Die Angst vor Zombieunternehmen
18. August 2020Retten oder zugrunde gehen lassen? Das war die große Frage im März. Die Bundesregierung hat sich für Retten entschieden. Eigentlich müssen Unternehmen, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können oder überschuldet sind, einen Antrag auf Insolvenz stellen. Von dieser Pflicht wurden sie wegen der Corona-Krise seit dem 1. März per Gesetz vorerst bis Ende September befreit.
Diese Atempause brauchten viele Unternehmen, da das Wirtschaftsgeschehen erheblich ins Stocken geraten war. Wie sehr zeigt die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes: Schon im ersten Quartal ist es um zwei Produkt abgesackt, im zweiten dann um zehn Prozent. Für das Gesamtjahr erwarten Experten ein Minus von fünf bis acht Prozent.
Um den Unternehmen zu helfen, wurden in der Folgezeit milliardenschwere Rettungspaketegeschnürt - in Deutschland und der gesamten Europäischen Union. Unter anderem erleichterte die Bundesregierung die Regelungen für Kurzarbeit, reduzierte den Mehrwertsteuersatz, gewährte Überbrückungshilfen und Steuererleichterungen oder stieg direkt bei großen Unternehmen ein. Aber ob all das den Firmen hilft, sich zu berappeln? Inzwischen geht nämlich die Angst um, es könnte im Oktober zu einer großen Welle an Insolvenzen kommen, sobald die Insolvenzantragspflicht wieder gilt.
Trittbrettfahrer profitieren
Zuerst einmal aber hat die Zahl der Insolvenzen abgenommen. "Sie war im ersten Halbjahr um über acht Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum", so Patrik-Ludwig Hantzsch von Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Das Statistische Bundesamt geht für Juli sogar von einem Rückgang von 30 Prozent aus.
Auch wenn man das als Erfolg interpretieren könnte liefern die Zahlen auch Anhaltspunkte dafür, dass Firmen von der Regelung profitieren, die schon vor der Corona-Krise Probleme hatten. Von der Pflicht eine Insolvenz anzumelden wurden nämlich alle Unternehmen befreit, die ab dem 31.12.2019 überschuldet waren oder Zahlungsschwierigkeiten hatten. Nur, an diesem Stichtag war von einer Corona-Pandemie in Deutschland noch gar keine Rede. So hat dieser frühe Zeitpunkt viele Trittbrettfahrer auf den Plan gerufen.
Gesunde Unternehmen könnten durch Zombiefirmen bedroht sein
Am Anfang sei es natürlich wichtig gewesen, den Unternehmen genügend Freiraum zu verschaffen, damit die staatlichen Stützungsmaßnahmen greifen können. Prinzipiell sei aber auch in der Krise wichtig, dass es eine Marktbereinigung durch Insolvenzen gebe, so Hantzsch. "Wenn kein Unternehmen ausscheidet, heißt das im Grunde genommen, es wird nicht mehr unterschieden zwischen guten und schlechten Geschäftsmodellen." Das kann auch gesunden Unternehmen zu schaffen machen.
Wenn nun die Konjunktur wieder anzieht, müssen die Unternehmen trotzdem vorsichtig bleiben, "weil sie ja gar nicht wissen, wer de facto eigentlich pleite oder zahlungsunfähig ist und wer auf jeden Fall seine Rechnung bezahlt", erklärt Hantzsch. Dadurch können auch gesunde Unternehmen in Schieflage geraten, wenn ihre Rechnungen nicht bezahlt werden. Es drohen sogenannte Anschlussinsolvenzen.
Deutsche Bank Research warnt zudem, dass solche "Zombieunternehmen" "eine aggressive Preispolitik verfolgen, die die Gewinnmargen der gesunden Unternehmen belasten und insgesamt den Strukturwandel behindern. "Denn das darf man nicht vergessen", darauf weist auch Hantzsch hin, "es gab schon vor der Corona-Pandemie eine Transformation in vielen Wirtschaftsbereichen, wie der Automobilbrancheoder dem Handel. Corona wirkt jetzt wie ein Katalysator". Der ist durch das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht vorerst außer Betrieb.
Wenn nun wirklich eine Welle an Insolvenzen kommt, sobald das Gesetz ausläuft, werde das auch den Arbeitsmarkt treffen, sagt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Gravierend sei auch, dass die Banken betroffen sein werden. "Sie sind Gläubiger dieser insolventen Unternehmen, und damit besteht dann auch wieder die Gefahr einer Bankenkrise", so Röhl.
Seismograph lahm gelegt
Wie aber geht es den Unternehmen in Deutschland wirklich? In normalen Zeiten ist das Insolvenzgeschehen eine Art Seismograph für den Zustand der Wirtschaft, sagt Hantzsch. Weil der nun quasi stillgelegt wurde, hat Creditreform andere Indikatoren herangezogen.
"Wir haben uns das Zahlungsverhalten angeschaut. Wir haben uns die Auftragseingänge angeschaut und noch viele weitere Aspekte und kommen zu dem Schluss, dass es den Unternehmen nicht gut geht", ist das nicht sehr überraschende Resümee. Bei etlichen Firmen werde allmählich das Geld knapp. Jedenfalls würden immer mehr offene Rechnungen nur noch mit Verspätung bezahlt. Das Zahlungsverhalten der Unternehmen sei aktuell so schlecht wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Sommer 2015.
Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts sah im Juni ein Fünftel der deutschen Unternehmen sein Überleben durch die Corona-Krise als gefährdet an. Im September werden sich rund 550.000 Unternehmen in massiven Schwierigkeiten oder in einer Schieflage befinden, schätzt man bei Creditreform. Zum Vergleich: 2018 gab es um die 330.000 sogenannter Zombieunternehmen.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Dauert die Corona-Krise noch länger und wird die Insolvenzantragspflicht noch weiter verschoben, dann wird auch die Zahl kriselnder Unternehmen steigen, ist sich Hantzsch sicher. Eigentlich sollte die Regelung bis Ende September gelten, nun aber wird über eine Verlängerung spekuliert. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht möchte eine Verschiebung bis März 2021.
Von Unternehmerseite kommen dagegen Bedenken. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, meint, "eine Verlängerung der Frist würde einseitig zulasten der Gläubiger gehen und damit weitere Unternehmen gefährden". Er hält es für besser, wenn das Insolvenzrecht reformiert würde. Auch der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands warnt davor, die Antragspflicht für Firmenpleiten weiter auszusetzen.
Um die erwartete Insolvenzwelle zu verkleinern und die Überschuldung der Unternehmen nicht weiter zu verschlimmern, schlägt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Wirtschaft vor, keine weiteren Notkredite mehr zu vergeben. "Denn irgendwann müssen Kredite bedient werden." Vielmehr könnte man bestimmte Kredite, die man den Unternehmen gegeben hat, schrittweise in Hilfen umwandelt, zum Beispiel für den Erhalt von Arbeitsplätzen oder auch für Ausbildungsplätze.