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Politik

Die Proteste und die Telegram-App

4. Januar 2018

Viele Iraner verabreden sich aktuell über den Messengerdienst Telegram, um gemeinsam zu demonstrieren. Warum ist gerade diese App so beliebt - und wofür werden ihre Erfinder kritisiert? Wir klären die wichtigsten Fragen.

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Telegram Messenger stock
Bild: picture alliance/empics/Y. Mok

Bei den Protesten des Arabischen Frühlings 2011 verständigten sich viele Demonstranten über soziale Medien, wenn es darum ging, wo die nächste Kundgebung stattfinden würde oder wie der aktuelle Stand der Dinge war.

Auch für die Menschen, die zurzeit im Iran gegen die Regierung auf die Straße gehen, spielen soziale Medien eine wichtige Rolle. Am populärsten ist allerdings weder Twitter noch Facebook, sondern eine App, die im Westen bisher noch kaum bekannt ist: Telegram. Die wichtigsten Fakten zum Messengerdienst finden Sie hier.

Was ist Telegram?

Telegram ist ein Messengerdienst, über den Nutzer, ähnlich wie bei WhatsApp, Nachrichten verschicken können. Ein Telegram-User kann neben Textnachrichten auch Fotos und Videos mit einer einzelnen Person oder einer Gruppe teilen. Außerdem kann man wie bei Twitter verschiedene öffentliche Kanäle abonnieren und sich so beispielsweise über aktuelle Nachrichten oder Veranstaltungen informieren.

Iran - Proteste
Seit Ende letzten Jahres eskalieren die Proteste im IranBild: Getty Images/AFP/Str

Um den Dienst zu nutzen, ist eine Internetverbindung nötig. Allerdings können selbst bei niedrigen Internetgeschwindigkeiten Nachrichten ausgetauscht und Videos hochgeladen werden. Von diesen Funktionen machen viele Iraner Gebrauch. Laut Statistiken der UNO-zugehörigen International Telecommunication Union hat Telegram 40 Millionen Nutzer im Monat. Bei einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen, von denen rund 48 Millionen ein Smartphone besitzen, ist das eine überwältigend große Anzahl.

Warum ist Telegram im Iran so populär?

Die App funktioniert auch mit langsamem Internet und ist gut geeignet für die persische von-rechts-nach-links Schrift. Was allerdings noch viel wichtiger ist: Telegram war lange eine der wenigen Social-Media-Apps, die im Iran nicht von der Regierung blockiert wurden.

Telegram gehört nicht einer der großen US-Internetfirmen wie Twitter oder Facebook, sondern wurde von den russischen Brüdern Nikolai und Pawel Durow entwickelt. Da nicht der amerikanische Erzfeind hinter dem Messengerdienst steht, nutzen selbst Teile der iranischen Regierung Telegram.

Was hat sich seit Beginn der Proteste für Telegram-Nutzer geändert?

Die Toleranz der Führung in Teheran hat rapide abgenommen, seitdem Telegram in den vergangenen Wochen verstärkt von Demonstranten genutzt wird, um Proteste zu organisieren oder Informationen zu verbreiten, die im Staatsfernsehen nicht auftauchen. Zunächst forderte Irans Minister für Information und Kommunikationstechnologie Telegram auf, den beliebten Nachrichtenkanal AmadNews zu entfernen, da er zu Gewalt wie beispielsweise der Verwendung von Molotow-Cocktails aufrufe. "Terroristische Kanäle" dürften nicht geduldet werden, so der Minister.

Handy-Videos aus dem Iran

Doch damit nicht genug. Aktuell (Stand: Donnerstag, 4. Januar 2018) hat die Regierung Telegram vollständig blockiert. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen im Iran gar nicht mehr auf die App zugreifen können. Viele nutzen VPN-Software, mit der man regionale Blockaden einzelner Internetdienste umgehen kann. Das funktioniert allerdings sehr viel besser mit stationären Desktop-Computern als mit Smartphones. Und mit dem Hochladen und Verschicken von Videos soll es seit der offiziellen Telegram-Blockade auch Probleme geben.    

Warum stehen die Entwickler in der Kritik?

Die Durow-Brüder kamen der Forderung der Regierung, den AmadNews Kanal zu blockieren, nach. Pawel Durow erklärte den Schritt mit dem Hinweis auf die Nutzungsbedingungen von Telegram, nach denen Aufrufe zu Gewalt verboten seien. Trotzdem löste die Aktion bei vielen Usern Entsetzen und Zweifel an der Unabhängigkeit des Dienstes aus.

Bereits vor den aktuellen Protesten kritisierten Sicherheitsexperten Telegram für seine unzureichende Nachrichtenverschlüsselung. Anders als beispielsweise WhatsApp hat Telegram keine Ende-zu-Ende Verschlüsselung. Selbst die "Geheimchat"-Funktion wurde von Experten als unsicher bezeichnet. Das bedeutet, dass sich Millionen von Iranern, die regierungskritische Nachrichten über Telegram verschickten, vermutlich zu Unrecht in Sicherheit wiegten.

US-Whistleblower Edward Snowden hat den iranischen Demonstranten ans Herz gelegt, auf die App Signal umzusteigen. Deren Verschlüsselung sei weitaus wirksamer als die von Telegram. Doch auch diese App kann im Iran nicht problemlos genutzt werden. Signal läuft über einen von Google angebotenen Dienst, der im Iran wegen Sanktionen gegen die USA nicht offiziell angeboten wird.

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker