheit, sagt Tabatabai. Daraus lasse sich eine nationale Politik nur sehr bedingt gestalten. Dennoch sollte man die lokalen Dynamiken der iranischen Innenpolitik nie unterschätzen, so der Politologe weiter. "Wir müssen festhalten, dass moderate und reformorientierte Kräfte nach einem Aufschwung zwischen 2013 und 2017 nun wieder zunehmend ins politische Abseits geraten. Für ein Wiedererstarken werden sie sich ein Stück weit neu erfinden müssen."

Mit der Diskussion um Instagram steht nun eine weitere Bewährungsprobe für die Reformer an. Die Konservativen wollen die Plattform verbieten. Gelänge es den Reformern, Instagram in Iran weiterhin als legale Plattform zu erhalten, dürften sie bei ihren Anhängern einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Gelingt ihnen das aber nicht, dürfte sich ihre Legitimationskrise zusätzlich verschärfen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika