Internationale Pressestimmen zu Günter Grass
14. April 2015Eine der "prägenden Figuren der alten Bundesrepublik" nennt die "Neue Zürcher Zeitung" den Verstorbenen in ihrem Nachruf. Sie schreibt ihm eine besondere literarische Potenz zu: "Grass scheute das Drastische nicht: Seine urwüchsig kraftvolle Prosa wühlte sich mit ihren Figuren lustvoll durch das Erdreich, sie gab sich dem ordinär-vulgären Tonfall des entfesselten Nationalismus hin, sie zeichnete mit Hingabe den enthemmten Sexus in all seinen zarten wie makabren Spielformen nach", so die NZZ über Grass' Erstlingsroman "Die Blechtrommel". Als "ewiger Trommler" habe Grass sein im literarischen Feld gewonnenes Prestige später in der Politik eingesetzt, unter anderem als Wahlkämpfer Willy Brandts. Allerdings: "Das Politische floss fortan eher als die Poesie des Gestaltens in seine Prosa. Er antizipierte nun weniger den Geist der Zeit, als dass er ihm sekundierte."
Bohemien aus Danzig
Für "Le Monde" aus Frankreich hat Grass sein Land stets mit dem eigenen schlechten Gewissen konfrontiert. Sein wichtigstes politisches Engagement der vergangenen Jahre habe der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder ab 1998 gegolten, urteilt "Le Monde". Grass habe das Leben eines Bohemiens geführt, das neben der Schriftstellerei die Bildhauerei und Malerei einschloss. Der "Figaro" aus Paris beschreibt Grass als "engagierten Polemiker und Tabubrecher, der nicht aufhörte, die Öffentlichkeit aufzurütteln und die Intellektuellen anzuspornen." Seine Werke seien "voller Fantasie und Ironie", so "Le Figaro" weiter.
Moralist in neuem Licht
Für die "New York Times" steht Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS im Vordergrund. Sie war erst 2006 bekannt geworden. Dass Grass zuvor "seine eigene Biografie fälschte", habe viele Leser geschockt und sein Lebenswerk in einem neuen Licht erscheinen lassen. "Herr Grass war wohl kaum der einzige Vertreter seiner Generation, der die Tatsachen über sein Leben während des Zweiten Weltkriegs verschleierte. Er jedoch war ein herausragender Intelektueller, der die Deutschen immer wieder gedrängt hat, sich auch mit den hässlichen Seiten ihrer Geschichte auseinanderzusetzen." Sein "kompromissloser Anti-Militarismus und seine Warnungen, dass ein geeintes Deutschland noch einmal den Weltfrieden gefährden könne, führten dazu, dass viele Landsleute ihn als pedantischen Moralisten kritisierten, der den Bezug zum echten Leben verloren habe", so die New York Times weiter. Der "Guardian" aus Großbritannien fasst zusammen: "Die Geschichte von Leben und Werk Günter Grass' ist auch die Geschichte der deutschen Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit." Diese gelte heute als beispielhaft, sei jedoch, wie das Beispiel Grass' zeige, mangelhaft.
Umstrittenes Denkmal
Auch der "Jyllands-Posten" aus Dänemark, dem Land, wo der Verstorbene ein Haus gemietet und viel Zeit verbracht hatte, verweist auf Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS und nennt ihn einen "Nazi, der in Deutschland ein großer Sozialkritiker war". Grass sei ein Kämpfer gewesen, der "nicht zuletzt gegen sich selbst gekämpft" habe. Auch wenn der Autor jahrelang seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS verschwiegen habe, bleibe sein Werk ein "Denkmal der Weltliteratur", meint dazu "Aftenposten" aus Norwegen.
Was muss gesagt werden?
Für die israelische Tageszeitung "Haaretz" ist Grass "einer der wichtigsten und kontroversesten deutschen Schriftsteller aller Zeiten". Auch Haaretz beschreibt die Kontroverse um Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS und geht außerdem auf ein Gedicht ein, das 2012 dazu führte, dass die Regierung in Jerusalem Grass zur unerwünschten Person erklärte. In den siebzig Zeilen von "Was gesagt werden muss" hatte Grass Israel vorgeworfen, mit Drohungen an den Iran den Weltfrieden zu gefährden. Haaretz zitiert die israelische Botschaft in Deutschland, die damals kommentierte, es stehe in der europäischen Tradition, Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmordes anzuklagen.
Botschafter Polens
Die konservative Zeitung "Rzeczpospolita" aus Polen würdigt Grass und hebt dabei die Bedeutung des gebürtigen Danzigers für Polen hervor: "Polen litt, besonders in kommunistischer Zeit, darunter, dass die Welt unsere komplizierte Geschichte nicht verstand. In Günter Grass hatte Polen einen informellen Botschafter, obwohl er auf Deutsch schrieb." Die polnische linksliberale "Gazeta Wyborcza" würdigt Grass als Antikommunisten, dessen Gegnerschaft zum Kommunismus ihn nie in die Nähe des Nationalismus geführt habe. "Er war das Gewissen der deutschen und der europäischen Demokratie", schreibt Adam Michnik, Essayist und Chefredakteur der Gazeta.
Warnung vor dem Weltkrieg
Die spanische Zeitung "El Pais" veröffentlichte am Dienstag ein Interview, das sie bereits am 21. März mit Grass in Lübeck geführt hatte. Es dürfte das letzte große Interview des Schriftstellers gewesen sein. Darin hatte Grass mit folgenden Worten vor einem neuen Weltkrieg gewarnt. "Wir steuern auf den dritten großen Krieg zu. Wir laufen Gefahr, dieselben Fehler wie früher zu machen. Ohne es zu merken, als wären wir Schlafwandler, können wir in einen neuen Weltkrieg gehen."