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Prognose: "Aufschwung endet"

4. April 2019

Führende Wirtschaftsforscher sehen ein Ende des Wirtschaftsaufschwungs in Deutschland. Die Institute senken ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr deutlich. Die Aufträge für die Industrie sind bereits eingebrochen.

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Deutschland Statoren für Elektromaschinen
Bild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Die führenden Wirtschaftsinstitute rufen das Ende des jahrelangen Konjunkturbooms in Deutschland aus. Für 2019 stampften sie ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes auf 0,8 Prozent ein, nachdem sie im Herbst noch mit 1,9 Prozent gerechnet hatten.

"Der langjährige Aufschwung der deutschen Wirtschaft ist zu Ende", sagt der stellvertretende Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, zu der am Donnerstag veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose. "Die Gefahr einer ausgeprägten Rezession halten wir jedoch bislang für gering." Für 2020 sagen die Experten unverändert ein Wachstum von 1,8 Prozent voraus.

Harter Brexit als Bedrohung

Kommt es zu einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens dürfte das Wirtschaftswachstum sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr nach Meinung der Wirtschaftsforscher "deutlich niedriger" als bislang veranschlagt ausfallen. Risiken sehen die Experten außerdem im noch ungelösten Handelsstreit zwischen den beiden weltgrößten Volkswirtschaften USA und China. National bremsten Fachkräftemangel, Lieferengpässe sowie Schwierigkeiten in der Autoindustrie die Konjunktur.

Infografik BIP Deutschland - Entwicklung und Prognose 2010 - 2020 DE

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier rechnet trotz wachsender Sorgen mit einem baldigen Ende der Wirtschaftsflaute. "Die im zweiten Halbjahr 2018 zu beobachtende Abkühlung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird im Verlauf dieses Jahres allmählich überwunden, und die Auftriebskräfte gewinnen wieder die Oberhand", erklärte Altmaier nach Veröffentlichung der Gemeinschaftsdiagnose. "Dieses Jahr wird sich die Konjunktur wieder beleben, ohne allerdings die hohe Dynamik zurückliegender Jahre zu erreichen", sagte der CDU-Politiker.

Risiken durch die Wirtschaftspolitik

"Auch die deutsche Wirtschaftspolitik schafft Risiken, etwa indem sie die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung durch erhebliche Leistungsausweitungen belastet, die aus dem Beitragsaufkommen nicht zu finanzieren sein werden", kritisieren die Institute. "Dies lässt Steuererhöhungen erwarten, die Deutschland als Investitionsstandort weniger attraktiv machen." Die Politik sollte stärker darauf ausgerichtet werden, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern.

Der Beschäftigungsaufbau dürfte sich zwar fortsetzen, aber an Fahrt verlieren. Die Zahl der Erwerbstätigen soll bis 2020 auf 45,5 Millionen steigen, was rund 700.000 mehr wären als 2018. Gleichzeitig soll die Zahl der Arbeitslosen auf 2,1 Millionen sinken. Trotz der trüberen Konjunktur rechnen die Experten auch mit anhaltend kräftigen Staatsüberschüssen. Im laufenden Jahr sollen das Plus bei 41,8 und 2020 bei 35,6 Milliarden Euro liegen.

Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigenen Prognosen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Sie hatte ihre Schätzung für dieses Jahr zuletzt auf 1,0 Prozent fast halbiert und geht im kommenden Jahr von einem Plus von 1,6 Prozent aus. Erarbeitet wird das Gutachten vom RWI in Essen, vom DIW in Berlin, vom Ifo-Institut in München, vom IfW in Kiel und vom IWH Halle.

Industrieaufträge mit starkem Auftragseinbruch

Gleichzeitig teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit, dass die deutsche Industrie im Februar überraschend den stärksten Auftragseinbruch seit mehr als zwei Jahren erlitten hat. Danach schrumpfte das Neugeschäft vor allem wegen der schwachen Auslandsnachfrage um 4,2 Prozent zum Vormonat. Von Reuters befragte Ökonomen hatten hingegen mit einem Zuwachs von 0,3 Prozent gerechnet. 

Bereits im Januar waren die Aufträge um 2,1 Prozent gesunken. "In den kommenden Monaten ist insbesondere wegen fehlender Auslandsnachfrage weiterhin mit einer verhaltenen Industriekonjunktur zu rechnen", sagte das Ministerium voraus. Die maue Weltkonjunktur, Handelskonflikte und der Brexit belasten derzeit.

Ökonomen überrascht

Ökonomen zeigten sich von der Abwärtsdynamik überrascht. "Die Daten sind eine herbe Enttäuschung", sagte Andreas Scheuerle von der DekaBank. "Wieder einmal ist es die Weltwirtschaft, die die deutsche Industrie in die Knie zwingt. Der Umschwung der globalen Konjunktur ist extrem und geht vor allem von der Region Asien aus."

Jens-Oliver Niklasch von der LBBW sprach von einem herben Rückschlag: "Die Industriekonjunktur ist wohl schon fast im freien Fall." Ein Gutteil davon dürfte auch auf die hohe Unsicherheit in Sachen Brexit zurückgehen. Zu welchen Konditionen Großbritannien - einer der deutschen Top-Handelspartner - aus der EU ausscheidet, ist immer noch unklar.

Hoffen auf China

Hoffnung auf eine Trendwende macht manchem Experten die Entwicklung in China. "Die Auftragseingänge signalisieren einen klaren Abschwung", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. "Wie lange dieser anhält, hängt jetzt auch entscheidend davon ab, wie lange es dauert, bis die von der chinesischen Regierung initiierten Konjunkturmaßnahmen auch auf dem hiesigen Kontinent ihre positive Wirkung entfalten." China hat beispielsweise die Mehrwertsteuer gesenkt und Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur angekündigt. Die Volksrepublik ist Deutschlands wichtigster Handelspartner.

Die Industrieaufträge aus dem Inland fielen im Februar um 1,6 Prozent, die Auslandsaufträge verringerten sich sogar um 6,0 Prozent. Dabei schrumpften die Bestellungen aus den Ländern außerhalb der Euro-Zone mit 7,9 Prozent besonders deutlich.

ul/hb (rtr, dpa)