Irak: Politisch zersplittert
22. Januar 2018Der Irak nach der Terror-Miliz IS - könnte das der Irak vor dem IS werden? Diese bange Frage vieler Iraker wird von Politikern entschlossen verneint. Doch dass sie überhaupt gestellt wird, zeigt, wie unsicher die Erwartungen an die Zukunft des Zweistromlandes sind. Gelingt es nicht, das Land zu einen und alle Iraker zu gleichberechtigten Bürgern zu machen, könnte die dschihadistische Ideologie schnell wieder an Popularität gewinnen. Auch das sollen die für Mitte Mai angesetzten Wahlen verhindern.
Allerdings gibt das komplizierte Verhältnis der politischen Kräfte knapp vier Monate vor den Parlamentswahlen nur wenig Anlass zu Optimismus. Die Parteienlandschaft ist stark zersplittert. Nicht ein einziges der drei großen politischen Lager ist geeint: Schiiten, Sunniten und Kurden zerfallen alle in eine Vielzahl von Fraktionen, die keine einheitlichen Standpunkte erkennen lassen.
Zersplittert: die Schiiten
Die meisten Bruchlinien ziehen sich durch das Lager der Schiiten: Es gibt mehr als 70 verschiedene Parteien und Fraktionen, die sich ihrerseits in weitere Blöcke und Fraktionen unterteilen.
Das größte bildet die Dawa-Partei. Sie vereint führende, wenn auch miteinander konkurrierende Strömungen. Die bedeutendste darunter wird angeführt von Ministerpräsident Haidar al-Abadi und hat in den vergangenen Monaten enorm an Ansehen gewonnen. Viele Iraker rechnen ihm das Engagement an, mit dem sein Bündnis sich am Kampf gegen den IS beteiligt hat, der schließlich zur Niederlage der Terrororganisation führte. Es gilt seitdem als "Bündnis des Sieges".
Hier zeigt sich, wie sehr die anstehenden Wahlen mit dem Krieg gegen den IS verbunden sind: Eine Reihe schiitischer Kräfte, die sich im Kampf gegen die radikalen Dschihadisten bildeten, haben nach der Niederlage des IS politische Parteien gebildet, die nun um die Gunst der Wähler buhlen.
Der zweite größere schiitische Block namens "Weisheit" hat es bislang noch nicht geschafft, sich als eigenständige Kraft zu etablieren. Allerdings grenzt es sich bewusst ab vom starken pro-schiitischen Kurs des ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki.
Die dritte größere schiitische Strömung ist die Bewegung um Muqtada as-Sadr. Sie stellt sich gegen alle etablierten Bündnisse und strebt eine "technokratische" Koalition quer durch alle Lager an. Diese soll die ethnischen und konfessionellen Spaltungen überwinden, die seit 2003 - dem Jahr der US-Intervention im Irak - entstanden sind.
Demographisch geschwächt: die Sunniten
Auch das sunnitische Lager gibt derzeit kein einheitliches Bild ab. Mit der militärischen Niederlage des radikal-sunnitischen IS zersplitterte es in zahlreiche Untergruppen und Fraktionen. Inzwischen zählt man mehr als 50. Tragende Säule ist das "nationale Bündnis", angeführt von Iyad Allawi, dem Vizepräsidenten des Irak. Dieses setzt sich seinerseits aus 30 verschiedenen Fraktionen zusammen. Hervorgegangenen sind sie aus gemäßigt sunnitischen Milizengruppen, die sich am Kampf gegen den IS beteiligt hatten. Sie treten nun in gemeinsamen Listen an.
Allerdings stehen alle sunnitischen Parteien derzeit vor dem Problem, dass ihre Wählerbasis massiv geschrumpft ist. Viele Sunniten aus dem westlichen Irak sind geflohen - entweder vor dem IS oder vor dem Feldzug, den die Regierung gegen die Dschihadisten führte. Einige sunnitische Politiker fordern daher, die Wahlen zu verschieben, bis die Bewohner der Provinz zurückkehren.
Tatsächlich setzen sich einem Bericht des Nachrichtensenders arabiya.net rund 44 Prozent der Mitglieder der Nationalversammlung dafür ein, die Wahlen zu verschieben. Die USA wollen jedoch nicht am Wahltermin 12. Mai rütteln. Auch Mohammed Halbusi, der Gouverneur der sunnitisch dominierten Provinz Anbar, will an dem Termin festhalten.
Geschlossen aber geschwächt: die Kurden
Einheitlicher als Schiiten und Sunniten zeigen sich die Kurden. Im Nationalparlament haben sie 60 Sitze, mehrere Kurden sind in Ministerverantwortung. Allerdings hat die Bewegung durch das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im vergangenen September ihrer Existenzberechtigung zum Teil verloren, zumal 92 Prozent der Abstimmungsberechtigten damals für die Eigenständigkeit der Region stimmten.
Auch der politische Rückzug von Kurdenführer Masud Barzani sowie der Tod des ehemaligen kurdischstämmigen Staatspräsidenten Dschalal Talabani haben dem Lager zugesetzt. Bislang hat das Bündnis nicht zu seiner früheren Größe zurückgefunden. Präsent sind vor allem die beiden großen Parteien "Nationale Einheit" und "Demokratisches Kurdistan" - die politisch allerdings wenig miteinander verbindet. Ein Bündnis der beiden gilt darum als wenig wahrscheinlich.
Um ihre Wahlchancen zu erhöhen, haben sich auch die Kommunisten mit religiösen Akteuren verbündet. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass dieser Schachzug ihre geringfügigen Chancen erhöht.