Interkulturelles Projekt hilft jungen Flüchtlingen
29. April 2016Der Oberhausener Stadtteil Königshardt gilt als Viertel der Besserverdienenden. Mitten in Königshardt mit seinen schönen Häusern und teuren Autos liegt die Wohngruppe der Evangelischen Kirche. Bis zu elf Jugendliche leben dort in einer Idylle. Die Ruhe des Ortes steht in deutlichem Widerspruch zu dem, was die Jugendlichen bei ihrer Flucht erlebt haben.
Nervenaufreibende Flucht
So wie bei Ayman (Artikelbild links). Der 17-Jährige mit der Frisur des Fußballers Aubameyang wurde mit 16 von irakischen Truppen zwangsrekrutiert und kämpfte ein halbes Jahr gegen den so genannten "Islamischen Staat". Meistens versteckte er sich bei den Gefechten. Die Angst, bei den Kämpfen umzukommen, war sehr groß. Im Kofferraum eines Wagens flüchtete er dann in die Türkei. Von dort ging es über Griechenland und die Balkanroute nach Österreich und schließlich nach Deutschland.
Er ist froh, dass das alles hinter ihm liegt. "Ich will hier unbedingt einen Schulabschluss machen und dann eine Ausbildung im KFZ-Bereich", sagt er auf arabisch, unterlegt mit etwas Deutsch, dass er im Integrationskurs gelernt hat. Ein Dolmetscher hilft ihm bei den Antworten.
Bei Ali (Artikelbild rechts) war die Flucht noch spektakulärer. Zweimal kenterte er mit dem Schlauchboot vor der griechischen Insel Lesbos. Eine Taxifahrerin wollte Profit aus der Lage des Flüchtlings ziehen und ihn für 700 Euro über die Grenze bringen. Da er kein Geld mehr hatte, verriet sie ihn an die Polizei, die ließ ihn aus Mitleid laufen. Auch die Gewalt der Schlepper musste er über sich ergehen lassen. Doch dazu schweigt er und guckt weg. Es kam noch ein Grenzfluss, der illegal durchschwomnmen werden musste. Irgendwie schaffte es der 17-jährige Iraker dann doch bis nach Deutschland.
Er will hier das Abitur machen und Elektrotechnik studieren. Auf die Frage, warum alle Flüchtlinge nach Deutschland wollen, sagen beide: "Die Verpflegung und die Zukunftsaussichten sind hier besser." Mit 5000 Euro machten sich beide auf den Weg. Die Familie legte zusammen. Das Geld haben nun die Schlepper, zurück blieben alle Geschwister und die Eltern.
Strapazen wirken nach
In der Wohngruppe kamen die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft erst einmal zur Ruhe. Nette Zimmer, ein idyllischer Garten, Sportanlagen - es herrscht eine friedliche Atmosphäre. Die ist auch nötig. "Die Jugendlichen sind erschöpft. In den Notunterkünften konnten sie nicht ruhig schlafen, die Flucht war anstrengend", sagt Maja Jovancevic, Sozialarbeiterin im Projekt und selber als Kind aus Kroatien nach Deutschland eingewandert.
"Drei bis sechs Monate bleiben die Jugendlichen bei uns, dann werden sie langfristig in betreutes Wohnen oder Pflegefamilien vermittelt", so Jovancevic. Die Betreuer unterstützen die Zuwanderer bei Besuchen von Ämtern oder Ärzten oder haben einfach ein offenes Ohr für ihre Anliegen. Eine Haushälterin kümmert sich um das Essen. Alle Bewohner bringen sich aber dabei auch ein. Viele sind zwar erst 15 oder 16 Jahre alt, doch der Krieg zuhause und die Erlebnisse der Flucht kürzen die Kindheit deutlich ab.
Hilfe von Zuwanderern
Fast immer sind es Jungen, die sich auf den Weg gemacht haben. "Mädchengruppen gibt es wenige. In Essen besteht so eine Gruppe. Das sind junge Frauenen aus Westafrika", sagt Yalda Bunyadi, die mit sechs Jahren mit den Eltern aus Afghanistan nach Deutschland geflohen ist. Sie ist als Kulturmittlerin in dem Projekt engagiert. Mit ihren Sprachkenntnissen kümmert sie sich um die Flüchtlinge aus Afghanistan und dem Iran. Eigentlich ist sie Wirtschaftswissenschaftlerin mit einem deutschen Diplom, aber will trotz ihrer Qualifikation erste einmal im Sozialwesen arbeiten. Sie will dadurch ihren Beitrag eisten.
So wie auch Othmane Abouelfath (Artikelbild Mitte) aus Marokko. Als Übersetzer und Unterstützer arbeitet auch er eigentlich fachfremd. In Münster hat er einen Abschluss als Wirtschaftsingenieur erworben. Er lebt seit zwölf Jahren in Deutschland. Er weiß um die Ängste der Jungen. "Die Jugendlichen aus Afghanistan haben Angst vor der Abschiebung." Die Jugendlichen aus dieser Region sind auch eher die stillen und sehr zurückhaltend, wenn Besucher kommen. "Meistens bleiben sie unter sich", so Abouelfath.
Nach einer Zeit der Eingewöhnung tauen die meisten der jungen Flüchtlinge auf. "Nach einer gewissen Zeit haben viele das Bedürfnis zu reden", sagt Maja Jovancevic. Dann kommen die Geschichten über Missbrauch durch Schlepper, Gewalt unter Flüchtlingen und die ständige Angst vor der Polizei zur Sprache. Auffällig bei allen ist der große Wunsch nach Einschulung. Alle wollen einen Schulabschluss. Sobald es mit den Sprachkursen losgeht, ist den Jungen kein Weg zu weit. Manche fahren bis zu 20 Kilometer, nur um Deutsch zu lernen. In Integrationsklassen der regionalen Schulen werden sie untergebracht.
Evangelische Gemeinde aktiv in der Flüchtlingshilfe
Die Wohngruppe ist eine Idee der Evangelischen Kirche in Oberhausen. Bereits seit den Anfängen der Flüchtlingsströme hat sich Superintendent Joachim Deterding für die Zuwanderer eingesetzt. So machte er bundesweit Schlagzeilen, als er in Zusammenarbeit mit der Stadt eine Kirche kurzerhand zur Unterkunft umfunktionieren ließ. Fast 60 Menschen leben dort. Im Zuge diese Engagements entstand auch die Wohngruppe.
Dabei spielt die jeweilige Religion im Team der Wohngruppe nur eine untergeordnete Rolle. Einige der Mitarbeiter sind Muslime, die Flüchtlinge sowieso, dazu kommen noch einige Christen. Das ist aber zweitrangig. "Es geht darum, hier so eine Art Familie zu entwickeln, und das schaffen wir hiermit", sagt Maja Jovancevic.