1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Corona-Krise: Was passiert mit Olympia in Tokio?

Janek Speight Adaption: Stefan Nestler
19. März 2020

In der Öffentlichkeit spielt das IOC auf Zeit, doch hinter den Kulissen werden wahrscheinlich Notfallpläne geschmiedet. Welche Optionen gibt es, wenn Tokio 2020 wegen der Corona-Krise nicht wie geplant stattfinden kann?

https://p.dw.com/p/3ZhJo
Coronavirus in Japan
Bild: picture-alliance/AP/J. Hong

Das IOC spielt auf Zeit. "Es sind noch mehr als vier Monate bis zu den Spielen, und es gibt aktuell keine Notwendigkeit, drastische Entscheidungen zu treffen." Das verkündete das Internationale Olympische Komitee noch am Dienstag nach einer Sitzung mit Vertretern aller Fachverbände der 33 olympischen Sommersportarten. "Jegliche Spekulation zum jetzigen Zeitpunkt wäre kontraproduktiv." Ähnlich klingt es beim Organisationskomitee der Spiele in Tokio und der japanischen Regierung. Tenor: Weitermachen, business as usual!

Diese Haltung stößt angesichts der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus zunehmend auf Kritik. "Ich halte Thomas Bach [IOC-Präsident - Anm. d. Red.] als Krisenmanager für ungeeignet, weil er nicht die erforderlichen Entscheidungen trifft", sagte Clemens Prokop, Ex-Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, in einem Interview der "Stuttgarter Nachrichten" und der "Stuttgarter Zeitung". Der deutsche Star im Dressurreiten, Isabell Werth warf dem IOC und den Japanern eine "unverständliche und überhaupt nicht nachvollziehbare Hinhaltetaktik" vor.

Speerwurfe-Olympiasieger Thomas Röhler forderte, die Spiele zu verschieben. Auch Stabhochsprung-Olympiasiegerin Katerina Stefanidi aus Griechenland ging mit dem IOC hart ins Gericht: "Das IOC möchte, dass wir weiterhin unsere Gesundheit, die Gesundheit unserer Familien und die öffentliche Gesundheit aufs Spiel setzen."

IOC muss bei Absage 60-Tage-Frist einhalten

Eigentlich sollen die Olympische Spiele am 24. Juli eröffnet werden. Doch es wird immer unwahrscheinlicher, dass die Spiele planmäßig ablaufen können. Und obwohl ein hoher Beamter des Organisationskomitees noch Anfang des Monats der Nachrichtenagentur Reuters sagte, es gebe "keinen Plan B", werden hinter den Kulissen sicherlich Notfallpläne diskutiert.

Das IOC erklärt, dass seine Entscheidung "nicht von finanziellen Interessen bestimmt" werde. Seine "Risikomanagement-Politik und Versicherungen" stellten sicher, dass das IOC in jedem Fall in der Lage sei, "seine Tätigkeit fortzusetzen und seinen Auftrag zur Organisation der Olympischen Spiele zu erfüllen". Wie und wann das IOC öffentlich mögliche Änderungen zu Tokio 2020 ankündigt, dürfte jedoch sehr wohl von finanziellen Interessen bestimmt werden. Schließlich gibt es Verträge zwischen dem IOC und dem Organisationskomitee in Tokio, den Sponsoren, den Inhabern von Fernsehrechten und vor allem den Versicherungsgesellschaften.

Besonders relevant für die Überlegungen des IOC dürfte der "Host City Contract" sein, der Ausrichtervertrag mit den Japanern. Danach kann das IOC die Spiele spätestens 60 Tage vor dem geplanten Beginn absagen, unter anderem wenn das IOC "nach eigenem Ermessen berechtigte Gründe hat, zu glauben, dass die Sicherheit der Teilnehmer der Spiele aus welchen Gründen auch immer bedroht oder gefährdet sind".

Das Organisationskomitee von Tokio hat laut Vertrag die Möglichkeit, die Spiele zu verschieben, aber nur innerhalb des Jahres 2020. Keine der beiden Seiten wird den ersten Schritt machen wollen, da die finanziellen Auswirkungen immens sein dürften.

Es geht um Milliarden

Im vergangenen Dezember gab das Organisationskomitee in Tokio bekannt, die Kosten der Spiele lägen bei umgerechnet etwa 11,5 Milliarden Euro. Darin eingerechnet waren jedoch noch nicht die zusätzlichen Kosten der Entscheidung, den Marathon wegen der zu erwartenden Hitze von Tokio nach Sapporo zu verlegen. Zu jenem Zeitpunkt lag auch der Bericht des japanischen Rechnungshofs nicht vor, der den nötigen Beitrag der Regierung neu bewertete: von 1,2 Milliarden Euro auf 6,55 Milliarden Euro.

Die Schätzungen, wie teuer die Spiele am Ende wirklich werden, gehen weit auseinander und reichen bis zu einem Höchstbetrag von 23 Milliarden Euro, wobei der Anteil des IOC mit 740 Millionen Euro veranschlagt wird. Darüber hinaus haben inländische Sponsoren mehr als 2,75 Milliarden Euro für die Olympischen Spiele zugesagt. Große Unternehmen wie Toyota, Bridgestone, Panasonic und Samsung haben exklusive Verträge mit dem IOC abgeschlossen.

Japan Abschlussfeier für den Bau eines neuen Nationalstadions
Das neue Nationalstadion in Tokio wurde für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2020 gebautBild: Reuters/I. Kato

Auch die Inhaber von TV-Rechten sind wichtige Akteure in diesem Szenario, insbesondere NBCUniversal in den USA, dessen Muttergesellschaft Comcast vier Milliarden Euro für die vier Olympischen Sommer- und Winterspiele zwischen 2014 und 2020 bezahlt hat. Laut NBC hat der Sender bereits Werbezeiten während der Spiele in Tokio für 1,15 Milliarden Euro verkauft.

Es scheint nur drei Möglichkeiten zu geben, von denen keine wirklich attraktiv ist: Spiele hinter verschlossenen Türen, eine Verschiebung oder gar die Absage der Olympischen Spiele in Tokio.

Variante 1: Absage der Spiele

In der modernen Geschichte der Olympischen Spiele wurden nur drei Veranstaltungen gestrichen: 1916 (Berlin) wegen des Ersten, 1940 (Tokio) und 1944 (London) wegen des Zweiten Weltkriegs. In finanzieller Hinsicht wäre eine komplette Absage die katastrophalste Entscheidung für alle Beteiligten. Das Geld, das bereits in die Spiele gesteckt worden ist, wäre verloren. Tokio würde nach Jahren der Vorbereitung und Investitionen leer ausgehen. Auch alle anderen Parteien, die bereits Geld in Tokio 2020 investiert haben, werden kein Interesse daran haben, dass die Spiele ganz ausfallen, ebenso wenig die Athleten, die sich lange auf diesen Höhepunkt vorbereitet haben.

Variante 2: Olympische "Geisterspiele"

Aus finanzieller Sicht erscheint diese Lösung die sinnvollste. Die Einbußen für Japans Wirtschaft würden sich wahrscheinlich noch einigermaßen im Rahmen halten, wenn die Olympischen Spiele ohne Zuschauer ausgetragen würden - auch wenn der japanische Finanzdienstleister "Nomura Securities" die Einnahmen durch Olympia-Gäste auf insgesamt zwei Milliarden Euro taxiert. 2019 besuchten 31,9 Millionen ausländische Touristen Japan und spülten rund 41 Milliarden Euro in die Kassen.

Die größere Sorge bestünde bei "Geisterspielen" darin, dass sich das Coronavirus in Japan auch bei dieser "abgespeckten" Variante weiter verbreiten könnte. Schließlich werden zu den Olympischen Spielen rund 11.000 Athleten erwartet, anschließend weitere 5000 zu den Paralympischen Spielen. Hinzu kämen Betreuer, Funktionäre und Olympia-Mitarbeiter. Das Risiko, dass z.B. Athleten das Virus ins Olympische Dorf einschleppen oder sich dort anstecken und es dann mit zurück in die Heimat nehmen, wäre immer noch gegeben. Es würde sich daher die Frage stellen: Warum werden die Zuschauer geschützt, aber nicht die Athleten?

Unklar ist auch, wie eine sportlich faire Qualifikation für die Spiele während der Corona-Krise aussehen soll. "Bis heute haben sich bereits 57 Prozent der Athleten für die Spiele qualifiziert", teilt das IOC mit. "Für die verbleibenden 43 Prozent der Plätze wird das IOC mit den internationalen Verbänden zusammenarbeiten, um alle notwendigen und praktischen Anpassungen an ihren jeweiligen Qualifikationssystemen für Tokio 2020 vorzunehmen."

Kann man dann noch von Chancengleichheit sprechen? Nein, sagt etwa der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Spaniens, Alejandro Blanco, und verweist auf die in seinem Land geltende Ausgangssperre, die es für spanische Sportler schwierig mache, überhaupt zu trainieren: "Wir wollen, dass die Olympischen Spiele stattfinden, aber nur, wenn die Sicherheit garantiert ist. Wir sind ein wichtiges Land in der Welt, und vier Monate vor den Spielen können unsere Athleten nicht unter gleichen Ausgangsbedingungen [in Tokio -Anm. d. Red.] ankommen."

Variante 3: Verschiebung der Spiele

Als naheliegendste Lösung erscheint es, die Olympischen Spiele in Tokio auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben - in der Hoffnung, dass das Coronavirus in den nächsten Monaten eingedämmt werden kann. Allerdings erfordert diese Option auch den größten Planungs-, Koordinations- und Verhandlungsaufwand.

So wurden einige der 33 Wettkampforte nur für die Dauer der Spiele vermietet. Entschädigungen würden fällig - und nicht nur dafür: Das Olympische Dorf soll nach dem geplanten Ende der Spiele am 9. August in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, einige davon sind bereits verkauft. Etwa 45.000 Hotelzimmer wurden für die Dauer der Spiele blockiert. Rund 80.000 Freiwillige haben sich für die Olympischen Spiele frei genommen.

Gegen eine Verschiebung in den Oktober, wie einige vorschlagen, würden wahrscheinlich NBC und andere TV-Rechtehalter ihr Veto einlegen. Für den nordamerikanischen Fernsehmarkt ist die Übertragung der Sommerspiele lukrativ, weil zu dieser Zeit die wichtigsten nationalen Ligen ihre Saisonpause haben.

Wahrscheinlicher ist das Szenario, die Spiele in Tokio um ein oder sogar zwei Jahre zu verschieben. Doch auch dann gäbe es Terminkollisionen mit geplanten Großereignissen. So sind für August 2021 eigentlich die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Eugene im US-Bundesstaat Oregon angesetzt. Sollte man sich für die Variante 2022 entscheiden, gäbe es Olympische Winter- und Sommerspiele im selben Jahr. Auch das wäre nicht gerade optimal.

Eine einfache Lösung, die auf der Hand liegt, gibt es bei allen drei Varianten nicht. Jede hätte weitreichende Folgen sowohl rechtlicher als auch finanzieller und organisatorischer Art - von den sportlichen Konsequenzen ganz zu schweigen. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich das IOC bisher eher noch zurückhält. Die Situation ist heikel und unberechenbar. Doch um eine Entscheidung kommt das IOC nicht herum.