Iran: Kommt ein "Atomabkommen plus"?
16. Dezember 2020Die Stimmen mehren sich in den USA für eine Rückkehr zum Atomabkommen mit dem Iran. Zuletzt hatten am 14. Dezember über 50 hochrangige US-Politiker in einem Offenen Brief an den gewählten Präsident Joe Biden für eine rasche Rückkehr zum Atom-Deal plädiert, der im Kreis der Politiker "JCPoA" genannt wird, darunter der ehemalige CIA-Chef John Brennan sowie zahlreiche Ex-Botschafter und Generäle.
Der neue Hausherr im Weißen Haus hatte bereits seine Position mehrfach bekräftigt. Biden sieht die Rückkehr als "Startpunkt für neue Verhandlungen" mit dem Iran. "Der beste Weg, um etwas Stabilität in der Region zu erreichen", sei es, "sich zunächst mit dem Atomprogramm zu befassen", sagte Biden der "New York Times".
Das Ziel: die bestehenden Auflagen zu "verschärfen und zu verlängern", so Biden. Auch solle es um das Raketenprogramm gehen.
Verhandlung, nein! Annäherung gerne!
Der Iran hatte bis jetzt jede Art von Verhandlungen diesbezüglich abgelehnt. Der iranische Außenminister Mohammad Javad Sarif hat bei jeder Gelegenheit die Bedeutung des Raketenprogramms für die nationale Sicherheit des Irans bekräftigt. Allerdings hatte Sarif 2019 im Interview mit dem US-Sender ABC Verhandlungsbereitschaft signalisiert, wenn die USA ihre Waffenlieferung an Saudi-Arabien stoppten.
Im Iran wird derzeit über eine mögliche Annäherung an die USA spekuliert. Anlass ist eine Reise des Vizeaußenministers Abbas Araghchi nach Oman, ebenfalls am 14.Dezember. Offiziell nahm Araghchi dort an den "Gemeinsamen Strategischen Konsultationen zwischen Iran und Oman" teil. Zuvor hatte der iranische Präsident Hassan Rohani signalisiert, "jederzeit" für die die Rückkehr zum internationalen Atomabkommen bereit zu sein.
Das Sultanat pflegt traditionell gute Beziehungen zum Iran und gleichermaßen zu den USA. Es hatte schon mal als Vermittler zwischen beiden verfeindeten Ländern agiert. Dem Land war es 2014 gelungen gewesen, während der schwierigen Verhandlungen Geheimgespräche zu organisieren.
Das Abkommen hatten 2015 die USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit dem Iran abgeschlossen. Iran hatte Einschränkungen seines Atomprogramms und internationale Kontrollen akzeptiert. 2018 kündigten jedoch die USA einseitig den Vertrag.
Deutschland will mehr
Auch Deutschland will das Atomabkommen ausweiten. Der deutsche Außenminister Heiko Maas mahnte im Deutschlandfunk den Iran zum Handeln: "Wichtig ist allerdings, dass der Iran auch zu seinen Verpflichtungen zurückkehrt. Das ist gegenwärtig nicht der Fall." Maas warnte weiter, dass der Iran "in absehbarer Zeit auch über Nuklearwaffen verfügt", wenn das Abkommen scheitern sollte.
Allein die Rückkehr zum Abkommen reicht Maas auch nicht: "Wir haben klare Erwartungen an Iran: keine Nuklearwaffen, aber auch kein ballistisches Raketenprogramm, das die ganze Region bedroht. Außerdem muss Iran eine andere Rolle in der Region spielen", sagt Maas dem Nachrichtenmagazin "Spiegel".
Keine Gesprächsbereitschaft in Teheran
Die Äußerung von Maas stieß im Iran auf Widerspruch. Deutschland und Europa sollten wissen, dass das, was mit der US-Politik des "Maximalen Drucks" nicht erreicht worden sei, auch auf keine andere Weise erreicht würde, sagt der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Saeed Khatibzadeh. Der Iran werde hinsichtlich seiner nationalen Sicherheit weder Kompromisse machen noch verhandeln, so Khatibzadeh weiter.
Darüber hinaus wirft der Iran den europäischen JCPoA-Vertragspartnern Deutschland, Frankreich und Großbritannien vor, nicht einmal in der Lage zu sein, ihren Verpflichtungen im Atomabkommen nachzukommen. Den eigens von Europa geschaffenen Zahlungsmechanismus INSTEX zur Umgehung der US-Sanktionen bezeichnete Khatibzadeh als "wirkungslos".
Europa als Vermittler?
"Die Europäer waren in den letzten zweieinhalb Jahren in einer schwierigen Position", schreibt Naysan Rafati von der Denkfabrik "International Crisis Group". "Sie waren gefangenen zwischen einem transatlantischen Verbündeten, der sich nicht von einer maximalistischen Strategie abbringen lässt, und einer iranischen Regierung, die die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile vom Atomabkommen verlangte", sagt Rafati im Interview mit der DW.
Aus der Tatsache, dass das Abkommen trotz des "maximalen Drucks" der USA nicht vollständig zusammengebrochen ist, leitet Rafati ab, "dass sowohl Europa als auch der Iran es immer noch als eine Errungenschaft ansehen, die es wert ist, gerettet zu werden." Europa könne eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung und Weiterentwicklung des Abkommens einnehmen, resümiert der Politologe.
Raketen als Abschreckung
Aufgrund des UN-Waffenembargos konnte der Iran keine Waffen aus dem Ausland beziehen, bis das Exportverbot nach 13 Jahren im Oktober 2020 auslief. "Iranische Offizielle machen keinen Hehl daraus, dass der Iran den regionalen Rivalen militärisch unterlegen ist", sagt der Iran-Experte Adnan Tabatai im Gespräch mit der DW. "Aufgrund der fehlenden Raketenabwehr wäre ein Luft- oder Raketenangriff auf den Iran wahrscheinlich. Das eigene Raketenprogramm ist die effektivste Abschreckung."
Das iranische Raketenprogramm wurde Mitte der 1980er Jahre gestartet. Damals herrschte ein blutiger Krieg zwischen dem Iran und Irak. Im Gegensatz zum Iran verfügte der irakische Staatschef Saddam Hussein über mit französischer und sowjetischer Hilfe hochgerüstete Luftwaffe und konnte so iranische Großstädte angreifen. Die iranischen Streitkräfte konnten die Luftangriffe weder abwehren noch Vergeltung üben.
Später erwarben iranische Revolutionsgarden ballistische Raketen von Libyen und Nordkorea und investierten massiv in ihre Weiterentwicklung. Der Iran verfügt derzeit über eines der größten Raketenarsenale im Nahen Osten, schätzen Insider. "Der Iran hat ein breites Waffenarsenal, angefangen von Artillerie über Kurzstreckenraketen bis zu Marschflugkörpern mittlerer Reichweite", sagte Mauro Mantovani von der Militärakademie der ETH Zürich gegenüber der DW im Oktober. "Darüber hinaus hat das Land Kampfdrohnen, die sie sehr präzise zum Einsatz bringen können." Verhandlungen über das von Hardlinern der Revolutionsgarden geführte Raketenprogramm würden deshalb nicht einfach sein.