IOC zögert mit Olympia-Verschiebung
22. März 2020Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat erstmals eine Frist in der Diskussion um die Verlegung der Sommerspiele in Tokio genannt. Innerhalb der nächsten vier Wochen soll eine Entscheidung fallen, teilte das IOC in einem offenen Brief an die Athleten nach einer Sitzung des Exekutivkomitees am Sonntag mit. Eine Absage der Spiele schloss das IOC allerdings aus. Diese würde "keines der Probleme lösen oder irgendjemandem helfen", erklärte das IOC und verwies auf "deutliche Verbesserungen in Japan". Zugleich müsse man allerdings den "dramatischen Anstieg der Fälle und neuen Ausbrüche von COVID-19" auf verschiedenen Kontinenten berücksichtigen.
Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe lehnt eine Verschiebung der Spiele derweil nicht mehr kategorisch ab. Bei einem Treffen mit japanischen Parlamentariern bekannte er sich zwar zur Veranstaltung "vollständiger" Sommerspiele. Doch zum Schutz der Gesundheit der Athleten "könnte es unvermeidbar werden, dass wir eine Entscheidung zur Verschiebung treffen", so Abe.
"Menschenleben haben Vorrang vor allem, auch vor der Austragung der Spiele. Das IOC will Teil der Lösung sein", sagte auch IOC-Chef Thomas Bach. Er wünsche sich, dass sich die Hoffnung, die so viele Athleten, Nationale Olympische Komitees und internationalen Verbände aus allen fünf Kontinenten geäußert hätten, erfüllt werden. "Dass am Ende dieses dunklen Tunnels, durch den wir alle gemeinsam gehen, ohne zu wissen, wie lange er noch dauert, die olympische Flamme ein Licht sein wird", sagte Bach.
Ein wenig Hoffnung bleibt dem 66-Jährigen, der selbst 1976 deutscher Fecht-Olympiasieger wurde. Bach hatte sich lange gegen jegliche Diskussionen gewehrt - trotz der vielen Rufe nach einer Verlegung der Tokio-Spiele. Doch nachdem die Weltgesundheitsorganisation täglich steigende Zahlen an Sars-CoV-2-Infektionen und Toten vermeldete, musste das IOC handeln. Bach spielt nun auf Zeit und hofft auf Besserung.
Terminprobleme bei historischer Entscheidung
Denkbar ist eine Verschiebung der vom 24. Juli bis 9. August geplanten Sommerspiele auf den Herbst, auf Sommer 2021 oder gar auf 2022. Am wahrscheinlichsten dürfte die Verlegung um ein Jahr sein, was angesichts des fixierten Terminkalenders im Weltsport auch eine monumentale Entscheidung nie da gewesener Dimension wäre. Im Sommer 2021 sind zum Beispiel die Weltmeisterschaften der Schwimmer in Fukuoka/Japan und die der Leichtathleten in Eugene/USA vorgesehen. Gegen 2022 spricht, dass in dem Jahr die Olympischen Winterspiele im Februar und die Fußball-WM im November und Dezember stattfinden.
Eine Olympia-Verschiebung wäre eine historische Entscheidung, doch eine Absage wie es sie in der Vergangenheit schon einige Male gegeben, wird es wegen des grassierenden Virus nicht geben. Im Ersten Weltkrieg wurden die Sommerspiele 1916 (Berlin), im Zweiten Weltkrieg die Sommerspiele 1940 (Tokio) und 1944 (London) sowie die Winterspiele 1940 (Cortina d'Ampezzo) und 1944 (Sapporo) gestrichen.
Zwar hat Japan das Virus gut in den Griff bekommen, allerdings greift die Pandemie weltweit immer mehr um sich. Eine Sportveranstaltung mit rund 11.000 Athleten und Tausenden an Zuschauern, Betreuern und Journalisten wären kaum zu verantworten. «Es gibt für Viren quasi kein tolleres Fest als so eine Veranstaltung», hatte etwa Virologe Alexander Kekulé in der ARD-«Sporschau» gewarnt. Auch ist aufgrund der Ausgeh- und Reiseverboten in vielen Ländern eine geregelte Wettkampfvorbereitung nicht mehr gegeben, ganz zu schweigen von regelmäßigen Dopingkontrollen. Dazu kommt das Problem der Olympia-Qualifikationen, die in den letzten Wochen reihenweise abgesagt worden waren.
Hartung schafft Fakten, DOSB befragt Athleten
Zuvor hatten sich Athleten und Verbände auf der ganzen Welt für einen neuen Termin der vom 24. Juli bis 9. August geplanten und von der Corona-Pandemie bedrohten Spiele ausgesprochen. Der deutsche Fechter und Athletensprecher Max Hartung hatte seinen Olympia-Start abgesagt und damit ein deutliches Zeichen gesetzt. "Ich mache mir Gedanken, wie ich als Sportler dazu beitragen kann, dass wir möglichst alle gut durch die Krise kommen. Für mich war schnell klar, dass das bedeutet, zu Hause zu bleiben", erklärte Hartung, Präsident der Vereinigung Athleten Deutschland, seine Entscheidung.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) kündigte an, seine Athleten zu befragen, ob sie für oder gegen eine Verschiebung der Spiele seien. In den USA ist das bereits geschehen: 70 Prozent der 300 US-Athleten, die an einer Umfrage des Olympischen und Paralympischen Komitees USOPC teilnahmen, sprachen sich aufgrund der Coronavirus-Pandemie eindeutig für eine Verlegung aus. Das berichtete die Zeitung "USA Today". Der Abstimmung waren Aufrufe zur Verschiebung der Spiele durch den US-Schwimmverband und den US-Leichtathletikverband vorhergegangen, die einen großen Teil der Delegation der Vereinigten Staaten in Tokio ausmachen würden.
asz/ie (dpa, sid)