Iran hält an guten Beziehungen zu Moskau fest
10. April 2022Soll man Russlands Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat nach Bekanntwerden der Kriegsverbrechen in Butscha aussetzen? Die Regierung in Teheran meint nein und wies ihren Vertreter in der UN-Vollversammlung an, gegen die Suspendierung Russlands zu stimmen. Iran, so das Zeichen, steht zumindest in dieser Frage eng an der Seite Moskaus. Weniger eindeutig hatte sich das Land einige Wochen zuvor gezeigt. Als die UN-Vollversammlung in ihrer Sitzung vom 4. März Russland mehrheitlich für den Angriff auf die Ukraine verurteilte, stimmte Iran zwar nicht dagegen, enthielt sich aber, wie weitere 33 Staaten.
Iran verfolge im Verhältnis zu Russland einen gegen den Westen und die NATO gerichteten Kurs. Der sei bereits in der Stellungnahme Teherans während des Kaukasus-Krieges 2008 deutlich geworden, führt der Iran-Experte Clement Therme vom "Institute d'études politiques de Paris" im DW-Interview aus. Damals im August griffen russische Truppen auf georgischem Gebiet in den seit dem Ende der Sowjetunion schwelenden Konflikt zwischen Georgien und den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Süd-Ossetien ein. Kurz zuvor im April hatte die NATO auf einem Gipfel in Bukarest Georgien und der Ukraine die Mitgliedschaft im atlantischen Verteidigungsbündnis in Aussicht gestellt.
"Damals ging es Teheran darum, den Westen und insbesondere die NATO für den Krieg verantwortlich zu machen, indem die Führung in Teheran Russland als Opfer der ideologischen, militärischen und kulturellen Ambitionen des westlichen Verteidigungsbündnisses darstellte." Dieser ideologische Schulterschluss mit Russland bestehe bis heute fort, sagt Therme.
Spielraum durch Ukraine-Krieg?
Kurzfristig habe Iran mit Blick auf den Krieg in der Ukraine vor allem eine Hoffnung, so der Politikwissenschaftler Farid Eftekhari in einer Analyse für das Online-Magazin "Middle East Eye": Nämlich die, dass er die Aufmerksamkeit und Energien der westlichen Staaten binde: Die internationale Gemeinschaft werde nicht in der Lage sein, weiter Druck auf Teheran auszuüben, einem Atom-Abkommen zuzustimmen, dass die iranischen Forderungen nicht ausreichend berücksichtigt. Derzeit kommen die Wiener Verhandlungen nicht voran, die eigentlich schon im März mit einer Rückkehr Irans zur Atomvereinbarung von 2015 hätten enden sollen. Washington als auch Teheran beschuldigen sich gegenseitig, einen positiven Abschluss der Verhandlungen zu behindern.
Und noch etwas erhoffe sich die iranische Regierung von dem Krieg, ergänzt Clement Therme: Eine weitere Entfremdung zwischen Russland und dem Westen. "Das Kalkül in Teheran ist dieses: Je schlechter das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen ist, desto mehr dürfte Russland auf den Iran zugehen." Aus der Sicht Teherans biete der Krieg in der Ukraine eine Gelegenheit, gemeinsame Interessen zwischen Russland, China und dem Iran zu festigen und neue Chancen und Möglichkeiten für die iranische Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik zu schaffen, schreibt auch Eftekhari.
Militärisch zeigte sich dieses Interesse im Januar dieses Jahres, als die iranische, russische und chinesische Marine im Persischen Golf ein gemeinsames Manöver abhielten. Medienberichten zufolge bemüht sich Iran zudem um neue Waffen aus Russland, so etwa Sukhoi-5-Kampfjets und das Raketenabwehrsystem S-400 zu erwerben.
Allerdings scheint Iran nicht gewillt, seine Handelsbeziehungen auf Russland und asiatische Partner zu beschränken. Vielmehr, so Eftekhari, wolle Teheran auch mit westlichen Staaten Geschäfte machen. Eftekhari verweist auf eine Rede des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi auf dem Forum Gasexportierender Länder im Februar dieses Jahres in Doha, nur wenige Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. "Der Iran, der über eine der größten Gasreserven der Welt verfügt, hat eine sehr hohe Kapazität für die Produktion, den Transport und den Export von Erdgas und kann sich stärker an der globalen Versorgungssicherheit beteiligen", ließ Raisi sich vernehmen.
Skeptischer Blick auf Russland bei Iranern
In der Summe setzten Teheran und Moskau auf Zusammenarbeit, so Clement Therme. Dieser Kurs behage weiten Teilen der iranischen Bevölkerung allerdings nicht. Viele Iraner seien gegenüber der Ukraine sehr positiv eingestellt. Sie erinnerten sich an die russische Invasion im 19. Jahrhundert, in deren Folge das damalige Persien im Kaukasus bedeutende Gebiete an das russische Zarenreich abtrat. "Außerdem sind sich viele Iraner des Risikos der Annäherung an Russland bewusst. Sie fürchten, man könnte am Ende auf der falschen Seite der Geschichte stehen."