Es ist ein Winter der Unzufriedenheit und Wut im Iran. Eine junge Bevölkerung begehrt auf. Sie hat genug von Versprechungen, die sie nicht satt machen, genug von hohlen religiösen und politischen Parolen. Eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die Millionen Menschen in die Armut gestürzt hat, allgegenwärtige Korruption, ein Erdbeben, auf das der Staat nur unzureichend reagiert hat, Umweltkatastrophen wie die rasant schwindenden Wasservorräte haben den Boden bereitet für eine Protestwelle, die sich letztendlich am Preis von Eiern entzündete: Der war wegen der Massenkeulung von Hühnern in Folge eines Vogelgrippe-Ausbruchs massiv gestiegen und brachte das randvoll gefüllte Fass der allgegenwärtigen Enttäuschung zum Überlaufen. Lokaler Protest wurde zu einer Welle landesweiter Unruhen.
Keine Führung, keine Agenda
Aber ist das schon eine Revolution? Eine, die am Ende das theokratische System des Irans hinwegfegen wird? Zweifel sind angebracht. Die Stärken der Bewegung sind auch ihre Schwächen: Ohne klar erkennbare Führungsfiguren und dezentral spontan aufflammend, kann das Regime nicht einfach vermeintliche Rädelsführer festnehmen und die Proteste ihrer Köpfe berauben. Aber umgekehrt gibt es über den Ruf nach einer Besserung der sozialen Lage hinaus keine klare Agenda, sondern widersprüchliche Forderungen.
Außerdem konnte das Regime zwischenzeitlich ebenfalls seine Anhänger mobilisieren, in beeindruckenden Zahlen. Vor allem aber: Es verfügt über Milizen, Militär, Polizei, Geheimdienste, die zu viel zu verlieren haben, um sich den Protesten anzuschließen. Und: Sie haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie willens sind, Proteste auch blutig nieder zu schlagen. Zur Erinnerung: In der knapp vier Jahrzehnte währenden Geschichte der iranischen Theokratie gab es alle zehn Jahre eine große Protestbewegung. Zuletzt die "grüne Bewegung" im Jahr 2009, damals deutlich größer mit Millionen Menschen auf den Straßen, mit einer klaren Agenda und mit einer klaren Führung. Auch die wurde blutig unterdrückt - was die Zurückhaltung der Veteranen von 2009 bei den heutigen Protesten vielleicht zum Teil erklärt.
Risse im Establishment
Die heutigen Proteste machen die Risse im Establishment deutlich. Hardliner und moderatere Kräfte - wirklich moderate oder reformorientierte Kräfte gibt es in den Teheraner Machtzirkeln nicht - ringen um Macht und Einfluss. Sie versuchen, die Proteste zu instrumentalisieren, um ihre Gegner zu schwächen. Auch, um sich für die Nachfolge des alternden Obersten Führers Ali Chamenei zu positionieren.
Wie sollte das Ausland auf die Proteste im Iran reagieren? Klar ist: Die Demonstranten haben unsere uneingeschränkte Solidarität verdient. Zu demonstrieren, seine Meinung frei zu äußern, ist ein Grundrecht, überall und damit auch im Iran. Druck auf Teheran ist notwendig, um die Regierung zur Einhaltung ihrer eigenen Regeln zu drängen - Präsident Hassan Rohani hatte immerhin anerkannt, dass im Iran Protestaktionen erlaubt sind. Dieser Druck kann auch auf wirtschaftlichem Wege erzeugt werden. Gerade angesichts der desolaten Wirtschaftslage braucht Iran Investitionen aus dem Ausland. Zudem sollten Internetkonzerne dazu angehalten werden, Plattformen für freien Meinungsaustausch offen zu halten oder zu schaffen.
Offener Aufruf zum Regimewechsel, wie von den USA betrieben, ist dagegen kontraproduktiv. Er gibt den Konservativen das Argument an die Hand, die Proteste seien vom Ausland gesteuert. Dazu kommt: Die Entdeckung der Sympathie für die Iraner durch Donald Trump wird von den Iranern selbst nicht ernst genommen. Dafür sorgt schon allein das vom US-Präsidenten durchgesetzte Einreiseverbot: Das richtet sich unter anderem gegen Iraner - und zwar auch gegen politische Flüchtlinge.
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