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Politik

"Funktionale Verbrecher"

Dennis Stute17. Dezember 2014

Wie war das Schulmassaker in Pakistan möglich? Der Neuropsychologe Thomas Elbert erklärt im DW-Interview, weshalb Menschen zu solchen Gräueltaten fähig sind – und dabei zum Teil auch noch Spaß empfinden.

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Reporter besuchen die Schule in Peschawar 17.12.2014
Bild: Reuters/F. Aziz

DW: Pakistanische Taliban haben fast 150 Schüler massakriert. Waren dort hochgradig gestörte Menschen am Werk?

Thomas Elbert: Diese Menschen sind nicht in dem Sinne gestört, dass sie nicht mehr funktionieren. Sie sind hoch funktional und können in organisierter Art und Weise ihre Verbrechen begehen. Das erscheint uns völlig unverständlich: Wie kann man die Zivilbevölkerung, bis hin zu Kindern, dermaßen misshandeln und abschlachten? Das kann man sich aber damit erklären, dass die Täter ihre Opfer gar nicht als Menschen betrachten, sondern als Ungeziefer, als das Unheil schlechthin.

Das Gegenüber ist aber kein Abstraktum, sondern ein Mensch, der fleht und weint…

Deswegen ist es sehr viel schwieriger, die Empathiefähigkeit so umzulenken, dass man das Gegenüber als schreckliche Drachenbrut sieht. Es ist dazu notwendig, dass man Hass gelernt hat. Wenn sich Menschen einer Bedrohung hilflos gegenübersehen, also etwa in kriegerischen Auseinandersetzungen nicht mehr weiterwissen, entsteht Hass. Die Frage ist dann: Hass gegen wen? Dann fehlt nur noch ein Prediger, der sagt, wo es langgeht, der sagt: "Das sind die Schuldigen, das ist das Ziel deines Hasses." Dann bereitet es mir unter Umständen sogar Genugtuung, wenn dieses verhasste Objekt weint und fleht.

Sie interviewen systematisch Männer in Konfliktgebieten, die brutale Gewalt ausgeübt haben. Was geht in diesen Kämpfern vor?

Immer wenn das Gewaltmonopol des Staates zerbricht, besteht die Gefahr, dass Banden junger Männer – Frauen beteiligen sich selten – außer Rand und Band geraten und sich gegenseitig in Verbrechen überbieten. Wenn wir fragen, was die Leute empfinden, wenn sie Dörfer überfallen und Massaker anrichten, sagen die Kämpfer meist, dass es am Anfang schwierig sei. Später aber gebe es so etwas wie ein "Combat High", einen regelrechten Blutrausch, bei dem es plötzlich Spaß macht und sogar zum Bedürfnis wird, andere Menschen zu töten. Dabei werden körpereigene Substanzen ausgeschüttet, die wie Opiate wirken. Es haben Leute erzählt, dass sie manchmal abends ihr Camp noch einmal verlassen haben, um zu töten. Nicht, um die Ziege des Nachbarn zu stehlen, nicht, um irgendeinen Feind zu bekämpfen; nein, nur um Gewalt und Grausamkeit auszuüben.

Thomas Elbert, Professor für Klinische Psychologie und Neuropsychologie an der Universität Konstanz
Thomas Elbert, Professor für Klinische Psychologie und Neuropsychologie an der Universität KonstanzBild: Universität Konstanz


Ist das kulturübergreifend?

Das ist offensichtlich kulturübergreifend. Wir haben dieses Phänomen auf vier der fünf Kontinente beforscht. Es ist überall erstaunlich ähnlich, dass wir diese Anlage haben, andere Menschen zu töten, zu jagen, niederzumachen.

Andere Säugetiere haben diese Anlage nicht, sondern im Gegenteil eine intraspezifische Tötungshemmung. Warum fällt es dem Menschen so leicht zu töten?

Schon der Schimpanse hat keine Tötungshemmung mehr. Es ist keine Seltenheit, dass sich Schimpansen-Gemeinschaften gegenseitig überfallen und auch töten. Wir Menschen brauchen keine intraspezifische Tötungshemmung, weil wir uns ein viel intelligenteres System angeeignet haben: Als unsere Vorfahren zu Jägern geworden sind - und damit nicht nur Jagd auf andere Tiere machen konnten -, haben wir über unsere intelligenten Systeme im Stirnhirn gelernt, das selbst zu regulieren: Wir können das hemmen, wir wollen Moral und fair Play lernen und uns an diese Regeln halten. Aber wir können diese Regeln auch ausschalten und Menschen dazu bringen, andere Menschen umzubringen.

Zwergschimpansen jagen ebenfalls. Trotzdem kommt es bei Bonobos nur äußerst selten zu Tötungen…

Die Bonobos haben einen anderen Trick: Die benutzen Sex nicht nur zur Reproduktion, sondern auch, um Konflikte zu lösen. Es wäre eine interessante Variante, wenn wir eine solche Kultur schaffen könnten. Aber bisher waren die Versuche von "Make Love, not War" ja nicht so erfolgreich.

Glauben Sie, dass jeder Mensch in der entsprechenden Situation Gräueltaten begehen könnte?

Die Ausnahmen sind natürlich Sie und ich. Ansonsten: Ja, es ist leider so. Sie kriegen, glaube ich, den überwiegenden Teil der Leute dazu zu töten, vor allem dann, wenn Sie damit im jugendlichen Alter beginnen.

Thomas Elbert ist Professor für Klinische Psychologie und Neuropsychologie an der Universität Konstanz. Er erforscht unter anderem die Psychobiologie menschlicher Gewalt- und Tötungsbereitschaft.

Das Gespräch führte Dennis Stute